Hintergrund: Was ein Teil der Freudenstädter Einzelhändler zur aktuellen Kundenumfrage sagt

Freudenstadt. "Da, Baustellenstaub." Michael Hör fährt mit dem Zeigefinger über das alte Metallgehäuse. Die weiße Kuppe schaut er sich über den Rand seiner Brille an, dann hält er beiden Besucherinnen in seiner Werkstatt das Ergebnis unter die Nase. Auf dem Uhrwerk ist jetzt ein dunkler Strich, da, wo sauberer Lack glänzt. Hör schnippt die Fluse mit dem Daumen unter den Tisch. Von jetzt auf gleich vibriert der ganze Tisch. Rrr-rrr-rr – die Baustelle am Promenadeplatz. Nach einigen Sekunden ist wieder Ruhe, und das ständige Tick-Tack, Kuckuck und Ding-Dong der zahllosen Uhren an der Wand füllt den Raum. Hör, Inhaber des Uhren- und Schmuckladens Krieg direkt am Freudenstädter Promenadeplatz, nimmt keine Notiz davon. Sein Geschäft befindet sich direkt an der Großbaustelle Innenstadt. Sie kostet ihn Kunden und Nerven, aber Hör nimmt das klaglos in Kauf. Er weiß, dass die Baustelle irgendwann fertig sein wird und das Stadtbild vor seinen Schaufenstern dann viel attraktiver. Sorgen machen ihm eher die Kunden, die schon vor der Baustelle weggeblieben sind. Den Besucherinnen übrigens auch.

"Ich weiß nicht, ob ich meinem Sohn die Übernahme des Geschäfts guten Gewissens empfehlen kann", sagt Hör (57). Als Einzelhändler wolle man schließlich "leben, nicht nur existieren können". Die beiden Frauen nicken beipflichtend. Sie sind Kolleginnen: Alexandra Decker (45), Inhaberin des Modehauses Ullmann, und Gudrun Krüper (56), Chefin der Arkaden-Buchhandlung am Marktplatz.

Auslöser der Gesprächsrunde in der Uhrmacher-Werkstatt – das Geschäft wurde 1908 gegründet – ist die aktuelle Kundenumfrage, die kürzlich dem Gemeinderat vorgestellt wurde. Das Ergebnis sollte eigentlich Grund zur Zuversicht geben. Die Note 2,2 geben Besucher der Stadt und ihrem Handel. "Es ist toll, wenn uns die Gäste so gut bewerten", sagt Krüper, "das ist weit über dem Durchschnitt." Der liege nämlich bei 2,8. Die Buchhändlerin kennt die Zahlen. Sie ist Mitglied der IHK-Vollversammlung und gehört dem Handelsausschuss an. "Es sind überall dieselben Probleme", sagt sie.

Alexandra Decker hat sich ebenfalls über das Ergebnis gefreut, will sich jetzt aber nicht einfach zufrieden zurücklehnen. "Mich würde viel mehr interessieren, was die Kunden sagen, die nicht mehr kommen. Das wäre interessant zu erfahren", so Decker. Denn es laufe zwar nicht schlecht für die Händler in Freudenstadt, aber es sei auch schon mal besser gewesen.

Das Trio mag sich nicht als Miesepeter verstanden wissen oder als Nörgler dastehen. Allerdings gebe es auch Probleme in der Stadt, die sie ansprechen wollen, wenngleich Freudenstadt gemessen an Städten ähnlichen Kalibers in der Region auf den ersten Blick ganz propper dasteht. Aber es gebe Leerstände. Und es gebe inhabergeführte Geschäfte, in denen sich spätestens in fünf bis zehn Jahren die Nachfolgefrage stelle. Wer macht weiter, wenn er nicht weiß, ob sich das Angebot drumherum ausdünnt? "Es darf keinen Domino-Effekt geben", sagt Hör.

Dabei tue Freudenstadt sehr viel, um die Stadt lebendig zu halten. Es gebe einen Dehoga für die Gastronomie, den Handels- und Gewerbeverein, eine Citymanagerin, einen Tourismusdirektor, eine Industrie-Lobby. Und eine ehrgeizige Kommunalpolitik, die sich ins Zeug legt, Freudenstadt voranzubringen. Wenn der neue Uni-Campus in Betrieb gehe – ganz wunderbar. Aktionen wie das Streetfood-Festival, das Beachvolleyball-Turnier auf dem Marktplatz oder demnächst wieder der Töpfermarkt seien ebenfalls "tolle Aktionen", die Leute in die Stadt bringen. Viele Zahnrädchen. Aber sie vermissen eine "strategische Planung", die Koordinationsstelle. Das zentrale Bauteil, das das Uhrwerk Freudenstadt synchronisiert, richtig rund ticken lässt? "Genau", sagt der Uhrmacher und lehnt sich im Stuhl zurück, "und ein in sich stimmiges Gesamtkonzept. Ein Leitbild, das sich zusammensetzen muss aus Einzelhandel, Gastronomie und Tourismus." Dies müsse "dringendst erarbeitet werden".

Als Bespiele führen sie die schleichende Zersplitterung des Handels an. Da es kein großes Konzept gebe, fransen die Ränder aus: Industriegebiete, Sulzhau, Sonneneck, Rappenpark. "Es löst das Problem ja nicht, wenn man das Schwarzwald-Center einfach zum Teil des Zentrums erklärt", sagt Gudrun Krüper.

Das Trio hofft außerdem auf ein Einzelhandelskonzept, das eine ausgewogene Mischung aus Filialisten und inhabergeführten Facheinzelhandel im Auge hat. Und dazu gehöre automatisch ein aktives Leerstandsmanagement. "Wir brauchen nicht den fünften Optiker-Filialisten und den elften Handyladen", sagt Decker. Dafür fehlten ein Drogeriemarkt im Zentrum und ein Schreibwarengeschäft. Der Verlust dieser beiden Angebote sei klar zu spüren. Es fehle einer, der zur Not die Klinken putze, um solche Händler in die Stadt zu holen. Die Citymanagerin könne dies nicht nebenher leisten.

Hör findet es gut, dass die Stadt im Technischen Rathaus einen "Frequenzbringer" ansiedeln will. Ansonsten hofft er, die Stadt möge sich ihrer Stärken bewusst sein. Kleinparzellige Geschäftshäuser seien nicht zwangsläufig schlecht, der Umstand müsse vielmehr zum Vorteil kultiviert werden. "Das macht gerade den Charme aus", findet Hör, "viele anderen Innenstädte sind doch alle austauschbar." Ein Stuttgarter komme deshalb hierher, weil Freudenstadt eben nicht Stuttgart sein.

Einzelhandel braucht Kunden von auswärts

Und der Handel brauche Kaufkraft von auswärts. Hör berichtet, es kämen Kunden auch von München, um ihre Uhren-Erbstücke wieder zum Laufen zu bringen. Erst kürzlich sei ein Club aus Schorndorf dagewesen, der von der Führung durch das Uhrenmuseum ganz angetan gewesen sei. Die Geschäfte bemühen sich, sagt er, bieten pfiffige Ideen an, um Kunden zu binden. Dazu zähle die Aktion "Einschließen und genießen", bei denen sich Leser im Wortsinn bis spätabends in der Bücherei wegsperren lassen, um bei Häppchen ungestört ein Buch zu lesen. Oder die Klavierwerkstatt im Musikhaus Rudert und das Schwarzwälder-Kirschtorte-Backen mit Gästen. Gleichzeitig werde das Sortiment dem Zeitgeist angepasst. Hör: "Wenn früher jemand im Laden nach Schmuckketten aus Edelstahl verlangt hätte, hätte ich gefragt: Für wen? Eine Kuh?"

Es tue sich also was, und es sei viel da. Bloß funktioniere nicht alles reibungslos zusammen. Dazu zähle auch das Marketing. "Viele wissen gar nicht, was es alles gibt in Freudenstadt, nicht mal die Freudenstädter selbst", sagt Hör. Das lasse sich ändern, pflichtet Gudrun Krüper bei. Deshalb wolle sie nicht nörgeln, weil sich durch Nörgeln alleine nichts verbessere und es auch keinen Grund zum Nörgeln gebe. "Wir sind positiv eingestellt", sagt sie, "vielleicht manchmal unbequem."

Zum Abschluss zeigt Michael Hör seinen Besucherinnen ein altes Uhrwerk, hergestellt um 1850 in Burgund. Der Tisch vibriert wieder kurz, dann ist plötzlich komplett Ruhe; vermutlich Mittagspause auf der Großbaustelle. Von der Wand klingt das vertraute Tick-Tack und Ding-Dong. "Einmal habe ich eine Uhr zusammengebaut und am Ende war ein einziges Zahnrädchen übrig", erzählt Hör, "ein No-go in meiner Branche." Zu seiner Verwunderung sei die Uhr trotzdem gelaufen. "Keine Ahnung, warum. Aber die musste ich noch mal zerlegen." Wer weiß, welche Funktion das Rädchen hatte, wie zuverlässig die Uhr gelaufen wäre. Und wie lange.