Das Überholen ist in der Formel 1 sehr schwer geworden. Die Show leidet darunter.Lewis Hamilton ist frustriert, weil fast nicht überholt wird. Foto: AFP

Die Formel 1 hat ein Problem: mit den neuen Autos ist das Überholen so schwer geworden wie selten zuvor.

Stuttgart - Rennsportpuristen älteren Schlags werden den Großen Preis von Frankreich 1979 niemals vergessen. In Dijon-Prenois kämpften René Arnoux und Gilles Villeneuve nur um den zweiten Platz, doch wie sie es taten, ging als eines der bemerkenswertesten Rad-an-Rad-Duelle in die Formel-1-Geschichte ein. In den letzten Runden überholten sie sich hin und her, drängten sich ab, touchierten sich – es nahm kein Ende. Nach mehrfachen Wechseln hatte Villeneuve knapp die Nase vorn.

Und heute? Heute steckt Lewis Hamilton hinter dem Red Bull von Max Verstappen fest und teilt seiner Mercedes-Truppe fast fluchend mit: „Ich komme nicht vorbei.“ Auch deshalb musste der Brite beim Saisonauftakt in Melbourne dem Ferrari-Mann Sebastian Vettel den Sieg überlassen. „Dass das Überholen so schwierig ist, war ja schon immer ein Thema – aber so schlimm wie jetzt war es noch nie“, sagte Hamilton nach dem Frust-Grand-Prix. Und weil es seinem Naturell entspricht, ganz gerne mal alles schwarzzusehen, fiel seine Prognose für die weiteren Wettfahrten düster aus: „Es wird definitiv nicht besser werden, sondern die gesamte Saison lang so bleiben.“

Nur fünf Überholmanöver in Melbourne

Das Überholen ist das wichtigste Element im Rennsport. Mit den neuen Formel-1-Autos, die schneller, wuchtiger und bissiger sind, scheint es aber tatsächlich schwierig zu sein, am Gegner vorbeizuziehen. In Melbourne wurden lächerliche fünf Überholmanöver gezählt – in der vergangenen Saison waren es dort 37. Als äußerst problematisch zeigt sich das ausgefeilte aerodynamische Paket der neuen Boliden. Hier noch ein kleines Luftleitblech, dort ein Mini-Spoiler und da ein Carbon-Fitzelchen – die Aerodynamiker haben sich richtig ausgetobt beim Entwickeln und Basteln.

Die zerklüfteten Kunstwerke auf vier Rädern sorgen allerdings dafür, dass hinter dem Rennwagen wilde Luftwirbel entstehen. Die in der Fachsprache als „Dirty Air“ (schmutzige Luft) bezeichneten Turbulenzen erschweren das Windschattenfahren des Verfolgers. Er möchte zum Überholen ansetzen, hat aber für das erforderliche Tempo nicht mehr den optimalen Anpressdruck. „Es fühlt sich scheiße an, hinter einem Gegner herzufahren“, schimpft der Renault-Pilot Nico Hülkenberg. Die Luftverwirbelungen seien so groß, dass überholen fast unmöglich sei.

Hamilton und Bottas kommen nicht vorbei

Der Mercedes-Sportchef Toto Wolff hatte das schon so erwartet. Um „50 Prozent“ würde das Überholen schwieriger werden als im Vorjahr. „Die Welle, die das Auto hinter sich erzeugt, ist doppelt so stark wie bei den Fahrzeugen der letzten Generation“, sagt der Österreicher. Wenn ein Verfolger etwa am Kurveneingang zu knapp dran am vorderen Auto ist und den Anpressdruck auf der Vorderachse verliert, schiebt es den Wagen hinaus – und so kommt der Hintermann an den Vordermann nicht mehr heran. Schon bei den Tests haben die Mercedes-Agenten Lewis Hamilton und Valtteri Bottas die Erfahrung gemacht, dass sie an viel schwereren Fahrzeugen einfach nicht vorbeikamen.

So kann es nicht weitergehen

Geht es so weiter? „Wir müssen es regulieren, denn wir betreiben ja Unterhaltung und nicht nur einen Ingenieurwettbewerb“, sagt Toto Wolff. Wenn das Überholen nur teilweise so werden würde wie 2004 in Barcelona, wo kein einziges Überholmanöver stattfand, dann müsse die Formel 1 sicher an einer Schraube drehen. Das aber gehe nur, wenn sich alle Teams einig würden über eine Veränderung, die noch 2017 Abhilfe schaffen könnte, glaubt Wolff.

Hoffen auf China

Für den Großen Preis von China in Shanghai am Sonntag (8 Uhr, MESZ/RTL) wird sich kaum etwas tun. Max Verstappen hat nur die leise Hoffnung, dass es in China auf der langen Geraden etwas besser klappt. Sebastian Vettel, durch seinen Auftaktsieg rundum zufrieden, sieht die Angelegenheit nicht ganz so dramatisch. „Im Fußball gibt es auch begeisternde Spiele und dann ein langweiliges Gekicke, das 0:0 endet. Nicht jeder Grand Prix kann ein Vollknaller sein“, sagt der Heppenheimer und will einfach mal die nächsten Rennen abwarten. Vielleicht wird’s ja etwas besser – aber niemals so wie 79 in Dijon-Prenois.