Um die ärztliche Versorgung des ländlichen Raums in Zukunft geht es beim Projekt "Ambigoal".Foto: © takasu – Stock.Adobe.com Foto: Schwarzwälder Bote

Gesundheit: Nordschwarzwald arbeitet an Zukunftsmodellen für Arztversorgung auf dem Land mit

Treffen sich Patienten aus Schopfloch oder Ebhausen bald in einer Videokonferenz zur Sprechstunde mit dem Hausarzt, und ein Lieferdienst bringt später die Medikamente vorbei? Denkbar wär’s. Der Regionalverband Nordschwarzwald arbeitet an Lösungen für die medizinische Versorgung im ländlichen Raum der Zukunft mit.

Region. "Ambigoal" heißt das Projekt, mit dem sich die Verbandsversammlung am Mittwoch in Freudenstadt beschäftigte. Worum es geht, erklärte Joachim Fischer. Er ist Professor an der Uni Heidelberg und Direktor des Mannheimer Instituts für öffentliches Gesundheitswesen. Fischer leitet das Projekt, das Klaus Mack, Vorsitzender des Regionalverbands, als "hochinteressant" bezeichnete. Fischer selbst sprach von einem "ambitionierten Ziel".

Systemwechsel? So einfach wie die Landung auf dem Mond

Der Mediziner sagte der hausärztlichen Versorgung jenseits der großen Städte eine eher düstere Zukunft voraus – zumindest in ihrer jetzigen Form. Er frage öfter mal in den Hörsaal hinein: Wer hat Lust auf eine 60-Stunden-Arbeitswoche auf dem Land, mit all den Kosten und Auflagen, die eine Praxis mit sich bringt? Selten hebe einer der Studenten die Hand. Anders sehe es aus, wenn die Frage so laute: Wer kann sich vorstellen, drei Tage die Woche in Freudenstadt zu arbeiten, den Rest in Freiburg zu verbringen, und das bei einer Anstellung mit geregelter 38-Stunden-Woche, medizinischem Fachpersonal im Hintergrund und Gewinnbeteiligung? "Dann gehen 40, 50 Hände hoch", so Fischer.

Dazu sei allerdings eine neue Art der ärztlichen Versorgung notwendig, in Teilen jedenfalls, die den medizinischen Sachverstand von Spezialisten unter anderem zeitsparend über das Internet aufs Land bringt. Und mit "Ankerpraxen" mit angedockten "Satelliten" vor Ort. Dafür seinen jedoch viele Fragen zu klären. Etwa die: "Nimmt der Bürger das auch an?"

Patientengespräche übers Internet gebe es schon. Fischer nannte das Beispiel einer Seniorin, die im Rollstuhl sitze und an Herzschwäche leide. Der Kontakt über das Tablet erspare ihr mühevolle Besuche in der Praxis. Allerdings sei sie auch offen für digitale Kommunikation, halte so auch Kontakt zu ihren verstreut lebenden Kindern und Enkeln.

Das Gesundheitssystem sei im Übrigen sehr komplex. Daran beteiligt seien viele Partner mit völlig verschiedenen Interessen, etwa Lehre, Ärzte, Kassen, Politik sowie Städte und Gemeinden. Vielfach fehle es auch am gegenseitigen Verständnis, wie der andere arbeite. Dieses System für neue Wege zu gewinnen und funktionierende Abläufe zu schaffen, "wird nicht einfach". Fischer sagte, er wolle es trotzdem versuchen. Es werde nicht von heute auf morgen gehen: "Ich denke, es wird lange Zeit brauchen. Etwa genau so lange, wie es gedauert hat, einen Menschen auf den Mond zu bringen." Das wären zehn Jahre, wenn man den ersten Aufschlag einer Sonde namens "Lunik zwei" auf dem Erdtrabanten als Anfang dieser Bemühungen nimmt, die mit "Apollo elf" 1969 zum Erfolg führten.

Der Anfang scheint jedoch bereits gemacht. Fischer sagte, es habe diesbezüglich schon Gespräche mit Landesministerien, Kassen und Klinik-Konzernen gegeben. Seine Vorstellung: Jeder Patient bekommt innerhalb von sechs Wochen den Spezialisten zu Gesicht, den er braucht. "In Mannheim klappt das. In Enzklösterle noch nicht", so der Mediziner.

Im Kern geht es darum, die abnehmende Zahl von Ärzten von Arbeit zu entlasten, die nicht von ihnen gemacht werden muss, damit sie Zeit für ihre eigentliche Aufgabe haben. Medizinisches Personal und Pflegedienste könnten mehr Tätigkeiten übernehmen, etwa entsprechend weitergebildete Krankenschwestern mit Anbindung an einen Arzt. Auch sei die Telemedizin nur ein Baustein hin zu den "Ambulanten integrierten Gesundheitszentren". Facharztzentren, Praxisgemeinschaften oder auch der klassische Hausarzt gehörten weiterhin zum Gesamtmix.

Dass Teile der Region Nordschwarzwald beim Projekt mit dabei sein sollen, kommt nicht von ungefähr: Der Regionalverband bringt sein Netzwerk von 13 Kommunen ein, die bereits beim Projekt "Digital Black Forest" mit dabei sind. Ziel ist es, Nachteile des ländlichen Raums durch neue Möglichkeiten der Digitalisierung zumindest abzufedern. Gesundheitsversorgung ist dabei eins von vier großen Themen.

Ein Teil der Regionalräte zweifelte und haderte, unter anderem deshalb, weil dies Kernaufgabe der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg sei. Einige sind nicht gewillt, der Stelle in Stuttgart die Arbeit abzunehmen und "reinzugrätschen". Andere erklärten unumwunden, dass sie sich von dort keine Lösung erhoffen. So stimmte am Ende die Mehrheit bei einer Gegenstimme und fünf Enthaltungen für die Teilnahme am Projekt.

Der Verband liefert die notwendigen Bausteine und Daten für das Gesamtkonzept, etwa Umfragen unter der Bevölkerung, Machbarkeitsstudien, ob und wie sich neue Landärzte gewinnen lassen, und testet, ob die Computerprogramme überhaupt in Alltag der Praxen vor Ort funktionieren. Dafür erhält die Region 190 000 Euro vom Land, verteilt auf drei Jahre.