Grübelt noch in Freiburg über seine Zukunft: Bundestrainer Joachim Löw. Foto: Gebert

Nationalmannschaft: Präsidium spricht sich in Telefonkonferenz einstimmig für Verbleib aus. Mit Umfrage

Alle warten auf eine Nachricht aus Freiburg – und nicht nur auf Bilder von Joachim Löw aus dem "Café Auszeit". Will der Bundestrainer allen Widerständen trotzen?

Hat Löw die Kraft und die Zuversicht, die am Boden liegende Fußball-Nationalmannschaft wieder aufzurichten? Ist er wirklich bereit zu radikalen und damit auch unbequemen Veränderungen – sogar bei sich selbst?

Die Verbandsbosse und auch seine bei der Weltmeisterschaft in Russland desolat aufgetretenen Spieler haben dem angeschlagenen Chefcoach eine Brücke gebaut. In der neuen Woche wird vom 58-jährigen Löw eine Entscheidung gefordert, ob er darüber gehen will.

Ein erstes Signal kam über die "Bild am Sonntag", die Fotos von einem lässig wirkenden Löw in seiner Heimatstadt Freiburg veröffentlichte. Der 58-Jährige fuhr in einem schwarzen Oldtimer-Cabrio aus den 60-er Jahren zu seinem Stammcafé vor. Er diskutierte dort mit Freunden. Löw wirkte so, wie er sich auch in den schwierigen WM-Tagen demonstrativ präsentierte: keine Panik, ich habe die Lage im Griff.

Die war ihm jedoch beim viel zu kurzen WM-Aufenthalt in Russland entglitten. "Im Moment habe ich keine schlüssige Antwort darauf", sagte er nach dem K.o. gegen Südkorea. Jetzt muss der Südbadener mit einer knallharten Analyse und einem klaren Veränderungsplan die Zweifel zerstreuen, dass er Richtung EM 2020 neue Antworten geben könnte.

Jérôme Boateng und Sami Khedira, zwei aus der Weltmeister-Generation von 2014, haben ihrem Chef bereits den Wunsch übermittelt, ihn gerne weiter im Amt zu sehen. "Auf jeden Fall", sagte der 29 Jahre alte Abwehrspieler Boateng in der "Welt am Sonntag" und betonte: "Wir Spieler waren und sind in der Pflicht. Wir standen auf dem Spielfeld. Der Trainer hat uns klare Worte und Anweisungen mitgegeben, die wir nicht umgesetzt bekommen haben." Allerdings sagte Boateng auch, ohne speziell den Trainer zu erwähnen, dass alle "blauäugig in das Turnier gegangen" seien. Und einfach den Schalter umlegen, "ging dann nicht". Ein fatales Urteil.

Der Verband steckt in der Löw-Frage nach dem ersten Vorrunden-Aus einer deutschen Nationalelf bei einer WM-Endrunde im Dilemma. Einerseits scheint die komplette DFB-Führung einschließlich Direktor Oliver Bierhoff weiter voll auf die Karte Löw zu setzen. Das ließ sich Verbandsboss Reinhard Grindel nochmals in einer Telefonkonferenz von seinen Präsidiumskollegen bestätigen. "Da gibt es keine andere Meinung – ein klarer Vertrauensbeweis", hieß es danach aus dem DFB.

Andererseits wissen Grindel und Bierhoff, der selbst einen Teil an der Verantwortung für die WM-Blamage trägt: Ein einfaches "Weiter so" kann es in dieser Situation nicht geben. Löw müsste die von ihm selbst angekündigten "tiefgehenden Veränderungen" auch auf seinen Führungsstil und sein engeres Umfeld anwenden. Er müsste in Zukunft auch Widerstände, Widersprüche und eine kollektive Beratung zulassen. Was derzeit nur schwer vorstellbar scheint.

Bierhoffs Verhältnis zu Löw dürfte ein wesentlicher Faktor sein. Der Vertrag des Nationalmannschaftsmanagers, der zugleich als Direktor des Elitebereichs bei einem Löw-Rücktritt die Nachfolge regeln müsste, war vom DFB vor der WM in Russland bis 2024 verlängert worden und damit sogar noch um zwei Jahre mehr als der Kontrakt von Löw. "Wir wissen, dass sich die Mannschaft nicht so präsentiert hat, wie sie sich in den letzten Jahren gezeigt hat", bemerkte der ehemalige DFB-Kapitän: "Da müssen wir Dinge angreifen."

Löw müsste sich von einem Teil der goldenen Generation um Boateng, Khedira, Manuel Neuer, Mats Hummels, Toni Kroos, Mesut Özil und Thomas Müller trennen, um mit Blick auf die EM 2020 und die WM 2022 eine bessere Struktur als in Russland zu finden. Diese Generation hat aber wesentlich dazu beigetragen, dass der gebürtige Schwarzwälder seine exponierte Stellung im Nationalmannschafts- und Verbands-Gefüge erreichen konnte.

Boateng sieht von sich aus keinen Grund zum Verzicht auf die DFB-Auswahl: "Ich sehe mich auch überhaupt noch nicht am Zenit meiner Leistungsfähigkeit angekommen." Er grübelt weiter, wie es zum WM-Desaster kommen konnte: "Es ist tatsächlich schwer nachvollziehbar, dass man bei einer WM so auftritt. Ich will nicht sagen lustlos, aber wir sind wie gelähmt aufgetreten."

Causa Löw: Pro und Contra

Ist Joachim Löw noch der richtige Trainer für die Nationalmannschaft?

Seit dem frühen Aus bei der WM in Russland – und sogar dem letzten Platz in der Gruppe – diskutiert ganz Deutschland, ob Joachim Löw weitermachen soll, oder ob sich der DFB einen neuen Mann auf der Bank suchen sollte.

PRO

Es ist ein alter Reflex, beim Scheitern einer Mannschaft zuerst den Trainer in Frage zu stellen. Doch so einfach ist es nicht. Was kann der Bundestrainer zum Beispiel dafür, dass sich Mesut Özil und Ilkay Gündogan in seltener Naivität zur Unzeit vom türkischen Präsidenten vor den Wahlkampf-Karren spannen ließen?

Natürlich muss sich auch Löw hinterfragen, warum seine Spieler wie in Zeitlupe über den Platz schlichen, nach dem missglückten Auftakt auch noch lähmende Angst vor Fehlpässen entwickelten und in puncto Einfallsreichtum so kreativ waren wie ein Murmeltier im Winterschlaf.

Auch Löw selber hat es sich die letzten Jahre mit dem Weltmeisterbonus zu einfach gemacht. Schlechte Spiele wurden einfach abgehakt, echte Lehren nicht gezogen. "Wir können es besser", hieß es dann, "wenn es darauf ankommt." Das hat sich jetzt als Trugschluss entpuppt.

Aber: Sie können es allesamt – auch Löw – tatsächlich besser, das haben sie schließlich mit dem Weltmeistertitel 2014 bewiesen. Daher ist das frühe Scheitern jetzt besser als ein Scheitern im Achtelfinale gegen Brasilien, denn das hätte den wahren Kern des Problems, die aufgekommene Bequemlichkeit, überdeckt.

Löw wird jetzt wieder die Ärmel hochkrempeln und von seinen Männern höchste Konzentration und höchste Leistung verlangen. Einige der WM-Fahrer sind dazu nicht mehr in der Lage. Die muss er aussortieren und durch die hungrigen Jungen ersetzen. Löw kann das – das hat er beim Confed-Cup 2017 eindrucksvoll bewiesen.

Jetzt sollten wir alle wieder eine Hysterie-Stufe herunterschalten und Jogi Löw für die EM 2020 das tun lassen, was er zwölf Jahre lang höchst erfolgreich getan hat: eine Siegertruppe formen.

Zur Person: Peter Flaig ist Leiter der Sportredaktion.

CONTRA

"Ich muss mich selber hinterfragen. Es braucht Zeit, ein paar Gespräche, und dann werden wir eine klare Antwort geben", sagte Bundestrainer Joachim Löw nach der Landung der deutschen Nationalmannschaft auf dem Frankfurter Flughafen. Es brauche "tief greifende Maßnahmen" und "klare Veränderungen", meinte Löw. Nur: Wie sollen die aussehen, wenn der Architekt des deutschen WM-Versagens an seinem Cheftrainer-Posten festhalten sollte?

Keine Frage, einen nicht unerheblichen Teil des deutschen Vorrunden-Aus haben die Spieler zu verantworten. Löw hat es aber nicht geschafft, "Die Mannschaft" zu formen. Der Bundestrainer setzte das Leistungsprinzip außer Kraft, hielt stur an seinem Stammpersonal fest. Dass dieses Weiter-so nicht funktionieren würde, zeichnete sich schon vor der WM ab. Konsequenzen? Fehlanzeige. Stattdessen wurde beinahe Mantra-artig der Mythos der Turniermannschaft beschworen. Das Motto: "Irgendwie wird das schon klappen".

Und jetzt? Löw steht vor einem Scherbenhaufen, den er mit verursacht hat. Sollte sich der 58-Jährige wirklich – wie angekündigt – eingehend hinterfragen, kann er nur zu einer einzigen "klaren Antwort" kommen: "Ich höre auf."

Nur wenn Löw seinen Hut nimmt, kann ein wahrer Umbruch in Gang gesetzt werden. Mit Löws Abdanken würde der Betreuerstab ausgetauscht, wäre das in die Jahre gekommene Spielsystem Geschichte. Ein neuer Bundestrainer könnte unvoreingenommen jeden Spieler im WM-Kader auf seine Tauglichkeit überprüfen – und würde wahrscheinlich ohne die üblichen Verdächtigen den Neustart angehen.

Nach zwölf Jahren Löw braucht "Die Mannschaft" endlich neue Impulse, und die wird es nur mit neuen Gesichtern in der Coaching-Zone geben.

Zur Person: Christian Marull ist Sportredakteur unserer Zeitung.