In der Statistik der Bahn gilt ein Zug als verspätet, wenn er mindestens sechs Minuten zu spät ankommt. Foto: imago/Arnulf Hettrich

Matthias Gastel ist Verkehrsexperte der Grünen im Bundestag. Er pendelt mit dem Zug zwischen Berlin und Stuttgart und protokolliert seit neun Jahren alle Mängel des Bahn-Fernverkehrs – mit wenig erfreulichen Ergebnissen für die Deutsche Bahn.

Berlin - Matthias Gastel notiert seit neun Jahren die Mängel im deutschen Zugverkehr. Und zwar aus eigener Erfahrung: Der Verkehrsexperte der Grünen im Bundestag ist treuer Kunde der Deutschen Bahn (DB), hat noch nie ein Auto besessen, und sein letzter Flug liegt mehrere Jahre zurück. Meist ist der Schwabe aus dem Wahlkreis Nürtingen/Filder zwischen Stuttgart und Berlin mit den Fernzügen des Staatskonzerns unterwegs – durchaus privilegiert: Bundestagsabgeordnete dürfen kostenlos in der ersten Klasse fahren, auch privat.

 

Fürs ablaufende Jahr fällt seine Bilanz kritisch aus: „Verspätungen und verpasste Anschlüsse bleiben aus Fahrgastsicht das mit Abstand größte Problem der Bahn und belasten das Image erheblich.“ Trotz Corona hat Gastel bis Mitte Dezember immerhin 79-mal die ICE- und Intercity-Flotte genutzt, fast so oft wie im Jahr zuvor. Doch nur 70 Prozent der Züge waren pünktlich, im Schnitt betrug die Verspätung 17 Minuten.

Bestwert bei Pünktlichkeit im Coronajahr

Im Vorjahr, als wegen der Pandemie viel weniger Verkehr war, registrierte der Politiker den bisherigen Bestwert: 80 Prozent der Züge fuhren halbwegs nach Fahrplan. Allerdings hatte das übrige Fünftel im Schnitt satte 33 Minuten Verspätung. Gastel legt etwas strengere Maßstäbe an als der Bahn-Konzern, für den Züge unter sechs Minuten Verspätung noch als pünktlich gelten. Bis Ende November weist die offizielle Statistik trotzdem nur 75 Prozent Pünktlichkeit im Fernverkehr aus. Jeder vierte Zug kommt also auch nach DB-Definition deutlich zu spät, wie schon in den meisten Jahren zuvor.

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Gastel erfasst Fahrten ab fünf Minuten Verspätung als unpünktlich. In früheren Jahren fiel seine Bilanz im Vergleich zu den offiziellen DB-Zahlen teils noch deutlich schlechter aus. So waren 2019 bei 149 Fahrten nur 65 Prozent der Züge halbwegs pünktlich, ein Jahr zuvor von 128 Zügen gar nur 54 Prozent. Mit der Folge, dass dann auch vermehrt Anschlüsse verpasst wurden und sich die Reisezeit teils weiter verlängerte.

Anschlüsse erreicht Gastel nun häufiger

Das hat sich deutlich gebessert. Wie im Vorjahr konnte Gastel bei 95 Prozent seiner Reisen die Anschlüsse erreichen. Auch im Zug registriert er Fortschritte. So war in allen Fällen das nächstgelegene WC nutzbar, zuvor gab es einige Ausfälle. Die Gastronomie funktionierte bei 81 Prozent der Fahrten, in den Vorjahren nur bei 69 und 56 Prozent.

Immer noch zu oft aber gebe es Einschränkungen beim Service, kritisiert der Abgeordnete. Mal sind Angebote im Restaurant und Bistro ausverkauft, dann wieder ist die Kühlung ausgefallen, weshalb viele Lebensmittel nicht mehr verkauft werden dürfen. Oder es fehlt schlicht das Bordpersonal für Verkauf und Bedienung.

Defekte Reservierungsanzeigen als ständiges Ärgernis

Für den Politiker sind solche Servicemängel nicht akzeptabel. Das gelte auch für das WLAN, das er über Jahre hinweg als so unzuverlässig erlebt habe, dass er die Technik nicht mehr nutze. Im vorigen Jahr funktionierte WLAN in den DB-Zügen nach seinem Tagebuch nur bei 55 Prozent der Fahrten, zuvor waren es 44, 31 und gar nur 27 Prozent.

Ein ständiger Ärger bleiben nicht nur für ihn die Reservierungsanzeigen im Zug, die in diesem Jahr nur bei 78 Prozent seiner Reisen funktionierten. Ähnlich dürftig waren die Werte in den Vorjahren, trotz vieler Beteuerungen des DB-Konzerns, dass man die Informationssysteme verbessert habe.

Insgesamt dennoch eine positive Bilanz

„Gerade in Pandemiezeiten, in denen Abstand halten das Gebot der Stunde ist, ist dies nicht zu akzeptieren“, kritisiert der Politiker. Meist blieben Nebensitze aber dennoch frei, da die Züge deutlich schwächer ausgelastet waren als sonst. Zudem hielten die Reisenden nach seinen Erfahrungen in mehr als 95 Prozent der Fälle die Maskenpflicht ein.

Wer die Maske in Gastels Umgebung nicht oder nicht richtig trägt, wird von ihm angesprochen. Nur ganz selten habe es darauf bisher eine „blöde Reaktion“ erhalten, so der Politiker. Auch der Konzern achtet auf Einhaltung der Regeln. Seit die 3G-Regelung in den Zügen gilt, hat der Politiker zwei Kontrollen durch die DB-Sicherheit erlebt.

Insgesamt fällt Gastels Bilanz positiv aus: „Ich fahre gerne Bahn, trotz aller Mängel und obwohl die Freude in der Coronazeit getrübt ist. Während der Fahrt kann ich wunderbar arbeiten und die Zeit sinnvoll nutzen.“ Zudem sei die Bahn „ein umweltfreundliches, serviceorientiertes und im Grundsatz verlässliches Verkehrsmittel“, auch wenn die Verspätungen bisweilen nervten.

Grüne dringen auf Reformen des Bahnverkehrs

Deshalb müssten die Branche und die Politik „gemeinsam endlich alles dafür unternehmen, dass die Bahn ihre theoretischen Vorzüge auch in der Praxis viel häufiger ausspielt als derzeit“, fordert der Verkehrsexperte. Die politische Bevorzugung des Straßenverkehrs müsse ein Ende haben, mit dem Koalitionsvertrag der Ampel seien wichtige Ziele definiert worden. „Wir Grünen werden darauf dringen, dass diese und weitere wichtige Dinge rasch angepackt werden, um klimaverträgliche Mobilität und gute Alterativen zu Auto und Flugzeug zu schaffen“, verspricht Gastel. Sein Bahn-Tagebuch wird zeigen, ob und wie schnell die neue Regierung diese Versprechen erfüllt.