Neue Berufsbilder für eine neue Zeit. Bei Kultur am Dobel analysierte Mike Jörg unter anderem das Zukunftspotenzial von Blasenbläsern und Phrasendreschern. Foto: Eberhardt Foto: Schwarzwälder-Bote

Ganz schön bissig: Mike Jörg analysiert bei Kultur am Dobel, wo der Hase im Pfeffer begraben liegt

Von Tina Eberhardt Freudenstadt. "Wa(hr) was?" – mit seinem satirischen Jahresrückblick läutete der Kabarettist Mike Jörg die nächste Runde bei Kultur am Dobel ein. Großes und Kleines, Amüsantes und Skurriles, Aufmunterndes und Beklemmendes wurde nochmals aus den Kammern des Gedächtnisses gezerrt.Komisch war alles, was Jörg zu Tage wühlte, doch mitnichten alles immer lustig. "War es ein gutes Jahr für Sie?", startete Jörg den Abend des geselligen Widerkäuens mit einem herausfordernden Wink in die Runde. Nun ja, was ist schon gut – der Schwabe tut sich mit Positiv-Bilanzen ohnehin schwer. Lieber die Welt kritisch sehen, dann ist nachher die Enttäuschung nicht so groß. Hier, so Jörgs scharfsinnige Analyse, liegt nämlich der Hase im Pfeffer: "Negative Sachen sind die, mit denen man nicht gerechnet hat." Das gilt demnach für den Berliner Flughafen genauso wie für die amerikanische Mutter, die ihrem Sohn die Leidenschaft für Schnellfeuerwaffen eingepflanzt hatte – und vergessen hatte, die Spielregeln zu erklären.

Blatt für Blatt werden über den Scanner der Erinnerung gezogen

Anhand von Schlagzeilen und Titelblättern der Tagespresse zog Jörg das Jahr Blatt für Blatt über den Scanner der Erinnerung. Bissig, pointiert und gnadenlos entschleierte er Illusionen und Ignorantentum gleichermaßen. "Viele wollen das ja gar nicht so genau wissen, das belastet sie nur." Doch Jörg stocherte erbarmungslos im Wespennest der Verdrängung. Seine Schlüsse waren unterhaltsam, teils brillant und so unerbittlich, dass man stellenweise nicht mehr wusste, ob man lachen oder anständigerweise doch lieber weinen sollte.

Mit kriminalistischem Vergnügen kitzelte Jörg das Publikum an den Rand der Empörung und enttarnte gleichzeitig Phlegma und Schlachtlamm-Mentalität der Wohlstandsgesellschaft. Wer wusste denn schon noch, dass die Justiz offiziell den Verkauf von Bürgerdaten legitimiert hatte. Noch weniger erinnerte man sich an den menschlichen Einzelteilehandel, der sich im Nachgang des arabischen Frühlings auf dem Sinai etabliert hatte. Und dass in Münchner Bars jetzt Roboter bedienen – um sich so auf einen Job in der Altenpflege vorzubereiten – hatte bestenfalls Unterhaltungswert.

Mit Streicheleinheiten tut sich ein Kabarettist schwer

Der Horrorkomödien-Charakter des Programms ist beruflich bedingt. Als politischer Kabarettist tut man sich mit Seelenstreicheleinheiten schwer, "sonst heißt es nachher, der Mike Jörg ist jetzt auch esoterisch geworden. Aber die Welt wird nicht besser, wenn Ihr jetzt alle den Rüssel runter hängt." Ohnehin lebt man heute in einer neuen Epoche: "Es gab die Eiszeit, die Bronzezeit, heute ist die Blasenzeit". Was heute aufsteigt, ist also morgen zerplatzt. Das gilt für Immobilien offenbar genauso wie für Politiker und Sportler.

Man musste aber nicht schwermütig nach Hause gehen. Nein, der satirische Jahresrückblick von Mike Jörg ist nicht deprimierend, sondern vielmehr reinigend. Denn nachdem alles bewertet und mit philosophischem Tiefgang eingeordnet war, landete es im Schlund von Jörgs unverzichtbarem Begleiter, der Mülltonne des Gedächtnisses. Damit Platz ist für ein neues Jahr, "bessere Geschichten", und reichlich Material für brillante Satire.