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Seit 30 Jahren: Warum es Gerhard Matheis als Scharlatan und Zauberer noch nicht „rrreicht“.

Stuttgart - Er gehört zur seltenen Kaste der Magier, Scharlatane und Quacksalber im Stil der vorvergangenen Jahrhundertwende: Seit 30 Jahren tritt Gerhard Matheis aus Feuerbach als Doctor Marrax auf. Jetzt feiert der alte Haudegen mit einer Auftrittsreihe in Eliszi's Jahrmarktstheater im Killesbergpark sein Bühnenjubiläum.

Wenn Gerhard Matheis in seine viel zu großen Knobelbecher steigt, den Zylinder aufsetzt und in den alten Sakko mit der Taschenuhrkette aus Silbermünzen aus der Kaiserzeit schlüpft, dann ist die Illusion perfekt: Doctor Marrax, der Scharlatan mit dem Wundermittelchen Marrax-o-fax, den Zeigefinger in Obachtstellung, die Sprache mit rollendem R und böhmischem Akzent.

Marrax-o-fax ist wahrlich ein Wundermittel. Mit dem Zauberpulver heilen selbst tiefe Schnittwunden, sei es im Arm oder gleich die größtmögliche Schnittwunde, ein abgesägter Kopf. Der wächst sofort wieder an. Aber auch aus dem Kopf ausgelöffelte Augen werden wieder eingesetzt. Funktionsfähig. Im Kinderprogramm werden aus zig kleinen Fäden und des Doctors "Spucken" samt Marrax-o-fax ein meterlanger Faden.

Dasselbe funktioniert natürlich auch mit vielen einzelnen farbenfrohen Tüchern, die im Mund verstaut - "eine Prise Marrax-o-fax darüber gestreut. Das rrreicht"- plötzlich als eine bunte Kette von aneinandergeknoteten Tüchern hervorgezaubert werden.

Die Distanz ist kurz, die Nähe zum Publikum ist des Doctors Elixier. Kinnladen klappen herunter, Kinderaugen werden kugelrund, und Erwachsene fachsimpeln, weil sie meinen zu wissen, wie der Trick da gerade ablief. Ein kurzer liebevoller Ausflug in eine Zeit, die es schon längst nicht mehr gibt. "Ich bin da ja gar nicht ich", sagt Gerhard Matheis. "Das ist mein zweites Ego, der Doctor Marrax. Aber über die Jahre habe ich mich sehr an ihn angepasst. Früher habe ich ein Kissen in die Hose gesteckt. Das brauche ich jetzt nicht mehr. Ich mutiere langsam zum Doctor." Seine Augen funkeln knitz über dem großen Bart hervor, und sein Bauch bebt beim Lachen.

Doch angefangen hat alles ganz klassisch - mit Zylinder, Frack und weißen Kaninchen. Da war Gerhard Matheis ein Mann mit erfolgreicher Karriere in der Werbebranche, die seinerzeit boomte. "Ich habe mir ein paar Kunststücke gekauft und daheim geübt. Mein erstes Publikum war die Familie. Da war mir überhaupt nicht klar, dass ich so etwas jemals hauptberuflich machen würde." Der erste Auftritt, an den er sich erinnern kann, ereignete sich in der kunterbunten Szene eines besetzten Hauses in Stuttgart-Süd. "Da war so ein jenseits großes Gerüst im Treppenhaus, weil gerade renoviert wurde. Da bin ich dann raufgeklettert, jemand hat einen Scheinwerfer organisiert, und dann habe ich mit diesem gewissen Sicherheitsabstand gezaubert."

Höhepunkt waren die Bierflaschen, die er plötzlich hervorzauberte und an die anwesenden Punks verteilte. "Da war ich natürlich der Star", erinnert sich Matheis und lacht. Der erste richtig große Erfolg stellte sich 1992 ein. Zusammen mit einem Schulfreund und zwei weiteren Gauklern zog er als "Magisches Spektakulum" durch die Lande - Signora Tre Face, Frascatelli, Shri Magada und Doctor Marrax. "Dabei habe ich die Moderation gelernt, denn die Effekte der Zauberei sind ja immer nur kurz."

Eberhard Riese, seinerzeit Vizepräsident des Magischen Zirkels Deutschland, veröffentlichte in seinem Fachorgan einen großen Artikel. Die Fachwelt wurde aufmerksam. Ein Jahr später folgte der deutsche Meistertitel in der Sprechzauberei. "Jetzt öffnen sich die Türen, habe ich gedacht. Dann bin ich mutig geworden." Matheis reduzierte Zug um Zug seinen bürgerlichen Beruf. Die Bühnen, ob groß oder klein, stehen nun in ganz Europa, aber auch in den USA, Indien, Kuba oder Japan. "Oder in der Stadtbücherei in Nufringen."

Matheis und sein Doctor, sie sind bodenständig geblieben, trotz der vielen Reisen und der vielen Erfolge. "Doch die sind mir gar nicht so wichtig. Mein Ding ist die Straßenzauberei oder auch die kleine Bühne." Und obwohl sein Broterwerb jetzt ausschließlich die Zauberei ist, sieht er sein Alter Ego nicht als Last. "Das ist Passion", sagt er, "und dabei bin ich ständig am Schaffen. Auch im Kaffee, wenn ich Zeitung lese. In meinem Kopf geht es immer um Zauberei." Und sein Kopf geht viel spazieren: Matheis mit seinem Rauschebart gehört zum allgemeinen Straßenbild in Feuerbach.

Dabei arbeitet er Ideen durch. "Gerade zum Beispiel geht es um das Festival der Illusionen im Januar in Sindelfingen. 100 Jahre Magischer Zirkel. Ich soll durchs Programm führen und arbeite jetzt schon an der Moderation." Doch erst einmal wird gefeiert. Der Doctor hält Sprechstunde auf der kleinen Bühne, die er so liebt. In Eliszi's Jahrmarktstheater im Killesbergpark gibt es ein dreitägiges Jubiläumsprogramm. Am Freitag, 7. Oktober, um 20 Uhr zeigt er die Zauberrevue "Die magischen Drei" zusammen mit Phillip Flint und Filou. Am Samstag, 8. Oktober, gibt es um 16 Uhr sein Kindertheater, und um 20 Uhr beginnt das magisch-medizinische Wunder mit "Doctor Marrax & Söhne". Am Sonntag, 9. Oktober, kommen um 16 Uhr noch einmal die Kinder dran. Ans Aufhören denkt Matheis noch nicht. "Der Doctor wird ja, je älter er wird, immer interessanter. Der Bart wird länger und grauer. Nein, ich habe noch viele Ideen."