Ein Lahrer Hausarzt hat einem Patienten gekündigt, da der dem Vorstand des AfD-Stadtverbandes angehört. Im Gespräch mit unserer Redaktion nehmen beide zu dem Fall Stellung.
Die E-Mail ist im Ton höflich, in der Sache aber knallhart: „Sehr geehrter Herr Heiko Nüßner, aufgrund deutlich politisch unterschiedlicher Ansichten bitte ich Sie, sich einen anderen Arzt Ihres Vertrauens zu suchen“. Der Adressat ist Beisitzer im Vorstand des AfD-Stadtverbands – und seit diesem Schreiben nur noch Ex-Patient des Absenders, ein Lahrer Hausarzt, der unsere Redaktion gebeten hat, seinen Namen aus der Berichterstattung herauszuhalten.
Nüßner ist gelernter Schäfer und Versicherungskaufmann, übt zurzeit aber keinen Beruf aus. Seit einem Unfall vor drei Jahren sitzt er im Rollstuhl. Der 57-Jährige wurde in der früheren DDR geboren, wo er 1990 in die CDU eingetreten sei – aus Begeisterung über den „Kanzler der Einheit“ Helmut Kohl, wie er unserer Redaktion erzählt. Wieder ausgetreten aus der CDU sei er 2016 – aus Enttäuschung über Kanzlerin Angela Merkel. Er sei unzufrieden gewesen, in welche Richtung sich die Partei bewegt habe und nennt dabei besonders die Migrationspolitik, die Euro-Politik und den Ausstieg aus der Kernenergie.
Seit 2016 gehöre er der AfD an, da die für ihn „die frühere CDU“ verkörpere und er konservativ sei. Auf die Frage, weshalb es die AfD sein musste, die in Teilen als rechtsextrem gilt, beklagt er eine „mediale Hetze“ gegen die Partei, die „natürlich nicht rechtsextrem“ sei.
Nüßner war seinen Angaben zufolge von 1999 bis 2004 als CDUler Mitglied des Kreistags von Mittweida in Sachsen und engagiert sich auch nach seinem Umzug in die Ortenau in der Lokalpolitik, erst in Herbolzheim, mittlerweile in Lahr.
Er kandidiert für den Gemeinderat und ist in den Vorstand des AfD-Stadtverbands gewählt worden, der Mitte Januar in der Lahrer Zeitung abgebildet wurde. Auf dem Foto war auch Nüßner zu sehen. So hat sein Arzt seine politische Gesinnung erfahren. Als Nüßner ihn Anfang März schriftlich um neue Rezepte bat, bekam er die Antwort, dass er sich einen neuen Arzt suchen soll.
Er habe mit dem Mann nie über Politik gesprochen, versichert Nüßner, der auch sagt, dass er mit der Behandlung in der Praxis zufrieden und das Personal dort nett gewesen sei. Dass der Mediziner sich von ihm wegen seiner AfD-Zugehörigkeit getrennt habe, sei für ihn „bedrückend“ und das Spiegelbild einer Gesellschaft, in der die Menschen „aufgehetzt“ würden.
Sein ehemaliger Hausarzt betont im Gespräch mit unserer Redaktion, dass er „nicht dem linken politischen Rand“ angehöre. Von der Mitgliedschaft Nüßners in der AfD wisse er durch das Foto in der Zeitung. Er erwarte von ihm, sich von der Partei zu distanzieren, so der Mediziner, denn die AfD stehe für „eine sehr, sehr ungesunde Entwicklung“. Zum Beleg nennt der Arzt Nachrichten aus dieser Woche, wonach die AfD im Bundestag mehr als 100 Rechtsextreme beschäftige. Auch das Verfahren gegen die Bundespartei, ob die AfD als rechtsextremer Verdachtsfall deutschlandweit vom Verfassungsschutz beobachtet werden darf, bringt er zur Sprache. Seinem ehemaligen Patienten wirft er vor, „der falschen Partei nachzulaufen“.
Er liege mit ihm „politisch nicht auf einer Wellenlänge“, so der Arzt. Gleichwohl habe es noch andere Gründe gegeben, sich von ihm zu trennen, die er wegen der ärztlichen Schweigepflicht für sich behalte.
Was sagt das Gesetz?
Das ärztliche Berufsrecht kennt durchaus die freie Patientenwahl. In Paragraf 7 Absatz 2 der Musterberufsordnung heißt es, „von Notfällen oder besonderen rechtlichen Verpflichtungen abgesehen (sind) auch Ärztinnen und Ärzte frei, eine Behandlung abzulehnen“. Ein Arzt darf einen Patienten etwa wegschicken, wenn die Praxis überlastet ist, sein Fachgebiet für die Behandlung nicht ausreicht oder der Patient eine Behandlung will, die für den Arzt unwirtschaftlich ist. Laut Grundgesetz darf aber niemand wegen seiner politischen Anschauungen benachteiligt werden.