Stephan Graf von Bothmer begleitet in bester Stummfilm-Manier das WM-Spiel zwischen dem Iran und den USA. Foto: Thiercy

Rappelvolle Konzerthäuser so kennt es Stephan Graf von Bothmer, wenn er als Klaviervirtuose hochkarätige Fußballspiele in bester Stummfilm-Manier begleitet. Doch in der Stadthalle spielte er vor fast leerem Haus.

Balingen - Elf Karten wurden verkauft, erzählt Stadthallen-Geschäftsführer Jörn de Haan. Hinzu kamen Tickets aus einem Gewinnspiel. Aber auch die wurden nicht alle abgerufen. Im Gegenteil: zwei Karten wurden zurückgegeben, weil aus rechtlichen und damit finanziellen Gründen auf das Spiel Iran gegen die USA ausgewichen werden musste. "So viel… Luft habe ich noch in keinem Saal erlebt", sagte von Bothmer. Und blieb professionell und gut gelaunt.

Kurzzeitig sei eine Absage des ungewöhnlichen Public Viewings im Raum gestanden, so das Stadthallen-Team. Doch der Künstler wollte den Abend um jeden Preis bestreiten, reiste acht Stunden lang plus anderthalbstündiger Verspätung aus der Hauptstadt nach Balingen. Bei der Ankunft war er so fertig, dass er erst einmal einen starken Kaffee gebraucht hatte.

Beim Elfmeter lässt er es krachen

Vor dem Anpfiff in Katar plauderte der Pianist augenzwinkernd aus dem Nähkästchen. Etwa über seine besondere Beobachtung, dass er der deutschen Mannschaft schon so manches Mal mit gezielter Taktwahl zum Sieg verholfen habe. Das sagt er mit einem Schmunzeln und verrät weiter, dass er legendäre Stummfilmmusik immer so einsetze, dass sie zu den Szenen auf dem Spielfeld passen. Die Spieler traben lustlos über das Feld? Gesetzte Töne. Ein Elfmeter steht an? Holla, die Waldfee: Von Bothmer haut in die Tasten, dass es kracht.

Es ist eine musikalische Fußballfeier und eigentlich schade, dass so etwas nicht bis in den Wüstenstaat übertragen wird. Ob er enttäuscht ist von der laschen Resonanz auf dieses außergewöhnliche Kunsterlebnis? Jörn de Haan verneint. "Man steckt da nie drin", meint er. Vergangene Woche sei der Vorverkauf für eine Veranstaltung schleppend gewesen. "Und plötzlich standen da 170 Leute an der Abendkasse Schlange." Da sei es aber auch nicht um die WM gegangen.

Konzert gegen Verwaltungsausschuss

Die meisten, die er auf den außergewöhnlichen Abend auch im privaten Umfeld angesprochen habe hätten gesagt, dass sie die WM in Katar aus Prinzip nicht schauen. Kurzzeitig habe man überlegt, das Konzert vom großen in den kleinen Saal zu verlegen. Dort aber tagte der Verwaltungsausschuss des Gemeinderats und so blieb der Steinway-Flügel auf der ganz großen Balinger Bühne. Der Akustik hat das sicherlich mehr als gut getan.

Bevor von Bothmer die jeweiligen Nationalhymnen spielte, zeigte Jörn de Haan, wie sehr im das Publikum der Stadthalle am Herzen liegt. Ausnahmsweise durften Bierflaschen mit in die Fankurven genommen werden. Oder, wie ein Gast sagte: "Ohne Bier ist Fußball nix!" Das mag stimmen. Für den einen oder die andere dürfte es vielleicht nach diesem Abend eine andere Weisheit geben. Nämlich: Schaltet den nervenden Kommentatoren den Ton ab und hört lieber gute Musik.