Bewegend schön, herzergreifend und tief emotional gestalteten die mehr als 150 Mitwirkenden die Matthäuspassion, das wohl bedeutendste oratorische Werk von Johann Sebastian Bach. Foto: Haubold Foto: Schwarzwälder-Bote

150 Mitwirkende führen Bachs Matthäuspassion ungekürzt in der Freudenstädter Stadtkirche auf

Von Petra Haubold Freudenstadt. Eine beeindruckende Aufführung der Matthäuspassion mit der Freudenstädter Kantorei, dem Bach-Chor Schwenningen, dem Kinderprojektchor aus Dornstetten, Schwenningen und Freudenstadt und acht Solisten erlebten die Besucher in der Stadtkirche. Es war Musik, die bestens dafür geeignet schien, das 125-jährige Bestehen der Freudenstädter Kantorei in diesem Jahr zu feiern. Insgesamt traten unter der Leitung von Christof Wünsch und Jörg Michael Sander über 150 Mitwirkende auf, denn die Leidensgeschichte Christi nach dem Matthäus-Evangelium hat Johann Sebastian Bach als großes oratorisches Musikwerk mit Doppelchor und zwei Orchestern angelegt.

Auch wer sonst eigentlich ganz andere Musikstile bevorzugt, konnte von der Dramatik, der Trauer, der Betrübnis, der Bestürzung, dem Schmerz und der Herzlichkeit dieser Musik kaum unberührt bleiben.

Das religiöse Werk zeugt bekanntlich von großer emotionaler Intensität: In der voll besetzten Kirche kamen die bewegenden emotionalen Höhepunkte und die fühlbar werdenden Momente großer Spiritualität durch das Zusammenspiel der Chöre mit Orchester und Gesangssolisten dann auch gut an.

Die Aufführung wirkte zwar nicht modern, war aber ganz und gar von einer fesselnden Gegenwärtigkeit durchwoben. Diese übertrug sich auch auf ihren geistlichen Inhalt, das Sterben Jesu. Insgesamt besteht die Matthäuspassion in ihrer Urfassung aus 68 Abschnitten, die in zwei unterschiedlich langen Teilen dargeboten werden. Inklusive einer längeren Pause dauerte die Aufführung mehr als drei Stunden.

Der erste Teil endete mit der Gefangennahme Jesu. Den dramatischen Verlauf der Handlung spiegelt der zweite Teil mit dem Verhör, der Verurteilung und der Kreuzigung wider. Den Ausrufen des Volks, das den Tod von Jesus fordert, stehen die Klage über dessen Tod am Kreuz und die tiefe Trauer, aber auch die Hoffnung auf Auferstehung gegenüber.

Im 30-köpfigen, glänzend und gefühlvoll musizierenden Orchester kam neben den üblichen Flöten und Holzbläsern wie Oboe und Fagott, neben Orgel und Streichern auch eine Gambe zum Einsatz, die bisweilen einen ganz besonderen Ton hineinbrachte. Die acht Solisten, die bei der ungekürzt aufgeführten Matthäuspassion viel Durchhaltevermögen bewiesen, bewältigten ihre großen Partien glänzend. Sängerin Petra Dieterle ersetzte kurzfristig die erkrankte Sopranistin Alice Fuder und rettete damit quasi die Aufführung.

Im Zentrum standen die umfangreichen Rezitative des Evangelisten. Tenorsänger Hubert Mayer aus Hüfingen wechselte hier immer wieder vom sachlichen Erzählen in ein emotionales Aufrufen, so als sei er selbst voller Traurigkeit Beobachter des Leidens. Die Rolle des Jesus meisterte der Konzert- und Opernsänger Philipp Maierhöfer mit warmer und voller Bassstimme.

Den weiteren zahlreichen Bassstimmen wie Judas, Petrus, Pilatus und den Hohenpriestern verliehen Michael Vogelmaier und Eric Fergusson den musikalischen Charakter. Tenor Johannes Mayer mimte einen falschen Zeugen. Als Pilatus’ Weib und Magd agierten die Sopranistinnen Petra Dieterle und Bettina Steinbach, die in Arien die Stimmen der sündigen und reuigen Seele verkörperten. Zusammen mit Altistin Gabriele Grund hatte das Sängerinnen-Trio die musikalisch dichtesten Teile zu bewältigten.

Dazu gehörte unter anderen die von Flöte und Orgel begleitete Alt-Arie "Buß und Reu knirscht das Sündenherz entzwei" im ersten Teil oder auch die wichtige Sopran-Arie "Aus Liebe, aus Liebe will mein Heiland sterben" aus dem zweiten Teil. Die beiden Chöre überzeugten nicht nur in den dramatischen Passagen, etwa als "das Volk" spricht oder in der "Gefangennahme", wobei Orgel, Holzbläser und Flöten das Inferno der Hölle lebendig wiedergaben.

Vor allem nämlich in den fünf Fassungen des immer wieder kehrenden Chorals "Oh Haupt voll Blut und Wunden" machten die Sänger die religiöse Inbrunst des Bach’schen Werks spürbar. Bewegend schön und tief emotional erklangen "Befiehl Du deine Wege" und das mit leisen Stimmen gesungene "Wenn ich einmal soll scheiden".

Mit dem Schlusschoral "Wir setzen uns mit Tränen nieder" brachten Chöre und Instrumentalisten den Abend zu einem passenden Ende: hoheitsvoll, klagend, aber doch mit viel Verve berührte die bekannte Melodie die Besucher sichtlich. Die erbetene Stille am Ende des Oratoriums und die folgenden Momente geistigen Innehaltens wurden vom feierlichen Erklingen der Kirchenglocken abgelöst.