Besuch bei ihrer Arbeit mit den Senioren bekamen Emil, David, Daniel und Jeremy von Dieter Eberhardt, Jürgen Schwab, Werner Graser, Gerhard Link, Wolfgang Held, Hans-Henning Averbeck und Johannes Miller (hinten, von links). Foto: Längle

Pilotprojekt Freudenstädter "Boys’ Day Akademie" ein voller Erfolg. 20 Jungen begeistert.

Freudenstadt - Junge Männer in sozialen, erzieherischen und pflegenden Berufen sind noch immer eine Seltenheit. Unter den zehn beliebtesten Ausbildungsberufen bei Jungen findet sich keiner aus diesen Bereichen. Um Jungen andere Perspektiven aufzuzeigen, wurde die "Boys’ Day Akademie" ins Leben gerufen.

Als die Gruppe von Unterstützern und Verantwortlichen der "Boys’ Day Akademie" die jugendlichen Teinehmer besucht, sitzen diese mit einer Gruppe Senioren im Kräutergarten des Martin-Haug-Stifts. Angeleitet von einer Mitarbeiterin, machen sie ein Kräuterquiz. Beobachtet man die Jungen und die Senioren, blickt man in zufriedene Gesichter auf beiden Seiten. Auf der einen die Jugendlichen, die durch die Arbeit mit den Bewohnern Einblicke in ein für Jungen eher untypisches Arbeitsfeld bekommen und besondere Erfahrungen sammeln können, auf der anderen die Bewohner, die sich über die Zuwendung der Jugendlichen freuen.

Vertreter der beteiligten sozialen Einrichtungen und der Agentur für Arbeit trafen sich nun im Martin-Haug-Stift, um mit Bürgermeister Gerhard Link, dem Leiter der Keplerschule, Dieter Eberhardt, und Schulamtsdirektor Wolfgang Held im Gespräch mit der Presse die "Boys’ Day Akademie" vorzustellen und eine erste kleine Bilanz zu ziehen.

21 Schüler der 7. und 8. Klasse der Werkrealschule der Keplerschule treffen sich für die Akademie einmal in der Woche, um sich in einem eher frauendominierten Arbeitsfeld zu versuchen. Dabei geht es laut der Beauftragten für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt der Agentur für Arbeit, Sibylle Fischer, ausdrücklich nicht darum, Schüler für die Pflegeheime und Kindergärten zu rekrutieren, sondern vielmehr darum, den Jungen Einblicke in Berufe zu bieten, die – noch – nicht dem männlichen Rollenbild entsprechen. Wenn die Teilnehmer ihre Zukunft nach diesen Erfahrungen nicht in diesem Berufsfeld sehen, sei das Projekt dennoch ein Erfolg, meint Fischer; könne sich der eine oder andere eine Ausbildung in diesem Bereich vorstellen, sei das umso besser.

Als nachhaltigere Ergänzung zum seit 2003 stattfindenden "Boys’ Day" startete im Februar in Freudenstadt eines von vier Pilotprojekten in Baden-Württemberg – weitere Akademien gibt es in Aalen, Heilbronn und Ludwigsburg. Der Projektmitarbeiter des Oberlinhauses, Werner Graser, sieht im Standort Freudenstadt ein wichtiges Signal, dass auch im ländlichen Raum die Probleme des demografischen Wandels mit neuen Projekten angegangen werden und sich diese nicht nur auf die Ballungsräume konzentrieren. Gerhard Link kann dem nur zustimmen. Der Bürgermeister betont zudem, welch wertvolle Arbeit das Oberlinhaus, das Martin-Haug-Stift und die Keplerschule für die Stadt leisteten.

Als die Gespräche über eine mögliche Akademie im vergangenen Jahr begannen, fand das Oberlinhaus in der Agentur für Arbeit und in Schulleiter Eberhardt schnell Partner für das Projekt. Zusammen mit der Stadt Freudenstadt und den sozialen Einrichtungen habe man ein mustergültiges Netzwerk, das am Erfolg des Projekts maßgeblich beteiligt sei, so der Leiter der Agentur für Arbeit, Jürgen Schwab.

Eberhardt allerdings war anfangs skeptisch, ob sich genügend Freiwillige finden würden, die bereit sind, jeden Dienstagnachmittag zusätzlich zum Unterricht noch für drei Schulstunden zusammenzukommen. Der dafür bestimmte Elternabend sei aber überraschenderweise der bestbesuchte der letzten zehn Jahre gewesen, so der Schulleiter. So fanden sich fast alle Eltern mit ihren Söhnen in der Schule ein. Letztlich nahmen 22 Jungen zwischen 12 und 14 Jahren, mit und ohne Migrationshintergrund, an dem Projekt teil und sind, bis auf zwei Abgänge, noch immer mit Begeisterung dabei, berichtet Dieter Eberhardt. Mit ihm zeigen sich die Beteiligten aller Seiten überrascht über die große Resonanz. Als positiv werten sie, dass die Akademie sowohl in der Klasse als auch in den Elternhäusern ein Gesprächsthema sei.

Durch Gespräche mit männlichen Vorbildern in frauendominierten Berufen, Medieneinsatz und Praxiserfahrung sollen den Jugendlichen soziale Kompetenzen und Tugenden nähergebracht und die Berufsfelder als Alternative zu den klassischen Männerberufen gezeigt werden.

Auch die Zwischenbilanz der Bewohner des Martin-Haug-Stift fällt überwiegend positiv aus. Laut Hausdirektor Johannes Miller sind die Senioren offener als gedacht und empfinden die Nähe zu den Jungen als belebend.

Noch bis Dezember dauert die Pilotphase des Projekts, danach ist eine Umsetzung in ganz Baden-Württemberg geplant. Ob das Projekt tatsächlich mehr Jungen in pflegende und erzieherische Berufe bringt, wird sich erst in der Zukunft zeigen. Ein Anfang, um Vorurteile abzubauen und das Blickfeld der Jugendlichen zu erweitern, ist allerdings gemacht, und einige der Jungen können sich eine Zukunft in der Pflege zumindest vorstellen.