Der Tatverdächtige hat beim Stadtbahnhof gewohnt. In der Nähe befindet sich auch das "Bonaparte". Foto: Müller

Gaststättenbetreiber befürchtet Schaden am Ruf durch falsche Berichterstattung in den Medien.

Freudenstadt - Die unfreiwillige mediale Aufmerksamkeit, die der Stadt im Schwarzwald gerade zu Teil wird, wirkt sich teilweise negativ aus. In anderen Bereichen des öffentlichen Lebens ist vom Rummel weniger zu spüren.

Die Stadt steht gerade im Mittelpunkt der Medien und das bundesweit. Grund ist der Anschlag auf den Bus der Fußballmannschaft Borussia Dortmund. Der Tatverdächtige Sergej W. kommt aus Freudenstadt und ging hier zur Schule.

Der Medien-Rummel ist für manche aber vor allem Schaden, so auch für Markus Kübler, Betreiber der Gaststätte "Bonaparte". Laut einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sei die Kneipe das Stammlokal des Tatverdächtigen gewesen, das hatten auch wir in einem Artikel zitiert. Doch Kübler erklärt, dass dem, entgegen der Berichterstattung, nicht so sei: "Wir kennen ihn nicht. Weder ich, noch meine Mitarbeiter und unsere Stammgäste auch nicht. Ich weiß nicht wie dieses Gerücht in Umlauf kam." Verschiedene Fernsehsender seien bereits bei ihm gewesen und wollten Interviews, führen "aber wir können eben nichts dazu sagen, weil wir ihn nicht kennen", sagt der Gaststättenbetreiber, deshalb habe er den Fernsehteams keine Drehgenehmigung erteilt und sie wieder weggeschickt.

"Wir werden hier beim Stadtbahnhof sowieso schon als Brennpunkt abgestempelt und mehr negative Schlagzeilen schaden uns weiter", so der Wirt, "die Auswirkungen lassen sich noch nicht absehen, aber ich wehre mich weiter gegen das schlechte Bild der Gastronomie im Stadtbahnhof."

Patrick Birnesser, Pressesprecher der Stadt, hatte am Freitag alle Hände voll zu tun mit Medienanfragen. "Was wir beantworten konnten haben wir beantwortet. Bei allem anderen haben wir an die richtigen Ansprechpartner verwiesen, meistens war das die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe". Am Wochenende sei es dann wieder ruhig geworden im Rathaus.

Ob und wie das Thema den Alltag der Heinrich-Schickardt-Schule momentan beeinflusst, dazu wollte die Schulleitung nichts sagen.

Bei der Polizei in Freudenstadt spüre man nichts, von der großen Aufmerksamkeit erklärt die Wache, denn sie habe mit der Sache direkt nichts zu tun.

Im Hotelbereich sei es bisher zu keinen Problemen gekommen: "spürbar ist nichts, es kommen keine besorgten Anfragen von Gästen oder Ähnliches", sagt eine Mitarbeiterin des Hotels Tanne in Baiersbronn.

Kommentar

Wahnsinn

von Volker Rath

Da steht man mit seiner Fassungslosigkeit. Der Attentäter, der den Anschlag auf den Mannschaftsbus der Borussia Dortmund verübt hat, soll aus Freudenstadt kommen. Warum ausgerechnet von hier? Warum nicht. Es hätte von überall her sein können. Dabei steht noch gar nicht mit Gewissheit fest, dass Sergej W. der Bombenleger war. Es ist Sache der Richter, einen Schuldspruch zu fällen. Aber man muss sagen: Es sieht schlecht aus für den 28-Jährigen.

Was in den vergangenen vier Tagen über die Stadt und einige Menschen hier hereingebrochen ist, grenzt wie die Tat an Wahnsinn. Erst ein Großaufgebot an Einsatzkräften in der Moosstraße, dann im Sog der Ereignisse der versammelte Medientross der Republik. Keine Zeitung, kein Magazin, kein Sender oder Onlinedienst, der nicht nach der Verhaftung über Freudenstadt berichtet hätte – ein Hype mit Ansage. Was die Familie W. durchmachen muss, lässt sich nur erahnen. Sie kann einem leidtun.

Das Mitgefühl mit dem Hauptverdächtigen dürfte sich hingegen in Grenzen halten. Was die Ermittler bislang zusammengetragen haben, macht sprachlos: Derivatekauf auf Pump, Anschlag vor dem Champions-League-Spiel mit drei Splitterbomben auf den voll besetzten Spielerbus, um bei einem Absturz der BVB-Aktien dick Kasse zu machen, fingierte Bekennerschreiben, um den Verdacht auf Radikale zu lenken – das ist nicht nur ein Großverbrechen, das überschreitet auch die Grenze zum Größenwahn. Wer so ein Ding dreht, vor den Augen der halben Weltöffentlichkeit und in der angespannten Lage durch religiös-fundamentalistischen Terror, muss damit rechnen, dass die gesammelte Staatsgewalt auf der Jagd nach ihm ist. Hat er nur für einen Moment geglaubt, damit durchzukommen, eine reelle Chance zu haben? Oder wenigstens mit einem vermeintlich spektakulären Coup für einen Moment im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses zu stehen? Das wird nichts. Die Aktion war psychopathisch, aber das Motiv einfach zu banal: das schnelle Geld.

Viele Fragen sind noch offen, etwa die, woher der Sprengstoff kam. Die Bundesanwaltschaft erklärt, sie gehe von einem Einzeltäter aus. Für die Anschlagsausführung mag das gelten. Aber was die Tat im Gesamten betrifft, macht das eher stutzig. Schwer zu glauben, dass ein 28-Jähriger einen so komplexen Plan selbst austüftelt und ihn dann alleine umsetzt – geschweige denn erst mal auf eine solch vermessene Idee kommt. Da stellt sich eher die Frage, ob es nicht zumindest einen "Spiritus Rector" gibt, der dem Täter den Floh ins Ohr gesetzt und ihn unterstützt hat. Indessen wird das ans Hysterische grenzende öffentliche Interesse an Sergej W. und das Leben in Freudenstadt, wo Ex-BVB-Trainer Jürgen Klopp einst zur Schule ging, so schnell abebben, wie es losgebrochen ist. Die breite Masse der Einwohner hier wird den Wahnsinn auf Schwarzwälder Art zur Kenntnis nehmen: unaufgeregt, mit einem stoischen Schulterzucken. Es ist, wie es ist. Die Welt wird sich mit gleicher Geschwindigkeit weiterdrehen, mit einigen Ausnahmen: Egal, was rauskommt, für den einst preisgekrönten Berufsschüler Sergej W., die BVB-Spieler und eine Reihe anderer wird das Leben nicht mehr dasselbe sein wie vor der Tat – es wird erst mal nichts bleiben außer Leid. Und ein weggeworfenes Talent. Bitter!