Der Blick vieler Unternehmen aus Baden-Württemberg richtet sich nach London – hier im Foto die britische Flagge vor dem berühmten Glockenturm Big Ben. Diese Woche will das britische Parlament mit den Beratungen über den formellen Brexit-Antrag des Landes bei der EU beginnen. Foto: dpa

Während manche Unternehmen aus Baden-Württemberg erste Auswirkungen des Brexits schon zu spüren bekommen, legen andere geplante Investitionen in Großbritannien erst mal auf Eis. Die Unsicherheit ist groß, viele befürchten steigende Kosten und mehr Bürokratie.

Stuttgart - Großbritannien liegt unter den wichtigsten Exportländern für die Unternehmen aus Baden-Württemberg auf Rang sechs, für den Maschinenbau sogar auf Rang vier. Viele Unternehmen treibt die Frage um, wie es nach dem Brexit weitergeht. Diese Woche will das britische Parlament erstmals mit den Beratungen über den formellen Brexit-Antrag des Landes bei der EU beginnen. Erste Auswirkungen sind schon bei baden-württembergischen Unternehmen zu spüren, wie eine Umfrage unserer Zeitung ergeben hat.

Beim Ventilatorenspezialist EBM Papst aus Mulfingen spricht man von einer abgeschwächten Nachfrage, weil sich der britische Heizungstechnikmarkt abgekühlt habe. „Großbritannien ist weltweit der größte Einzelmarkt für Gasheizgeräte“, sagt der seit Januar amtierende EBM-Papst-Chef Stefan Brandl. Man habe weniger Komponenten und Gebläse an die Heizgerätehersteller in Großbritannien liefern können, weil die weniger produziert und verkauft hätten. EBM Papst produziert die Zulieferteile im Werk Landshut, hat aber eine eigene Vertriebstocher in Großbritannien. „Das ist ein wichtiger Markt für uns“, sagt Brandl. Die Abwertung des britischen Pfunds habe „Wettbewerbsfähigkeit gekostet“, viele Geschäfte würden in Euro abgerechnet. Auch seien die Konsumenten mit ihren Anschaffungen vorsichtiger geworden. Weltweit entfallen rund 15 Prozent des EBM-Papst-Umsatzes von 1,68 Milliarden Euro auf Heizungskomponenten. „Wir verharren weder in Schockstarre noch in Euphorie“, sagt Brandl, „aber wir beobachten die Entwicklungen mit größter Aufmerksamkeit.“

Stihl steht zum britischen Markt

Besorgt äußert man sich beim Waiblinger Motorsägenhersteller Stihl, der rund 90 Prozent seines Umsatzes im Ausland erzielt, davon fast 40 Prozent im EU-Binnenmarkt. „Ich bedauere sehr die Entscheidung über den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union. Für Handel und Direktinvestitionen drohen mehr Bürokratie, höhere Kosten und insgesamt schlechtere Rahmenbedingungen“, sagt Nikolas Stihl, Beirats- und Aufsichtsratsvorsitzender des Familienunternehmens. Großbritannien zählt für Stihl zu den zehn umsatzstärksten Märkten weltweit und sei sehr wichtig für die Stihl-Gruppe. Deshalb werde man die Marktpräsenz in Großbritannien auch nach dem Brexit nicht verringern. „Wir werden keine Investitionen zurückfahren, sondern unsere Anstrengungen dort eher noch verstärken. Stihl steht zum britischen Markt“, betont Nikolas Stihl. Großbritannien werde den freien Zugang zum europäischen Binnenmarkt verlieren. Die Exportabwicklung werde aufwendiger, da der freie Warenverkehr nicht mehr wie bisher möglich sei. Aufgrund steigender Zollformalitäten sei von höheren Transportkosten auszugehen, beispielhaft nennt er Standgelder an der Grenze, Administration und Verzollung. Die britische Währung könnte langfristig an Wert verlieren und damit Exporte nach Großbritannien verteuern. „Dies würde möglicherweise Preiserhöhungen bei unseren Produkten erforderlich machen“, so Stihl. Wenn die neuen Standards, wie beispielsweise Sicherheits- oder Emissionsvorschriften, von den heute geltenden EU-Standards abwichen, werde dies zu höheren Kosten und weiteren Exporthindernissen führen, fürchtet er.

Veränderungen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer

Der Brexit werde für viele Unternehmen nicht ohne negative Folgen bleiben. Die Geschäfte würden unattraktiver, prophezeit auch Andreas Richter, Hauptgeschäftsführer der IHK Region Stuttgart. „Die EU startet praktisch bei Null und muss mit den Briten alle Handels- und Zollvereinbarungen neu verhandeln. Auch Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen sich auf weitere Veränderungen einstellen“, sagt Richter. Negative Auswirkungen sieht auch Dietrich Birk, Geschäftsführer des Landesverbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) – besonders für die über 60 baden-württembergischen Maschinenbauer mit Tochterfirmen in Großbritannien. Das hätte nicht nur Einschränkungen in der tagtäglichen Zusammenarbeit. Weil neue Handelsabkommen mit Großbritannien neu verhandelt werden müssen, würde dies einige Produktionsstätten in Großbritannien für baden-württembergische Firmen ebenfalls unattraktiver machen.

Eine höhere Komplexität und steigende Kosten befürchtet auch Hans-Eberhard Koch, Präsident des Landesverbands der baden-württembergischen Industrie (LVI). Entscheidender Punkt sei letztlich, ob der Brexit zu Handelshemmnissen im Waren- und Personenverkehr führe. Wenn es keine Handelshemmnisse gebe, wie dies beispielsweise mit der Schweiz oder Norwegen der Fall sei, „dann ist alles in Butter“, sagt er. Im Moment herrsche aber eine große Unsicherheit. Deshalb hat Koch in seiner Eigenschaft als Unternehmer Investitionen in Großbritannien erst mal auf Eis gelegt – wie im Übrigen auch manch’ andere Firmen. Koch ist Geschäftsführer der Pforzheimer Witzenmann GmbH, ein Hersteller von Metallschläuchen und Kompensatoren, und mit einer Tochtergesellschaft in Großbritannien präsent. „Wir stehen zum Markt und zu unseren Mitarbeitern“, sagt Koch. Angesichts der Wechselkursverhältnisse befürchtet er allerdings eine Verteuerung der Produkte, was zu Lasten der Wettbewerbsfähigkeit ginge. Dass Premierministerin Theresa May Unternehmen mit steuerlichen Vorteilen locken will, hält er für einen „Schuss in den Ofen“. Großbritannien könne dennoch nicht mit Niedrigkosten-Standorten in Europa konkurrieren, sagt er.

Heller produziert in England für den Weltmarkt

Klaus Winkler, Vorsitzender der Geschäftsführung des Nürtinger Werkzeugmaschinenbauers Heller, will nicht über mögliche Brexit-Folgen spekulieren. Heller produziert seit über 40 Jahren Werkzeugmaschinen in Redditch gut 20 Kilometer südlich von Birmingham. Mit 150 Mitarbeitern werden dort jährlich rund 200 Bearbeitungszentren für den Weltmarkt in Serie gebaut. „Unser Werk in England ist damit ein wesentlicher Bestandteil des weltweiten Heller-Produktionsverbundes“, sagt Winkler. Er gehe weiterhin davon aus, dass die Heller-Kunden aufgrund des geplanten Freihandelsabkommens zwischen der EU und Großbritannien keine Nachteile haben werden.

Warum sich Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut in Großbritannien aus erster Hand informieren will

Auch der baden-württembergischen Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut liegt das Thema am Herzen. „Der Brexit wird sich auf vielfältige Weise auf die Unternehmen wie auch die Arbeitnehmer auswirken. Ich möchte mich frühzeitig aus erster Hand informieren, welche konkreten Auswirkungen die Unternehmen sehen und wo und wie wir hier als Land Hilfestellung leisten können“, so die Wirtschaftsministerin, die im Februar 2017 mit einer Wirtschaftsdelegation nach Großbritannien reisen will. Dabei geht es um den Austausch mit in Großbritannien ansässigen baden-württembergischen Firmen und britischen Unternehmen, die in Baden-Württemberg aktiv sind sowie mit Wirtschaftsverbänden. „Insbesondere aus dem Gespräch mit Betroffenen direkt vor Ort erhoffe ich mir einen unverfälschten Einblick in die Herausforderungen und Probleme, denen die Unternehmen gegenüber stehen“, so die CDU-Politikerin. Gleichzeitig will Hoffmeister-Kraut auch für den Standort Baden-Württemberg trommeln. Baden-Württemberg sei ein attraktiver Wirtschaftsstandort, der weltweit bei Investoren auf Interesse stoße. „Selbstverständlich liegt es auch in unserem Interesse, bei internationalen Unternehmen, die auf einen Sitz in der EU angewiesen sind und über eine Verlagerung aus Großbritannien nachdenken, für Baden-Württemberg als Standort zu werben.“ Die Ministerin denkt dabei auch an Unternehmen aus der Finanzwirtschaft.