Der VfB Stuttgart träumt von der Champions League. Am Bundesliga-Gegner von diesem Freitag zeigte sich in dieser Saison, was da so alles schieflaufen kann. Höhenflug und Absturz – eine Analyse.
Das Märchen endete in einem Albtraum. Der 1. FC Union Berlin, vor knapp fünf Jahren noch Zweitligist, durfte in dieser Saison in der Champions League im Bernabéu gegen Real Madrid spielen: Die Eisernen bei den Königlichen – der Kontrast der inoffiziellen Clubnamen spiegelte auch die Vereine mit ihren Wegen und ihrem Wesen perfekt wider. Dann wurden die Eisernen nach dem 0:1 gegen Real gebogen auf ihrem Tanz auf drei Hochzeiten, bei dem sie am Ende komplett aus dem Rhythmus kamen.
Eisern Union ging durchs Stahlbad. Die Euphorie nach dem Einzug in die Königsklasse wich der Ernüchterung, weil die Köpenicker nur noch verloren, in allen Wettbewerben. Vor knapp vier Monaten, am Tiefpunkt, ging der Erfolgscoach Urs Fischer – gibt es also mit dem Blick auf diese Talfahrt so etwas wie einen Champions-League-Fluch für Clubs, die diesen Wettbewerb und dessen Herausforderungen (Mehrfachbelastung, Fokus auch auf das Kerngeschäft Bundesliga behalten) nicht gewohnt sind?
Rund um den VfB Stuttgart, der Union an diesem Freitagabend (20.30 Uhr) zum Bundesliga-Spiel empfängt, könnte sich diese Frage auch bald stellen. Wenn es ideal läuft aus VfB-Sicht, klappt es mit dem Einzug in die Königsklasse – wenn es dann in der neuen Saison weiter ideal läuft, dann gerät der aktuelle Ligadritte mit dem neuen, großen Wettbewerb aber nicht auf den Misserfolgsweg, den die Berliner gegangen sind und tappt damit nicht in die berühmte Champions-League-Falle.
Die Herausforderungen für den Stuttgarter Sportdirektor Fabian Wohlgemuth sind nun in der Planungsphase klar. Er muss den Kader so aufstellen, dass er für drei Wettbewerbe gerüstet ist, er muss das Team also in Breite und Spitze im Idealfall verstärken und neue Reize setzen, ohne das Mannschaftsgefüge samt Binnenklima zu verschlechtern. Es gibt weniger knifflige Aufgaben für einen Sportdirektor, zumal Wohlgemuth ja noch mit einigen unbekannten Variablen zu kämpfen hat – etwa mit jener, ob der ausgeliehene Stürmer Deniz Undav auch in der neuen Runde noch das Trikot mit dem Brustring trägt oder nicht, solche Dinge.
Der Rückblick auf das, was beim anstehenden Gegner so alles schiefgelaufen ist, könnte Wohlgemuth und den VfB-Strategen nun zumindest den einen oder anderen Hinweis darauf geben, was man in der Planung der neuen Saison vermeiden könnte. Oder besser: sollte.
Nun hat die Talsohle Unions im Herbst und Winter viele Gesichtspunkte, die nicht immer erklärbar sind – Fußball halt, mit all seinen Irrungen und Wirrungen, Kopfsachen, Negativläufen und so weiter. Auffällig bei Union sind aber ein paar Dinge, die man zumindest hinterher als Fehler bezeichnen kann. So fahndeten die Verantwortlichen im vergangenen Sommer plötzlich vermehrt nach Profis, die die berühmte individuelle Qualität mitbringen, um in der Königsklasse zumindest bestehen zu können. Vorher hatte Union Erfolg damit, eher nur Spieler zu holen, die aus Deutschland kamen und die erste und zweite Liga kannten. Neu war parallel dazu jetzt auch, dass das Transferbudget qua künftiger hoher Einnahmen aus der Champions League größer war – der Pool an möglichen Neuverpflichtungen wurde also auch größer als gewohnt. Oder anders: Es wurde irgendwann alles furchtbar kompliziert auf dem Transfermarkt.
So kompliziert, dass die Eisernen ein Hauptziel aus den Augen verloren: den Kader zum Trainingsstart komplett zu haben. Viele Deals zogen sich länger hin als erwartet, weshalb Union zum Ende der Transferperiode einige neue Spieler im Aufgebot hatte, die die Bundesliga noch gar nicht oder nicht lange kannten – und auch noch nicht wirklich eine Ahnung davon hatten, wie ihr neuer Trainer Urs Fischer denn so Fußball spielen lassen will. Dazu zählen prominente Profis wie Robin Gosens oder Leonardo Bonucci, auch Kevin Volland war trotz früherer Vergangenheit in der Bundesliga in Berlin am Anfang vor allem eines: überfordert.
So begann der Negativlauf, und dann kam eines zum anderen. Das Team war nicht eingespielt – und das vorher gefertigte Spielsystem plötzlich nicht mehr austariert. Unions Trumpf war immer die Defensive, dann gab es in der Talsohle einige Stimmen aus der Mannschaft, dass man offensiver spielen müsse und so Erfolg haben könne. Das Ende vom Lied: Das frühere Prunkstück, die gemeinsame Arbeit gegen den Ball, war keines mehr. Die Abwehr wurde vernachlässigt. „Im Abstiegskampf“, sagte Trainer Fischer im November, „brauchst du eine andere Körpersprache und Mentalität.“ Der Zusammenhalt im Team und das Binnenverhältnis mit dem Coach waren zwar intakt, am Ende zerbrach aber alles – fußballerisch.
Fischer ging, der Kroate Nenad Bjelica kam – dank des Impulses durch den Trainerwechsel haben sich die Berliner vor dem Gastspiel beim VfB längst wieder gefangen und sich inzwischen einen satten Acht-Punkte-Vorsprung auf die Abstiegszone erarbeitet. So einfach kann Fußball auch sein: Schweren Zeiten folgen wieder leichtere. Zu beobachten in der turbulenten ersten Champions-League-Saison des 1. FC Union Berlin.