Ärztegebühren: Mediziner rechnet zu viel ab

Wer um einen Angehörigen trauert, stellt oft keine Fragen nach dem Geld. Manche schon. Dabei kam heraus: Ein Arzt aus dem Raum Freudenstadt stellte für Totenscheine zu hohe Rechnungen aus. Das ist unzulässig, offenbar kein Einzelfall und ein altes Streitthema um die Frage: Wann ist ein Mensch eigentlich tot, im rechtlichen Sinne?

Freudenstadt. Für die betreffende Familie kam es doppelt traurig: Innerhalb eines Jahres starben beide Elternteile, jeweils nachts in einem Freudenstädter Seniorenheim. In beiden Fällen wurde dem üblichen Ablauf zufolge ein Arzt zur so genannten "Leichenschau" gerufen, der nach einer Untersuchung offiziell den Tod feststellte und den Totenschein ausstellte.

In beiden Fällen folgte eine Rechnung des Mediziners an die Familie, über einen Betrag von jeweils rund 112 Euro. Was die Angehörigen stutzig machte, war der Rechnungsposten nach Ziffer 50 der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ): Besuch, einschließlich Beratung. "Als ob ein Toter noch beraten werden müsste", ärgert sich der Sohn. Eine kritische Nachfrage beim Arzt nach dem ersten Todesfall sei unbeantwortet geblieben, nach der Rechnung im zweiten Todesfall habe er Anzeige erstattet.

Der Verdacht auf falsche Abrechnung scheint begründet. Der Fall fügt sich ein in eine jahrelange Rechtsdebatte um eine für Laien zunächst seltsam anmutende Frage: Ab wann gilt ein Mensch offiziell als gestorben? Die juristische Antwort: Wenn der Tod von einem Arzt festgestellt wurde. Genau das erfolgt bei der "Leichenschau". Aber wie ist die Lage bis zum Eintreffen des Arztes?

Der Deutsche Ärzteverlag in Berlin kam beispielsweise zur Auffassung, dass von "Dritten" in vielen Fällen gar nicht eindeutig beurteilt werden könne, ob eine Person im Sterben liege oder bereits tot sei. Im Übrigen sei die Meinung von Laien "juristisch irrelevant". Im Kern der Diskussion geht es jedoch nicht um fachliche Kompetenzen, sondern ums Geld: Einige Ärzte rechnen nicht nur die "Leichenschau" nach GOÄ-Ziffer 100 ab, sondern obendrauf eine "Besuchsgebühr" nach Ziffer 50. Sie regelt, was der Arzt für den Besuch eines lebendigen Patienten abrechnen darf, und wird im Normalfall von der Krankenkasse übernommen. Allerdings akzeptieren die Kassen keine Besuchsgebühr im Zusammenhang mit einer "Leichenschau". Die Angehörigen bleiben auf den Kosten sitzen.

Vom Gesetz her ist ein Arzt verpflichtet, sich "umgehend" auf den Weg zu machen, wenn er zur "Leichenschau" gerufen wird. Dafür kann er laut Verordnung Kilometergeld berechnen und höhere Verrechnungssätze geltend machen, etwa Zuschläge für die Untersuchung von Toten in der Nacht oder an Wochenenden. In den beiden Freudenstädter Fällen hätte die Rechnungen trotzdem um rund 45 Euro (60 Prozent) günstiger ausfallen müssen.

Im Dauerstreit gehen auf Verbraucherschutz-Foren im Internet die Meinungen von Kritikern, die von "Wucher" sprechen, und Ärzten auseinander. "Einen Gas-Wasser-Installateur kriegen Sie unter 150 Euro auch nicht nach Hause", kontert ein Mediziner. Allerdings gibt es eine Reihe von rechtskräftigen Urteilen, etwa vom Landgericht Kiel vom Juni vorigen Jahres. Sie alle kommen zum selben Urteil: Die Anrechnung der Besuchsgebühr sei "unzulässig" bei einer Leichenschau, der Arzt dürfe nicht doppelt kassieren.

Peter Griebele, Experte für Pflege und Gesundheit bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg, kommt zu einer ähnlichen Auffassung: Was die Ärzte in solchen Fällen abrechnen könnten, sei zwar "nicht gerade überbordend viel". Sie könnten für eine gründliche Untersuchung "mit einiger Berechtigung mehr fordern". Aber das müssten sie mit dem Gesetzgeber aushandeln, dürften nicht über "eine Behelfskonstruktion" eigenmächtig mehr von den Angehörigen holen. "Das ist kein Vorgehen im Umgang mit Trauernden und passt nicht zum Berufsstand der Ärzte", so Griebele. Seine Empfehlung an Angehörige bei unzulässig hohen Rechnungen: "Dem Arzt eine Info zukommen lassen, dass man das nicht in Ordnung findet."

Das haben die Angehörigen der Fälle in Freudenstadt getan und die Zahlung zunächst verweigert. Gehört haben sie seither nichts mehr vom Arzt, und auch die Ärztekammer Baden-Württemberg hält sich aus dem Fall raus – mit dem Verweis, dass sie sich nicht mehr einschalten dürfe, wenn erst mal der Rechtsweg eingeschlagen sei. Die Angehörigen betonen indessen, dass es ihnen nicht ums Geld gehe. Schließlich hätten ihnen die Eltern ein ansehnliches Vermögen hinterlassen. Es sei eine Frage des Prinzips und der Pietät: Hier werde die "Situation, in der die Angehörigen anderes im Kopf haben, schamlos ausgenutzt".