Bürgermeisterin Isabel Fezer legt selbst Hand an: Fünf Busse und drei Stadtbahnen machen nun einen Monat lang Werbung für den Beruf des Erziehers. Foto: Leif Piechowski

Es geht um die Zukunft der Kinder. Besser gesagt,um die Fragen: Schafft die Stadt ausreichend Betreuungsplätze für Kleinkinder, kann sie genug Erzieher für diese Einrichtungen gewinnen, und stimmt dann auch noch die Qualität in den Kitas? Dazu nimmt Sozialbürgermeisterin Isabel Fezer Stellung.

Stuttgart - Isabel Fezer liebt die Symbolik. Wenn es darum geht, die Kita-Problematik zu entschärfen, packt sie selbst mit an. Also beklebte sie am Montagmorgen einen Bus der Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) mit einer Werbefolie. Mit der Kampagne will sie Menschen den Erzieher-Job schmackhaft machen und Personal aus anderen Städten gewinnen. Fachkräfte, die sie und die Stadt dringend brauchen, wie der Jahresbericht 2013 zur Kindertagesbetreuung zeigt.

3921 Plätze fehlen

Das Bessere ist bekanntlich der Feind des Guten. Aber in der Amtsstube der Sozialbürgermeisterin herrscht dennoch Zufriedenheit mit der Entwicklung. Schließlich war die Zeit zum Handeln begrenzt. Erst am Ende des Jahres 2008 war der Beschluss gefasst worden, dass man einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für sein Kind hat. Seitdem wird investiert. Dennoch fehlen nach dem Abgleich der Wartelisten des Jahres 2013 in Stuttgart 3921 Plätze für Kinder unter drei Jahren. Greifen alle geplanten Ausbaumaßnahmen, dann würden bis zum Jahr 2015 noch 1021 Plätze für Kinder unter drei Jahren fehlen. Damit sei das Ziel einer bedarfsgerechten Versorgung erreicht. Es sei ein gutes Zwischenziel, meint Fezer und betont: „Dies bedeutet nicht, dass keine weiteren Anstrengungen nötig sind.“

400 Erzieher gesucht

Dieser Vorsatz gilt auch bei der Gewinnung der notwendigen Fachkräfte. Denn überall im Land herrscht ein Mangel an Erziehern. In den städtischen Einrichtungen fehlen derzeit 160 Erzieher. Sollte der Ausbau der Plätze bis 2015 planmäßig laufen, erhöht sich das Minus auf 400 Stellen. Kurzum: Die Personalgewinnung kann nicht mit dem Platzausbau Schritt halten. Passend dazu sagt Oberbürgermeister Fritz Kuhn: „Wir wollen das Angebot den Alleinerziehenden und Familien anpassen. Baulich sind wir auf dem Weg, jetzt brauchen wir die Fachkräfte, um unsere Kitas für die Kinder öffnen zu können.“ Die Stadt hat daher eine Werbe-Kampagne auf fünf Bussen, drei Stadtbahnen und Plakaten in der Stadt gestartet. Titel: „Komm zu uns.“ Kosten: 150 000 Euro. Und die dazugehörende Botschaft von Isabel Fezer eignet sich gleichzeitig für eine Stellenanzeige: „Wir werben für Menschen, die mit und für Kinder arbeiten möchten, die Teamarbeit schätzen, die Wert auf gute Qualifizierungsangebote legen, die auf einen sicheren Arbeitsplatz und einen Beruf mit Zukunft setzen und in einer lebendigen Großstadt mit hohem Freizeitwert leben möchten.“ Diese Bilderbuchvorstellung gepaart mit der geplanten Erhöhung des Tarifgehalts um 100 Euro soll Fachkräfte anlocken. Allerdings nicht von den Einrichtungen der freien Trager in Stuttgart. Darauf legt Isabel Fezer Wert: „Wir wollen keinen abwerben, sondern das Berufsbild positiv darstellen.“ Die Bürgermeisterin weiß: „Der Beruf hat ein Prestige-Problem.“ Deshalb die Image-Kampagne. Fezer erwartet keine Bewerberflut, aber sie hofft, durch ihre Werbebotschaft auch Quereinsteiger zu gewinnen. Die können sich auf der Homepage der Stadt Stuttgart oder bei Facebook gezielter über die Bedingungen und Möglichkeiten des Erzieherberufs informieren.

Schlechte Noten für Kitas

Es klingt ernüchtern. Die Stadt müht sich und steckt alleine in den kommenden zwei Jahren 130 Millionen Euro in den Ausbau der Kinderbetreuung – und dennoch soll alles nicht genügen. Diese Ansicht vertritt Joachim Bensel von der Forschungsgruppe Verhaltensbiologie des Menschen (FVM). Er präsentierte am Montag dem Jugendhilfeausschuss des Gemeinderats die Ergebnisse einer landesweiten Qualitätsuntersuchung. Sein Fazit: „Wir sind noch weit von einer guten pädagogischen Qualität in den meisten Kindertageseinrichtungen entfernt.“ Seine Prognose: „Bei weiter verschlechternden Strukturen ist damit zu rechnen, dass die große Anzahl der mittelmäßigen Einrichtungen stagniert oder in die Zone der unzureichenden Qualität abrutscht.“ Dann wären Kitas nicht mehr als Aufbewahrungs-Horte, aber kein Platz, an dem frühkindliche Bildung vermittelt wird. Joachim Bensel stellt alles unter das Stichwort „gute Prozessqualität“. Gemeint ist damit unter anderem: „Eine achtsame und respektvolle Haltung gegenüber dem Kind. Das Anbieten von Geborgenheit und Sicherheit. Und die beziehungsvolle Pflege in Alltagssituationen.“ Dies sei nicht gewährleistet, wenn die Aus- und Weiterbildung der Erzieher unzureichend sei oder wenn mangelhafte Rahmenbedingungen herrschten. Dazu gehörte neben großen und anregend gestalteten Räumen auch das angemessene Verhältnis Fachkraft/Kind. Als gute Strukturen empfiehlt Bensel eine Gruppengröße von acht Kindern, eine Gruppenraumgröße von sechs Quadratmetern pro Kind und einen Personalschlüssel von 1:2,6. Tatsächlich aber liegt das Verhältnis im Land bei einer Fachkraft, die 8,4 Kinder betreut. Man muss kein Hellseher sein, um zu wissen, welche Forderung Bensel daraus an die Stadträte ableitet: „Geben Sie mehr Geld für Personal aus, dann erreichen Sie ganz andere Effekte.“ Damit wird der Kita-Ausbau in seinen Facetten erst recht zur Mammutaufgabe.