Unendliches Forschungsfeld: Konrad Kunze ist Mitherausgeber des Deutschen Familiennamenatlas. Bis er vollständig ist, ziehen wohl noch 20 Jahre ins Land. Foto: Schoenen Foto: Schwarzwälder Bote

Interview: Namens-Papst Konrad Kunze hält Vortrag / Ernste Wissenschaft mit heiteren Momenten

Baiersbronn-Schönmünzach. Konrad Kunze, emeritierter Professor an der Uni Freiburg, gilt als Namens-Papst. Kommende Woche hält er einen Vortrag in Schönmünzach. Der Abend verspricht launig zu werden – und interessant. Er wird anhand gängiger Familiennamen aus Baiersbronn erklären, woher sie kommen und was sie bedeuten. Wir sprachen mit ihm über ein Forschungsfeld, das tiefe Einblicke in die Geschichte des Landes und seiner Bewohner gewährt.

Herr Kunze, sind Namen nur Schall und Rauch oder doch Programm? Sagen sie was aus über die eigene Herkunft?

Programm jetzt vielleicht nicht. Auf jeden Fall steht darin viel über unsere Vorfahren geschrieben. Nachnamen sind vor etwa 800 Jahren entstanden. Sie dienten dazu, Personen mit demselben Vornamen zu unterscheiden. Wer Böhringer heißt, dessen Vorfahren lebten wohl in Böhringen und ist dann irgendwann umgesiedelt. Hier steht der Name für die Herkunft. Er kann auch den Wohnort beschreiben. So lebte ein Gruber wohl an einer Grube. Die andere Gattung sind Berufsnamen. Bei Schneider ist das offensichtlich, bei Nonnenmacher heutzutage schon nicht mehr. Aber das war mal ein sehr wichtiger Beruf, nämlich einer, der Schweine kastriert hat. Die letzte Gruppe sind persönliche Merkmale. Ein Faist war wohl korpulent, ein Gleichauf jähzornig, und ein Finkbeiner hatte wohl auffallend dünne Beine. Ein Schröder hat norddeutsche Vorfahren, denn es war im dortigen Sprachgebrauch das Wort für Schneider.

Stimmt es, dass Menschen mit dem Namen Schmied und Varianten wie Schmidt durchschnittlich 2,6 Kilo schwerer sind als Leute mit den Namen Schneider?

Es stimmt. Und sie sind durchschnittlich nicht nur schwerer, sondern auch größer. Im Sport sind überdurchschnittlich viele Schmidts Kugelstoßer oder Speerwerfer. Wo kleine, zähe Menschen erfolgreich sind, etwa beim Marathonlauf, tritt der Name Schneider auffällig oft auf.

Breitschultrige Schmiede und zarte Schneider – wie erklären Sie sich, dass sich solche Merkmale mit dem Namen vererben?

Eigentlich ist das über einen Zeitraum von 600 Jahre hinweg kaum zu glauben. Wer Fuchs hieß, war wohl mal rothaarig. Aber das rote Haar hat sich über die Generationen verloren. Bei der Herkunft des Namens durch den Beruf könnte es daran liegen, dass Schneider oft die Töchter anderer Schneider geheiratet haben, und Schmiede ebenso. Dann kam also gleiches Erbgut zusammen. Der Zusammenhang von Name und Körpermerkmalen ist allerdings auch nur bei diesen beiden Namen nachgewiesen.

Die Liste der erforschten Namen ist sehr lückenhaft. Interessierte das Thema bislang zu wenig?

Doch. Allerdings veröffentlichte die Deutsche Telekom erst vor rund 20 Jahren erstmals ein zentrales Telefonverzeichnis für ganz Deutschland. Damit lässt es sich mit einem Klick am Computer herausfinden, welche Namen es gibt, wie viele Leute in Deutschland denselben Namen haben, wo sie wohnen und wie viele unterschiedliche Schreibweisen es gibt.

Was macht Ihre Arbeit so aufwendig?

Die Deutung ist sehr schwierig. Dazu muss man alle Dialekte und Sprachen kennen. Einen Namen sicher erklären zu können, erfordert unglaublich viel Arbeit. Man muss sich absichern, etwa durch Recherchen bei Standesämtern oder in Kirchenbüchern. Erst dann darf man sich ein Urteil erlauben.

Welchen gesellschaftlichen Nutzen hat Ihre Arbeit?

Viele. Ganz allgemein: Der Mensch interessiert sich für sich selbst, das ist ihm ein Anliegen. Der Name macht einen großen Teil seiner Identität aus. Dann sind Namen eine unerschöpfliche historische Quelle: Wie hat man vor 800 Jahren gesprochen? Namen liefern auch Daten zu Bevölkerungsgeschichte. So wurde der weitgehend entvölkerte Kaiserstuhl nach dem Dreißigjährigen Krieg durch Schweizer neu besiedelt, wie die Namen zeigen. Namensforschung ist eine ungeheuer wichtige Quelle für viele wissenschaftliche Disziplinen, etwa zu Sprachentwicklung, Wirtschaftsgeschichte, Berufsentwicklungen oder Forschungen über Mentalitäten. Namen sind sprachliche Fossilien.

Das digitale Namenwörterbuch Deutschlands erklärt 60 000 Familiennamen, aber die gängigsten aus dem Kreis Freudenstadt finden sich dort trotzdem nicht. Wie viele Namen gibt es denn?

Fast eine Million in Deutschland. Dazu kommen ausländische Namen. Um sie zu erforschen, haben wir noch viel zu tun. Es wird wohl noch 20 Jahre dauern, bis wir ein vollständiges Namenslexikon für Deutschland haben.

Viele Namen in der Region treten in anderen Teilen Deutschlands viel geballter auf, etwa im Ruhrgebiet. Liegt das einfach daran, dass dort mehr Menschen leben, oder sind wir praktisch alle das, was der Schwabe "Rei’gschmeckte" nennt? Zuwanderer?

Je mehr Leute in einem Gebiet wohnen, desto öfter kommt ein Name vor. Das ist die eine Seite. Aber nachgewiesen ist auch: Etwa 80 Prozent leben dort, wo ihre Vorfahren schon immer gelebt haben. Die Menschen sind sehr sesshaft. Das, was wir Mobilität nennen, entwickelt sich erst seit rund 200 Jahren. Aber sie entwickelt sich rasant. Die Durchmischung wird in Zukunft stärker sein.

Wie kommt es, dass einige Namen ausgestorben sind?

Viele Namen kommen nur ein einziges Mal vor. Wenn der Träger keine Nachfahren hatte oder nur Töchter, die bei der Hochzeit den Nachnamen des Mannes annahmen, dann verschwindet er. Das ist ein natürlicher Prozess. Aber es gibt auch andere Gründe dafür.

Welcher Name hat Sie besonders beeindruckt?

Oh, bei einer Million Namen ist die Auswahl groß. Jeder hat seine eigene Faszination. Es gibt viele schöne Namen. Schätzle finde ich toll. Er zeigt mir, dass manche ihre Mitmenschen auch positiv eingeschätzt haben. Nachnamen wurden einem früher ja von den anderen angehängt, sie sind nicht selbst gewählt. Sie waren nicht immer freundlich, sondern oft abschätzig. Sauer hieß wohl einer, dem ein anderer das Prädikat "missmutig" angeheftet hat.

Wie glücklich sind Sie eigentlich mit Ihrem eigenen Namen?

Ich bin zufrieden. Er ist nicht zu häufig und auch nicht zu selten. Er stammt aus Ost-Mitteldeutschland und ist die Abkürzung für Konrad. Somit bedeuten bei mir Vor- und Nachname dasselbe.

Was raten Sie Menschen, die mit ihrem Nachnamen hadern oder die dafür gehänselt werden?

Ich bin Forscher, kein Ratgeber. Man kann in Deutschland einen Antrag auf Namensänderung stellen. Das ist zwar nicht ganz einfach, aber möglich, wenn der Name gravierende Probleme mit sich bringt. Wenn ich darunter leiden würde, würde ich das auch tun.

Apropos Ratgeber: Wäre das die Erklärung für meinen Nachnamen Rath, der im Kreis Freudenstadt öfter vorkommt?

Nicht unbedingt. Er könnte durchaus für jemanden stehen, dessen Rat geschätzt war. Oder als Abkürzung des Vornamens, etwa Konrad. Oder für einen, der an einer Rodungsfläche gewohnt hat. Es gibt mehrere Möglichkeiten. Die Fragen stellte Volker Rath

Konrad Kunze (79) ist Literatur- und Sprachwissenschaftler. Er lehrte bis zu seiner Pensionierung 2004 an der Universität Freiburg, zwischenzeitlich auch in Eichstätt, Jena, Innsbruck und Mainz. Seine Hauptforschungsgebiete sind deutsche und lateinische Literatur des Mittelalters, Legenden- und Heiligenforschung, Ikonografie, Sprachgeschichte, Dialektologie und Namenforschung. Nach dem Abitur 1958 in Donaueschingen studierte Kunze an den Universitäten Freiburg, Innsbruck und Würzburg Latein, Germanistik und katholische Theologie. In Freiburg promovierte er 1966. An der Universität Würzburg habilitierte er sich 1983. Seit 1980 betreibt er Namenskunde. Kunze ist Initiator und zusammen mit Damaris Nübling von Deutschen Institut der Universität Mainz Herausgeber des "Deutschen Familiennamenatlas" und Autor des dtv-Atlas "Namenkunde. Vor- und Familiennamen im deutschen Sprachgebiet".  Am Mittwoch, 23. Januar, hält er im Kurhaus Schönmünzach einen Vortrag zum Thema "Unsere Familiennamen – Herkunft, Bedeutung und Verbreitung". Beginn ist um 19 Uhr.