Handstand am Abgrund: Alexander Huber im Yosemite-Nationalpark Foto: dpa

Profibergsteiger und Extremkletterer Alexander Huber ist es gewöhnt, sich ohne Sicherung am Abgrund zu bewegen. Über die Angst, die er dabei empfindet, hat er ein Buch geschrieben.

Profibergsteiger und Extremkletterer Alexander Huber ist es gewöhnt, sich ohne Sicherung am Abgrund zu bewegen. Über die Angst, die er dabei empfindet, hat er ein Buch geschrieben.

Stuttgart - In den Bergen scheint er furchtlos. Doch Extrembergsteiger Alexander Huber kennt die Angst – am Fels und im normalen Leben. Er sagt: „Man muss sich mit ihr auseinandersetzen.“

Herr Huber, man kennt Sie als Bergsteiger, der selbst schwierigste Wände ohne Sicherung klettert. Furcht scheint da nicht vorzukommen. Das zentrale Thema Ihres aktuellen Buchs ist aber ausgerechnet: die Angst . . .   
. . . und weil ich Bergsteiger bin, setze ich mich dabei auch mit der Angst, wie ich sie beim Klettern erlebe, auseinander.
Viele sagen: Da muss man doch eher die Angst überwinden, man darf keine Angst zeigen.
Angst überwinden würde doch bedeuten, dass man gar keine Angst mehr hat, aber das wäre doch total verkehrt.
Wieso das denn?
Nehmen wir den Abfahrer, der in Kitzbühel die Streif fährt. Hätte der am Start keine Angst, würde er völlig unkonzentriert runter fahren. Es ist aber anders: Er weiß, was bei einem Sturz alles passieren kann, er hat Angst, aber sie macht ihn nicht nervös. Denn er weiß auch, dass er die Streif im Griff hat. Die Angst macht ihn nur vorsichtig – und ist deshalb sein Freund.
Was also bedeutet: Angst überwinden?
Dass man sich mit ihr auseinandersetzt. Man muss der Angst in die Augen schauen.
So wie Sie es beim Bergsteigen oder beim Free-Solo-Klettern ohne jede Sicherung tun?
Genau. Wenn ich da unkonzentriert wäre, weil ich die Angst verloren habe, kann ich Schaden nehmen. Ich weiß genau, was passieren kann, also bleibe ich konzentriert. Sollte ich aber merken, dass ich überfordert bin, dann muss ich die Angst auch zugeben.

"Angst zuzugeben erfordert richtig Mut"

Was gerade in einer Gruppe nicht einfach ist.
Es war aber schon immer ein Fehler, beim Bergsteigen nicht zuzugeben, dass man ein schlechtes Gefühl hat, dass man sich überfordert fühlt. Aber klar: Angst zuzugeben erfordert richtig Mut. Deshalb hängen Mut und Angst ja auch so intensiv zusammen.
Sie haben Mut bewiesen, als Sie zugaben, an Burn-out zu leiden. Ausgerechnet Sie, der angeblich furchtlose Bergsteiger.
In dieser Hinsicht habe ich es eben nicht so perfekt gemacht wie beim Bergsteigen. Da bin ich seit langer Zeit Experte im Umgang mit der Angst. Im normalen Leben aber habe ich lange Zeit die Ängste negiert.
Woher kamen diese Ängste?
Gerade mit der Umstellung vom Bergsteigen als Berufung zum Klettern als Beruf änderte sich vieles. Bis dahin hatte ich studiert, ich wollte Physiker werden, der Sport war meine Leidenschaft, von der ich nicht finanziell abhängig war. Als ich das hingeworfen habe, war ich vom Erfolg als Sportler abhängig. Das verpflichtet, da geht ein Stück Leichtigkeit verloren. Diesen Faktor habe ich komplett unterschätzt, genauso wie den finanziellen Druck. Ich habe mich zu lange nicht damit auseinandergesetzt, irgendwann kamen dann viele negative Dinge zusammen und ich merkte: Ich brauche Hilfe.
War es schwer, sich das einzugestehen?
Am Ende gar nicht so sehr, denn vom Verlauf her war es dann recht dramatisch. Ich wollte als Bergsteiger Leistung bringen, habe aber gemerkt, dass ich nicht mehr leistungsfähig bin. Mein Selbstvertrauen war massiv erschüttert. Nachdem physische Gründe ausgeschlossen waren, bin ich relativ schnell zum Therapeuten.
Ein Schritt, den viele Betroffene scheuen.
Es ist der Begriff Therapeut, vor dem viele Menschen zurückschrecken. Deshalb sage ich: Wenn einer ein Problem damit hat, soll er sich eben einen Mentaltrainer suchen. Den hat heutzutage jeder Leistungssportler. Das ist im Grunde zwar das Gleiche, aber wenn sich die Leute dabei wohler fühlen . . .
Sein Leiden öffentlich zu machen ist ein weiterer schwieriger Schritt.
Ja, es dauert lange, bis man sich wieder so wohlfühlt, dass man überhaupt daran denkt, das nach außen zu tragen. Aber ich habe über die Jahre einfach gemerkt, wie viele andere Menschen auch darunter leiden und wie vielen man damit helfen kann. Auch bei meinen Vorträgen merke ich, wie ich die Menschen mit dem Thema in meinen Bann ziehe. Was bedeutet: Die meisten haben eine gewisse Eigenerfahrung.
Nach dieser Erfahrung: Schätzen Sie die Angst in Bergen noch immer?
Ja. Auch wenn es unangenehme Angst gibt. Angst, die sich deiner Kontrolle entzieht. Zum Beispiel bei Steinschlaggefahr in einer Rinne, durch die du zwingend durchmusst. Das ist eine Angst, die ich nicht haben will. Aber auch sie hat ihr Gutes.
Inwiefern?
Sie hilft einem, künftig noch weitsichtiger zu werden – und eine solche Situation dann vermeiden zu können.

"Es ist doch schön, wenn die Menschen in die Berge gehen"

Wie weitsichtig sind Ihre eigenen Planungen?
Man muss erkennen, dass man über den Horizont, den man erreicht hat, eigentlich nicht mehr hinauskommt. Es gibt einige Sachen, da hilft einem die Erfahrung, aber körperlich geht es einfach den Berg runter. Aber ich liebe das Bergsteigen nach wie vor und lasse alles ganz locker auf mich zukommen.
Verlieren die Berge nicht irgendwann ihren Reiz, wenn man sieht, wie viele Menschen heutzutage allein auf dem Mount Everest unterwegs sind?
Der Mount Everest hat mit dem ursprünglichen Bergsteigen nichts mehr zu tun. Das ist nur noch Tourismus.
Sind die Berge übervölkert?
Es ist doch schön, wenn die Menschen in die Berge gehen. Denn jeder Mensch, der die Bergwelt kennen- und schätzen lernt, der will sie auch beschützt wissen. Also kann man die Menschen nicht von den Bergen aussperren – weil sie dann gar kein Gefühl dafür bekommen, warum es eine schützenswerte Landschaft ist. Wer die Menge nicht mag, muss seine eigenen Wege gehen. Was man nicht machen sollte: Darüber schimpfen.
Da ist aber auch der Sicherheitsaspekt. Bergsteigen ist gerade für Unerfahrene riskant.
Hasardeure gibt es in allen Bereichen. Bei den Laien ebenso wie bei den Besten.
Müsste unter jedem Ihrer Bilder und Filme stehen: Bitte nicht nachmachen!
Gott sei Dank ist jeder selbstbestimmt und kann selbst entscheiden, was er machen will. Und nur weil einer das Abfahrtsrennen in Kitzbühel im Fernsehen gesehen hat, stellt er sich nicht auf die vereiste Streif und fährt wie ein Abfahrer hinunter. Genauso ist es auch beim Free-Solo-Klettern.