Tobias Reichel ist auf der Karriereleiter der Schiedsrichter inzwischen in der 2. Bundesliga angekommen – doch das muss noch nicht das Ende sein. Foto: Eibner

Fußball: Akkordeon-Vizeweltmeister aus Maichingen macht Sprung auf der Karriereleiter.

Ob im Maichinger Akkordeon-Orchester mit seinem Handzuginstrument oder als Unparteiischer mit der Pfeife im Mund, Tobias Reichel gelingt es (fast) immer, seinen Lieblingsinstrumenten die richtigen Töne zu entlocken.

Dies hat dazu geführt hat, dass sich der Maichinger mit Wahlheimat in Stuttgart einerseits Vizeweltmeister als Akkordeonspieler im Orchester nennen darf und er andererseits nach seinem Aufstieg in die 2. Fußball-Bundesliga ab der Saison 2017/2018 als Schiedsrichter Spiele in der 2. Liga leiten wird und zudem in der 1. Bundesliga an der Seitenlinie zu sehen sein wird. Damit ist Tobias Reichel in den elitären Kreis der 44 besten Unparteiischen Deutschlands aufgestiegen.

Knut Kircher, Schiedsrichter- Legende aus Rottenburg, auf die Frage, ob er Tobias Reichel zutraut, dass er noch den Sprung in die 1. Liga schafft? "Warum nicht? Er ist ein sehr sachlicher Typ, den ich auch schon an der Linie dabei hatte. Er ist regelkundig, bringt die nötige Ruhe und Souveränität mit und besitzt auch das nötige Auftreten, um sich überall entsprechend zu bewegen."

Solch Lob aus dem Mund eines der besten deutschen Schiedsrichters aller Zeiten kommt ja fast schon einem Ritterschlag gleich. Da will auch der oberste Chef des Fußballbezirks Böblingen/ Calw, der Bondorfer Richard Armbruster, nicht zurückstehen, denn auch er schlägt in die gleiche Kerbe: "Er hat die nötige Ruhe, ist sachlich. Ich traue es ihm zu, Spiele in der 1. Liga zu leiten. Vorrangiges Ziel für ihn muss aber sein, in der neuen Umgebung Fuß zu fassen und sich zu etablieren."

Immerhin hat Tobias Reichel mit seinen fast 32 Jahren den Sprung aufs Bezirksstockerl geschafft – zwar "nur" auf Platz drei, denn noch stehen der Holzgerlinger Albert Binder (Schiedsrichter 1. Liga) und eben Richard Armbruster (Schiedsrichterassistent 1. Liga) in der Hitliste des Fußballbezirks Böblingen/ Calw vor ihm.

Der Vollständigkeit halber muss freilich erwähnt werden, dass es da ja auch noch Christine Baitinger gibt, die den Bezirk schon bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen vertreten hat – aber eben bei den Frauen und nicht bei den Männern.

Tobias Reichel musste einen langen Weg gehen, ehe er in der Beletage der deutschen Schiedsrichter Einlass gefunden hat. Eigentlich müsste er sich speziell bei seinem Maichinger Kumpel Sebastian Stolz bedanken, denn der spielte Schicksal; er lockte Tobias Reichel zu den Regelkundlern, denn irgendwie gab es dieses Duo aus der Sindelfinger Teilgemeinde nur im Doppelpack. Das gilt für den AVM, den Akkordeon Verein Maichingen, für die Jugend beim GSV Maichingen oder später für die Schiedsrichter. Immer war klar: Wo der eine ums Eck kommt, da ist der andere nicht weit.

Über seine vier Jahre ältere Schwester Melanie hatte Tobias Reichel seine Liebe zum Akkordeon gefunden. Musik, Fußball und als 15-Jähriger auch noch die Schiedsrichterei, das sind drei durchaus zeitraubende Hobbys – und dann war da auch noch eine Einrichtung, die man Schule nennt. Irgendwann musste er sich entscheiden, wohin die Reise gehen soll. So wurden die Treter an den Nagel gehängt und das Musikinstrument verpackt, denn im Jahr 2000 – als Schiedsrichter bei den D-Jugendlich – begann sein relativ steiler Aufstieg als Unparteiischer.

Hat er etwa damals schon von der Bundesliga geträumt? "Ein Traum war das schon. Realistisch war es für mich, irgendwann in der Bezirksliga Spiele zu leiten." Aha, Bezirksliga. Ein Jahr nach seinem Start pfiff er bei den A-Jugendlichen, drei weitere Spielzeiten später war er im Oberhaus des Bezirks angekom-men. Das war 2004.

Dann ging es jedes Jahr auf der Erfolgleiter eine Sprosse nach oben. Landesliga, Verbandsliga und Oberliga bildeten die Zwischenstationen, ehe er einen Karriereknick durchmachen musste. Es folgten fünf Jahre in der Regionalliga und vier in der 3. Liga.

"Das ist nun einmal so", sagt Tobias Reichel. "Man muss sich eine Pyramide vorstellen. Je weiter man nach oben kommt, umso weniger freie Plätze gibt es. Manchmal bin ich nur knapp am Aufstieg gescheitert. Meiner Entwicklung hat es nur gutgetan." So gut, dass es nun doch geklappt hat mit Liga 2.

"Irgendwann habe ich gedacht, so das war’s, erinnert sich Tobias Reichel über seine Zeit in der 3. Liga. "Die vergangene Saison lief für mich überragend, und die Benotung ist entsprechend ausgefallen.“ Und jetzt, lockt vielleicht sogar die 1. Bundesliga? "Ja klar", sagt Tobias Reichel. "Wenn es nicht so wäre, würde ja etwas falsch laufen."

Doch zunächst heißt es schau’n wir mal – ankommen und eingewöhnen ist angesagt. Dazu gehört, dass er beobachtet, wie es die arrivierten Schiedsrichter so machen. "Es wird sich alles entwickeln. Wichtig wird es sein, wie mein erstes Spiel läuft."

Und wenn man Tobias Reichel nach seinem schönsten Erlebnis fragt, erinnert er sich an seinen Auftritt an der Linie bei der Begegnung Karlsruher Sport Club gegen den 1. FC Kaiserslautern als Assistent von Knut Kircher.

Beruflich ist Tobias Reichel im Marketingbereich einer Krankenversicherung tätig, als Unparteiischer bundesweit unterwegs. Dann gibt es da noch die langjährige Lebensgefährtin Isabell. Bleibt da noch Platz für andere Dinge und Hobbys? "Alles eine Frage der Organisation. Klar habe ich Defizite im Freundeskreis. Ich kann nicht überall dabei sein. Meine Partnerin unterstützt mich da sehr. Was allerdings nicht gleichbedeutend ist, das ich vom Wäsche waschen oder Wohnung putzen befreit bin."

Umso intensiver genießen die beiden ihre spärliche Freizeit, in der ein weiteres Hobby in Angriff genommen wird: Reisen. Thailand, Kuba, Australien, Schweden und Polen waren schon Reiseziele.

Das könnte Tobias Reichel in Zukunft einfacher und billiger haben. Er muss nur in die 1. Liga aufsteigen, um anschließend den letzten Schritt zu gehen – und der heißt UEFA. Dann würde er auch die letzten Winkel Europas kennenlernen.