Christel Sum erzählt Willy Schoch von ihrer Flucht aus Ostpreußen vor 77 Jahren. Foto: Ziechaus

Vor rund 75 Jahren hat Deutschland die größte Fluchtbewegung seiner im gerade beendeten Weltkrieg stark dezimierten Bevölkerung erlebt. Auch in Schenkenzell war das zu spüren.

Schenkenzell - Besonders aus den ehemaligen deutschen Gebieten im Osten von Ostpreußen, Pommern bis Brandenburg wurden viele Menschen durch die Besetzung mit russischen Truppen über Nacht vertrieben. Über diese Fluchtbewegung und ihre erzwungene Ansiedlung im Westen in den amerikanischen, britischen und französischen Besatzungszonen, berichtete Willy Schoch vor vielen Zuhörern in der Festhalle in Schenkenzell. Der Historische Verein für Mittelbaden und die Volkshochschule hatten den örtlichen Kenner der Heimatgeschichte für den Vortag gewinnen können.

Etwa 14 Millionen Menschen mussten ihre Heimat im Osten verlassen und kamen in einem extrem kalten Winter 1944/45 über Norddeutschland in die oftmals zerstörten Städte und Dörfer im Westen und Süden. Die Bevölkerung dort lebte nach dem verlorenen Krieg in großer Armut und musste mit den von den örtlichen Ämtern zugewiesenen Flüchtlingen zusätzlich Wohnung und Brot teilen.

Flucht mit vielen Umwegen

Mit Christel Sum hatte Schoch eine Zeitzeugin in Schenkenzell gefunden, die als Fünfjährige mit ihrer Mutter 1945 aus Braunsberg in Ostpreußen (heute Polen) floh und nach einigen Umwegen in Schenkenzell eine neue Heimat fand. Auch Erna Wöhrle war im Januar 1945 mit ihrer Mutter und zwei kleinen Geschwistern von der Ostsee geflohen und hatte seit 1950 mit ihrer Familie auf dem Brandsteig gelebt. Sie habe hier "keine zweite Heimat gefunden, aber ein zweites Zuhause", betonte die resolute Seniorin.

Nicht willkommen in den Dörfern

Die Menschen waren mit leeren Händen aus ihrer Heimat geflüchtet, zuerst auch aus Städten evakuiert worden und sie waren in den zugewiesenen Orten nicht willkommen, weil es dort an allem fehlte. So tauchten Transparente auf wie "Badens schrecklicher Schreck der neue Flüchtlingstreck". Trotz vieler Aufrufe und Anmahnungen der Bürgermeister konnten kaum Wohnungen oder Zimmer gefunden werden, sodass Flüchtlinge den Dörfern und ihren Bewohnern zugewiesen wurden.

6000 Vertriebene in einem Jahr

Im März 1947 wurden dem Landkreis Wolfach 6000 neue Vertriebene und 1948 weitere 1200 Menschen zugewiesen; erst 1953 kam der letzte nach Schenkenzell. Viele sind geblieben, haben Freunde und eine Arbeit gefunden und ein eigenes Heim gebaut. Die Entwicklung der Einwohnerzahl von Schenkenzell belegt die Integration der Vertriebenen: 1939 lebten 1181 Einwohner im Ort, 1953 waren es 1406 Einwohner.

Familiennamen erinnern an Herkunft

Noch heute beweisen viele Familiennamen die Herkunft der Träger aus ehemals ostdeutschen Gebieten, in die sie nicht zurückkehren konnten. Dagegen haben viele Flüchtlinge aus der Ukraine die Hoffnung, dass sie in ihre Heimat zurückkehren und die brutalen Zerstörungen wieder beseitigen können.