Die Deutsche Gesellschaft für humanes Sterben (DGHS) wurde 1980 gegründet und

Die Deutsche Gesellschaft für humanes Sterben (DGHS) wurde 1980 gegründet und hat ihren Sitz in Berlin. Sie setzt sich nach eigenen Angaben "für die Anerkennung und Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts jedes einwilligungsfähigen Erwachsenen bis zum Lebensende" ein. Dazu solle es möglich sein, fachkundigen Beistand zu erhalten. Die DGHS setze sich für eine Wahlfreiheit der Entscheidungen in Bezug auf das Lebensende, ohne Vorverurteilungen des Sterbewunschs, ein. Sie wolle Menschen dazu bewegen, sich "vorsorglich und rechtzeitig mit dem Lebensende und dessen Begleitumständen zu befassen". Unter dem Namen "Schluss.PUNKT" haben die beiden Vereine DGHS und Dignitas (Schweiz) gemeinsam eine Beratungsstelle gegründet. Dabei sollen Menschen, die eine Beendigung des eigenen Lebens in Betracht ziehen, "ergebnisoffen und unvoreingenommen umfassende Informationen als Entscheidungsgrundlage zur Gestaltung des weiteren Lebens bis zum Lebensende vermittelt werden". Ziel der Beratungsstelle sei es, "kurzschlüssige und riskante Suizidversuche" zu vermeiden und "wohlerwogene Suizide zu ermöglichen". Alleine das Wissen um die Möglichkeit eines selbstbestimmten Lebensendes gebe Betroffenen Sicherheit, sämtliche Optionen, deren Risiken und Konsequenzen in Ruhe zu reflektieren. In Deutschland hätten sich 2017 rund 9240 Menschen das Leben genommen. Es sei davon auszugehen, dass auf jeden Suizid 20 Suizidversuche kämen, die nicht mit dem Tod enden. Das bedeute, dass im Jahr 2017 in Deutschland wahrscheinlich 184 700 Menschen einen Suizidversuch überlebt hätten – oft körperlich und seelisch schwer verletzt und von der Gesellschaft stigmatisiert, heißt es in einer Pressemitteilung. Bei "Schluss.PUNKT" sei Selbsttötung kein Tabu, sondern könne offen und ohne Angst vor Repressalien angesprochen werden. Dabei ist die Selbsttötung eine von mehreren Optionen.  Alfred Marte ist Ansprechpartner der DGHS. Kontakt: info@marte-music.de

Freudenstadt. Alfred Marte ist im Nordschwarzwald vor allem als Musiklehrer und Inhaber eines Musikhauses in Freudenstadt bekannt. Der 72-Jährige engagiert sich jedoch auch ehrenamtlich bei der Deutschen Gesellschaft für humanes Sterben (DGHS). Im Interview äußert er sich über das Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts, das das Verbot der "gewerbsmäßigen Sterbehilfe" aufhebt.

Herr Marte, was halten Sie vom Grundsatzurteil zum Thema Beihilfe zum Suizid?

Ich finde es ganz fantastisch. Die Deutsche Gesellschaft für humanes Sterben war sicher nicht ganz unschuldig daran. Wir haben fünf Jahre lang darauf hingearbeitet und juristisch für eine neue Lösung gekämpft. Drei der Kläger gegen die bisherige Rechtsprechung, die selbst schwer krank waren, sind mittlerweile gestorben; Gott sei Dank, muss ich sagen. Ihr Leidensweg ist zu Ende. Den Bundestagsabgeordneten gehören durch die Bank für einen Monat sämtliche Bezüge gestrichen, weil sie in dieser Frage bislang kein verfassungskonformes Gesetz auf den Weg gebracht haben.

Sie engagieren sich für die Deutsche Gesellschaft für humanes (DGHS) Sterben. Warum?

Auslöser war die Demenzkrankheit meiner Mutter. Sie war zuletzt im Pflegeheim. Als ich sie mal besucht habe, stellte ich fest, dass sie einfach ruhiggestellt war. Sie hat teilnahmslos dagelegen. Da wurde mir klar: Ich möchte mein Leben in diesem Zustand in diesem Haus nicht verbringen müssen. So kam ich auf das Thema Patientenverfügung. Irgendwann stößt man dann automatisch auf die Frage, was ich im Falle eines Falles möchte und was eben nicht.

Wurden Sie schon mal direkt mit der eigenen Endlichkeit konfrontiert?

Ich hatte einen schweren Unfall. Ich war mit dem Motorroller unterwegs, und ein Autofahrer hat mich mit seinem Wagen gerammt. Ich hatte Glück. Ich erlitt zwar schwere Verletzungen. Die Ärzte haben mich allerdings wieder ganz gut hingekriegt. Es sind vergleichsweise wenige Einschränkungen für mein Leben geblieben. Es hätte aber auch anders ausgehen können. Die Situation kann also von jetzt auf gleich eintreten.

Wie sieht in Ihren Augen humanes Sterben aus?

Mein Nachbar hatte Krebs, und er hat mir erzählt: "Entweder ich dröhne mich mit Medikamenten zu und habe zwar keine Schmerzen, kriege vom Tag jedoch auch nichts mit. Oder ich entscheide mich für Bewusstsein und Teilhabe, jedoch zum Preis, dafür schlimme Schmerzen ertragen zu müssen." Da kann man sich schon die Frage stellen: Ist das für mich noch sinnvoll und gut? Wenn mir ein Arzt sagen würde, ich hätte nur noch zwei Wochen zu leben, oder wenn ich die Diagnose Demenz erhielte, dann möchte ich mich vorbereiten können. Ich habe alles zu Hause, was ich für ein schnelles Ende bräuchte, hoffe natürlich, dass ich es nicht brauche. Ich möchte nicht vegetieren müssen und ich möchte im Falle eines Suizids niemanden damit belasten, etwa den Feuerwehrmann, indem ich mit dem Auto gegen einen Baum fahre, oder den Lokführer, indem ich mich in meiner Verzweiflung von einen Zug stürze.

Wäre es nicht sinnvoller, verzweifelten oder depressiven Menschen Lebenshilfe zukommen zu lassen?

Dazu muss man diese Menschen in einer solchen Situation erst mal erreichen. Nicht jeder ist selbstbewusst genug, Hilfe zu suchen und sich anderen gegenüber zu offenbaren. Die DGHS ist eine Option, ein Angebot, in Kontakt zu kommen. Die DGHS ist kein Sterbehilfeverein, das möchte ich ganz klar betonen. Meine Erfahrung aus vielen Gesprächen zeigt: Viele Menschen sagen, sie möchten nicht mehr leben. Aber die wenigsten von ihnen möchten sich ernsthaft das Leben nehmen. Die Vereinsamung im Alter ist ein großes Problem der Gesellschaft. Die einen sagen, alle Freunde und Bekannte seien weggestorben, und sie haben jetzt einfach niemanden mehr. Andere haben vielleicht mit den eigenen Kindern gebrochen, oder die Kinder können sich nicht mehr um die Eltern kümmern, weil viele heutzutage nicht mehr in der Nähe wohnen.

Was raten Sie einsamen alten Menschen?

Ich versuche, ihre Interessen zu erkunden und zu erfahren, was ihnen Freude macht. Dann versuche ich, ihnen Möglichkeiten aufzuzeigen, wieder Freude zu finden und vielleicht neue Menschen kennenzulernen. Wer Musik mag, könnte vielleicht mal ein Konzert besuchen oder in eine Singstunde gehen, und auf diesem Weg auch neue Leute kennen lernen. Es gibt so viele schöne Dinge auf der Welt, wenn man geistig oder körperlich nicht völlig eingeschränkt ist.

Ist geschäftsmäßige Sterbehilfe, auch passive, eine normale Dienstleistung wie die rechtliche Beratung beim Verfassen eines Testaments?

Wir machen als DGHS keine Beratung in diese Richtung und geben auch keine Empfehlungen ab. Auf Wunsch stellen wir Kontakt zu Dignitas her. Wichtig ist mir zunächst, überhaupt die Freiheit der Entscheidung zu haben. Ich glaube im Übrigen nicht, dass durch die Möglichkeit eines assistierten Suizids die Zahl der Selbsttötungen steigt. Meine persönliche Hoffnung: dass es ein Umdenken gibt und es unsere Ärzteschaft todkranken Menschen nicht schwerer macht, als es sein müsste. Wenn ein Arzt bei einem Patienten im Endstadium die Morphiumdosis auffällig erhöht, droht schon die Gefahr, dass er von einem anderen Arzt verklagt wird. Menschen, die mit Aussicht auf Erfolg behandelt werden können, müssen natürlich behandelt werden.

Es gab Fälle, in denen Pflegekräfte eigenmächtig Patienten "erlöst" haben. Bietet das Urteil nicht fragwürdigen Akteuren Straffreiheit, die einfach Geschäfte mit dem Tod machen oder ihre eigene Weltanschauung zum Maßstab des Handelns machen?

Die Gefahr ist schon da, dass sich etwas Kriminelles entwickelt. Unsere Politiker hatten allerdings genug Zeit, sich mit dem Thema zu befassen und eine tragfähige Lösung zu finden.

Wie sähe in Ihren Augen eine anwendbare und ethisch tragfähige Regelung aus?

Ein ethischer Ansatz für mich wäre, dass mindestens zwei Ärzte die Lage des sterbewilligen Patienten beurteilen und die Frage klären, ob seine Lage nach medizinischen Kenntnissen tatsächlich aussichtslos ist und zu beurteilen, was an Leiden aller Voraussicht nach auf ihn zukommt. Psychische Krankheiten müssten natürlich behandelt werden.

Die Schweizer Sterbehilfe-Organisation Dignitas stellt für Beratung und eine Freitod-Begleitung eine vierstellige Summe in Rechnung, in Franken. In Euro fällt die Summe noch mal höher aus. Nach purer Barmherzigkeit klingt das nun nicht.

Ärzte arbeiten auch nicht umsonst. Für deutsche Preisverhältnisse klingt das zunächst teuer. Aber das ist eben die Sache mit dem Franken. Das merkt auch jeder, der in der Schweiz zum Essen in ein Restaurant geht. Andererseits herrscht hierzulande auch ein falsches Verständnis von der Arbeit von Dignitas. Es ist nicht so, dass man dort kurz anruft, einen Termin zum Sterben bekommt und dann gleich losfährt. Es ist ein langer Weg nach der ersten Kontaktaufnahme, der nicht automatisch zum Suizid führt. Es gibt im Ablauf mehrere Termine und diverse Hürden, etwa ärztliche Gutachten. Jeder Fall muss schließlich auch in Einklang mit dem Schweizer Recht gebracht werden.

Wären Sie selbst dazu in der Lage, einem Sterbewilligen ein tödliches Medikament ans Bett zu stellen?

Ja, ich denke schon. Allerdings muss das nicht sein. Ich habe noch keinen Menschen beim Sterben gesehen. Wir als DGHS dürften das im Übrigen auch nicht, schon von unserem Selbstverständnis und Auftrag her.

Würden Sie – und falls ja: In welcher Lage – Sterbehilfe in Anspruch nehmen?

Ja. Wenn der Arzt sagen würde: Du hast noch vier Wochen zu leben, was willst Du in dieser Zeit noch machen? Wenn ich in diesen vier Wochen geistig oder körperlich. nichts mehr tun könnte außer mich zu quälen, dann würde ich die Möglichkeit in Anspruch nehmen.

Das erscheint als sehr hypothetische Konstellation. Ist Palliativmedizin für Sie keine Alternative?

Palliativmedizin ist für jene richtig und gut, die von ihrem Glauben her die Haltung vertreten, das eigene Leben nicht selbst beenden zu dürfen.

Sind Sie Atheist?

Ja. Oder besser gesagt: ein Opfer der Kirche. Diese Institution ist mir in Kindheit und Jugend gründlich versaut worden.

Haben Sie Angst vor dem Tod?

Nein. Mein Vater ist 64,5 Jahre alt geworden. Seit ich selbst über 64,5 Jahre alt bin, denke ich: Ich habe ihn überlebt. Ich habe ihn respektiert für seine Leistung, wir sind aber zeitlebens nicht innig miteinander geworden.

Was kommt nach dem Tod?

Ich kann mit nichts vorstellen. Falls es eine Wiedergeburt geben sollte: Dann wäre ich gerne ein Kätzchen auf dem Schoß einer Witwe, das schnurrt und verwöhnt wird. Ich könnte mir vorstellen, das wäre doch ein nettes Leben.  Die Fragen stellte Volker Rath