Jost Kobusch im Himalaya-Gebirge – sein Ziel ist der Gipfel des Mount Everest. Foto: Daniel Hug/Daniel Hug

Der Alpinist Jost Kobusch will den Mount Everest bezwingen – allein, im Winter und ohne Sauerstoff. Bergsteigerlegende Reinhold Messner kritisiert den Bielefelder. Kann dessen Expedition klappen?

Stuttgart - Es war eine Kombination, die Leben kosten kann. Eine unbekannte Route auf über 7000 Meter Höhe, Lawinengefahr, eisige Stürme, ein aufgrund einer Überlastungsreaktion schmerzender Fuß, wochenlange Probleme mit dem Magen – und: keine unterstützende oder rettende Begleitung. „Mehrmals wurde mir da oben sehr wohl bewusst, dass das, was ich da mache, tödlich ausgehen kann“, sagt Jost Kobusch. Und unternimmt ab diesem Mittwoch trotz allem den nächsten Versuch.

 

Das Ziel des 29-Jährigen: den höchsten Berg der Welt, den Mount Everest, besteigen. Ohne Sauerstoff, allein, im Winter. Jost Kobusch sagt: „Meine Erfolgschancen liegen bei zehn Prozent.“ Viele Experten sagen: Es ist unmöglich. Zu den Skeptikern gehört auch Reinhold Messner.

Lesen Sie aus unserem Plus-Angebot: Großes Interview mit Handball-Star Hendrik Pekeler

Die Bergsteigerlegende aus Südtirol nennt Kobusch den „Weltmeister im Ankündigen“ – und bezieht sich dabei konkret auf den ersten Versuch des gebürtigen Bielefelders vor zwei Jahren: „Er versuchte im Winter allein und ohne Hilfsmittel auf den Everest zu steigen. Und das, obwohl er am Ende sagte, er hätte nur eine einprozentige Chance gehabt.“ In den Ankündigungen über die sozialen Medien spielten diese geringen Erfolgsaussichten zunächst aber keine Rolle, kritisiert Messner weiter. „Sie haben gar keine Chance, weil sie so eine Mammutaufgabe schlichtweg nicht bewältigen können“, sagt der 77-Jährige über jene Gruppe von Möchtegernalpinisten, zu denen er Kobusch zählt, „das wissen aber ihre Instagram- und Facebook-Follower nicht.“

Ziel verfehlt – aber nicht gescheitert

Jost Kobusch hat tatsächlich sein Ziel verfehlt bei seinem ersten Versuch im Winter 2019/20 – sieht das im Nachhinein aber keineswegs als Scheitern. Eher als eine Art Annäherung. „Aus meiner Sicht war die Expedition ein Erfolg“, sagt er. Sein Ziel sei es auf dieser „Trainingsexpedition“ gewesen, bis auf 7200 Meter aufzusteigen und dabei eine kaum gekannte Route Richtung Gipfel zu nehmen. Bis auf 7366 Meter stieg er auf, wog dann nach eigener Auskunft „das Chance-Risiko-Verhältnis ab“ – und kehrte im Februar 2020 um. Nun, zwei Jahre später, sieht er sich besser gerüstet.

Lesen Sie aus unserem Angebot: Der VfB und Alexander Wehrle – es geht nur noch um Details

Das liegt zum einen an den Erfahrungen, die er beim ersten Versucht gesammelt hat. „Die Route, die ich gewählt habe, wurde sein 30 Jahren von keinem Bergsteiger mehr gegangen“, erzählt er, „damals habe ich einen Monat gebraucht, um zu wissen, wie ich in den unteren Teil des Berges einsteigen muss.“ Diese Zeit fehlte ihm in der sogenannten Todeszone über 7000 Metern. Nun, rechnet er vor, „habe ich diese Zeit, weil ich meine Routen kenne“. Frühere Erfahrungen als junger Bergsteiger würden ihm zudem helfen: „Ich habe alle Dummheiten, die man auf einem Berg machen kann, gemacht.“ Mit Blick auf den Mount Everest ergänzt er: „Ich weiß heute ganz genau, welche Fehler ich nicht noch einmal machen werde.“ Dazu sieht er einen weiteren Vorteil gegenüber 2019.

„Bisher war ich ein Flachländler“, gibt Jost Kobusch zu – der mittlerweile im französischen Chamonix lebt und somit in der Höhe lebt und trainiert. „Meine Chancen“, sagt der Alpinist nun, „haben sich um ein Vielfaches erhöht.“ Wie gesagt: zehn Prozent. Nicht mehr. Und doch sieht er sich nicht als der von Messner beschriebene Möchtegern.

Das Unmögliche möglich machen gehört zum Alpinismus

„Für mich bedeutet Alpinismus auch immer Exploration“, sagt er stattdessen – und konkretisiert: „Dinge zu versuchen, von denen ich nicht sicher bin, ob sie überhaupt möglich sind.“ Auch Messner habe einst bewiesen, dass man Unmögliches möglich machen kann – als er alle Achttausender erklommen hat. Ein anderer, der jüngst Aufsehen erregte, war der Nepalese Nimsdaj Purja. Er erklomm alle 14 Achttausender innerhalb von nur sieben Monaten zwischen April und Oktober 2019. Das „Project possible 14/7“ läuft mittlerweile als Dokumentation auf Netflix, vier Sherpas begleiteten den 39-Jährigen, in der Todeszone wurde mit Sauerstoff geklettert.

Lesen Sie aus unserem Angebot: Jakob Johnson und Stuttgart Surge – was geht da?

Jost Kobusch will ganz alleine, im Winter und ohne Sauerstoff den Gipfel des Mount Everest erklimmen – und kontert Messners Kritik trocken: „Wer sagt denn, was richtig und was falsch ist? Ein 77 Jahre alter Mann irgendwo in Südtirol?“ Der Bielefelder sieht sich nicht nur als Bergsteiger, sondern auch als Künstler – und Kunst habe keine Regeln. Beziehungsweise: „Ich mache meine eigenen Regeln.“ Einen Einfluss gibt es für ihn aber dennoch: die Angst.

Erst 15 Menschen haben es im Winter auf den Everest geschafft – mit Sauerstoff. Die Frage nach dem möglichen Tod ist da zwangsläufig. Nimmt er das Sterben leichtfertig in Kauf? Jost Kobusch weiß: „Wenn ich mir auf dem Westgrat auf über 7000 Metern den Haxen breche, ist es vorbei. Dort kann mich kein Mensch retten und kein Helikopter holen.“ Angst vor dem Tod spürt er dennoch nicht. Angst generell dagegen schon. Er will sie nutzen.

Versuchen, bis es klappt

„Angst kann motivieren. Angst erzeugt Fokus“, sagt der 29-Jährige. Schließlich kennt er brenzlige Situationen nur zu gut: Ein Knoten in einem alten Seil rettete ihm schon einmal im freien Fall das Leben. Ein anderes Mal wehte der Wind auf über 7000 Meter Höhe fast sein Zelt weg – der Verlust wäre in der Folge tödlich gewesen. Heute sagt Jost Kobusch: „Nachdem ich dem Tod so nah war, weiß ich mein Leben heute viel mehr zu schätzen.“

Der Mount Everest soll es dennoch sein. Allein. Ohne Sauerstoff. Im Winter. Und wenn es wieder nicht klappt? Dann folgt eben der dritte Anlauf. „Ich werde“, sagt Jost Kobusch, „es so lange versuchen, bis ich es geschafft habe.“