Harte Arbeit: Blochziehen in Fiss Foto: Serfaus-Fiss-Ladis Marketing GmbH/Andreas Kirschner

Mystisch und tierisch: In kaum einer Region finden sich so viele und unterschiedliche Fasnachtsbräuche wie in Tirol. Sie reichen in graue Vorzeiten zurück.

Es ist Nacht, Scheinwerfer lassen das Tiroler Dorf Fiss in gleißendem Licht leuchten. Pistenraupen präparieren die Straßen mit Schnee. Am Kulturzentrum stimmen sich die Einheimischen am Lagerfeuer mit Glühwein auf den großen Umzug ein. Sie bewachen einen 30 Meter langen Zirbenstamm, den sogenannten Bloch. Wie ein erlegtes Tier liegt er auf einem Schlitten. Tags darauf werden ihn 60 maskierte Männer durchs Dorf ziehen.

 

Die Nachtwache hat einen guten Grund: Keiner soll den Baum beschädigen. 1978 war genau das passiert. Da kamen die Frauen und füllten die Wache mit Schnaps ab. Anschließend sägten sie die Deichsel an. „Da hing der Haussegen bei so mancher Familie schief“, erzählt Obmann Christian Kofler.

Holzmasken vom Bildhauer

Das Blochziehen ist Schwerstarbeit. Fünf Tonnen ist der Baum schwer. Einer, der seit Jahrzehnten dabei ist, ist Benjamin Rietzler, Hausmeister im Schlosshotel und für die Kostüme zuständig. Viele Gewänder sind aus Loden und nur schwer zu besorgen.

Zwei der zentralen Figuren des Umzugs sind der Bär und der Schwoaftuifl, ein Teufel mit langem schwarzem Schwanz. Ihre Kostüme kosten jeweils mehr als 1000 Euro und werden von der Gerberei Trenkwalder aus Scheffau hergestellt, berichtet der 50-Jährige. Die meisten Holzmasken hat der einheimische Bildhauer Siegfried Griesmer geschnitzt. Bis zu 35 Stunden braucht er für eine Maske.

20 000 für einen Baum

Das alle vier Jahre stattfindende Blochziehen schweißt die Gemeinde zusammen. Alle 350 Männer des 1000-Einwohner-Orts sind beim Umzug in unterschiedlichsten Rollen dabei. Selbst in den Hexenkostümen stecken Männer. Die Frauen arbeiten im Hintergrund, nähen und schneidern an den Kostümen und kassieren die Eintrittsgelder. Dass die Frauen diesen Brauch akzeptieren, „ist in den Köpfen einfach drin“, sagt Simone Domenig, die Chefin des Schlosshotels. Alles ist gelebte Tradition. Ihr Vater half früher bei der Essensausgabe, und ein Onkel war schon der Bär.

Ein Höhepunkt beim Umzug ist, dass der mächtige Zirbenstamm am Ende für einen sozialen Zweck versteigert wird. 2023 zahlte eine Software-Firma aus der Nähe von Imst mehr als 20 000 Euro für den Baum. Beim Kinder-Blochziehen, das alle zwei Jahre stattfindet, ersteigern meist Einheimische den Baumstamm.

Kampf mit den Kräften der Natur

Das Blochziehen ist einer der ältesten Tiroler Bräuche. Es ist ein Ausdruck jahrhundertealter Auseinandersetzungen mit den gewaltigen Kräften der Natur und ihrer Auswirkungen auf das harte Leben der Bauern in den Alpen. Mündlich überliefert sei das Ritual seit dem 15. Jahrhundert, behaupten die Einheimischen. Es sei ein Relikt der Frühjahrs- und Fruchtbarkeitsfeste ihrer vorchristlichen Ahnen.

Zur Zeit der Napoleonischen Kriege wurde das Blochziehen ausgesetzt. Erst 1909 – bei der Jahrhundertfeier zum Gedenken an die Tiroler Freiheitskämpfe – besann man sich wieder auf die Tradition der Urahnen. Aus diesem Jahr stammt auch die erste schriftliche Aufzeichnung. Die älteste noch erhaltene Maske ist von 1920. Nach dem Zweiten Weltkriegs gab es 1949 erstmals wieder ein Blochziehen. 2011 wurde es immaterielles Unesco-Kulturerbe.

Abschied vom Winter

Auch das Schellerlaufen in Nassereith ist seit 2012 immaterielles Unesco-Kulturerbe. Der Umzug beginnt in der Nacht vor dem eigentlichen Festtag. Pünktlich um Mitternacht strömen aus allen Gassen die Einheimischen zum Postplatz. Auf dem aufgeschütteten Podest aus Schnee herrscht ein wildes Treiben. Am nächsten Tag wird dort um die Mittagszeit der eigentliche Höhepunkt vor Tausenden von Zuschauern zelebriert – der Kampf des Bären gegen den Bärentreiber. Am Ende siegt der aus dem Winterschlaf erwachte Bär – symbolisch löst damit der Frühling die kalte Jahreszeit ab.

Andere Figuren wie Scheller, Roller und Kehrer sind in aufwendig gestaltete und farbenprächtige Seidengewänder gekleidet. Vor allem die Scheller leisten Schwerstarbeit: Sie haben vier Schellen um die Hüfte geschnallt, wovon jede zwischen 20 und 30 Kilogramm wiegt. Um sie zum Klingen zu bringen, fersen die Scheller beim Laufen an, sprich sie ziehen die Fersen abwechselnd zum Gesäß hoch.

Per Losverfahren ins Kostüm

Wer ins Kostüm darf, wird ausgelost – so wie auch alle anderen Rollen der Nassereither Fasnacht. „Das Dorf lebt im Drei-Jahres-Rhythmus“, sagt der Dorfchronist und Schulrektor Thomas Köhle. „Alle fiebern darauf hin.“ Die ausdrucksstarken Holzmasken wurden vom Nassereither Künstler Franz Josef Kranewitter und der 82-jährigen Schnitzerin Irene Krismer gefertigt.

Als das Schellerlaufen 1947 erstmals wieder nach dem Zweiten Weltkrieg aufgeführt wurde, spendierte der General der französischen Besatzungsmacht 150 Liter Wein. Die Menschen sollten endlich wieder etwas haben, woran sie sich erfreuen konnten. Das lockte mehr als 10 000 Zuschauer an. Ein Rekord, der bis heute gilt. Inzwischen kommen alle drei Jahre etwa 5000 bis 6000 Besucher – auch das ist eine stattliche Zahl für das 2000-Einwohner-Dorf.

Erste Erwähnung im Jahr 1740

Wann genau die Fasnacht in Tirol begann, weiß keiner. Trotzdem ist der Nassereither Obmann Gerhard Spielmann überzeugt: „Der Ursprung ist so alt wie die Dörfer selbst!“ So sehen es auch einige namhafte Volkskundler, andere wiederum nennen diese These bloße Spekulation. Die älteste urkundliche Erwähnung der Nassereither Fasnacht findet sich in einem Kanzleibuch, das „Causa Domini“ genannt wird und vom 22. März 1740 stammt. Darin wird von einer „verbottene vermaschierung in der Faschings Zeith zu Pfundts und Nassereith“ berichtet.

Längst haben sich die fünf Tiroler Fasnacht-Hochburgen Fiss, Imst, Nassereith, Telfs, Axams und Tramin in Südtirol zusammengeschlossen. Sie treffen sich regelmäßig, machen gemeinsame Ausstellungen und koordinieren ihre Termine, damit die Veranstaltungen sich nicht gegenseitig Konkurrenz machen. Denn ganz billig ist eine Fasnacht nicht. In Nassereith kostet die Vorbereitung laut Spielmann rund 35 000 Euro. Und deshalb ist man froh um jeden Zuschauer, der Eintritt bezahlt.

Info

Fasnacht in Tirol
In Tirol werden die Fasnachtsbräuche ausgiebig gepflegt. Die nächsten Veranstaltungen sind:

Fisser Kinder-Blochziehen, 28. Januar: Der Zirbenstamm ist etwas kleiner und bringt weniger Gewicht auf den Schlitten als bei den Erwachsenen. Imster Schemenlaufen, 4. Februar: Das Schemenlaufen zählt neben dem Nassereither Schellerlaufen zu einem der farbenprächtigsten Fasnachtsspektakel in Tirol. Axamer Wampelerreiten, 8. Februar: Das Wampelerreiten ist der wohl brachialste Fasnachtsbrauch in Tirol. Telfer Schleicherlaufen, 2. Februar 2025: Alle fünf Jahre greift das Fasnachtsfieber um sich und die Bären, Wilden und Schleicher ziehen durch Telfs. Fisser Blochziehen: 25. Januar 2026. Nassereither Schellerlaufen: 1. Februar 2026.