Der Kaiser empört sich in Berlin, dabei stehen des Kaisers Truppen im August 1914 bereits in Belgien Foto: dpa

Zahlreiche „Wahrheiten“ ranken sich um den Ersten Weltkrieg. Wir stellen drei vor und zeigen, was Historiker dazu sagen.

Zahlreiche „Wahrheiten“ ranken sich um den Ersten Weltkrieg. Wir stellen drei vor und zeigen, was Historiker dazu sagen.

Kriegsschuld

„Mitten im Frieden überfällt uns der Feind“, empört sich Wilhelm II. im August 1914, dabei stehen des Kaisers Truppen zu diesem Zeitpunkt bereits im belgischen Lüttich. Nächstes Ziel: Paris. Die Zeit drängt, im Osten rollt die „russische Dampfwalze“ an, und ein Zweifrontenkrieg gegen Frankreich und Russland soll vermieden werden. Der Präventivschlag macht es dem Gegner leicht, Deutschland als Schuldigen zu brandmarken. Doch in Berlin sieht man sich zum Krieg fast gezwungen, dementsprechend groß ist die Empörung, als 1919 im Frieden von Versailles festgelegt wird, dass Deutschland an allem schuld ist. Kriegsschuldlüge prallt auf Kriegsunschuldlüge. Anfang der 60er Jahre sorgt dann der Historiker Fritz Fischer für frischen Wind in der westdeutschen Geschichtsforschung, die nach Hitler und Holocaust um Schadenbegrenzung bemüht ist. Das Kaiserreich habe den Krieg geplant und vom Zaun gebrochen, lautet seine These – womit Hitler keineswegs ein „Betriebsunfall“ sei. Der Ansatz macht Schule, hatten sich Historiker bis dato eher der Verteidigung des Vaterlands gewidmet als dessen kritischer Überprüfung. Die These von der Alleinschuld gilt heute als widerlegt. Nach Ansicht des Historikers Christopher Clark „wimmelt“ es auf allen Seiten von Urhebern, die Schlafwandlern gleich, aber sehenden Auges in den Krieg stolperten.

Dolchstoßlegende

Im Frühjahr 1918 setzt die Oberste Heeresleitung alles auf eine Karte. Eine letzte Offensive im Westen soll den Sieg bringen. Die Taktik ist ausgefeilt, einen wirklichen Plan hat man nicht. „Wir hauen ein Loch rein. Das Weitere wird sich finden“, erklärt Deutschlands oberster Stratege, General Erich Ludendorff. Drei Monate später stehen die Deutschen wieder vor Paris: Doch die Armee ist ausgeblutet und kann dem Feind nichts mehr entgegensetzen. Ludendorff drängt auf einen Waffenstillstand. Unterzeichnen will er ihn nicht. Das überlassen Ludendorff und der Zweite im Bunde, Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, den Politikern. Nur um anschließend deren Verrat zu beklagen. Das „im Felde ungeschlagene Heer“ sei hinterrücks erdolcht worden. Schuld an der Niederlage seien die Sozialdemokraten, die Kommunisten, die Juden. Für die Generäle lässt sich die Niederlage so leichter ertragen, das eigene Versagen besser verbergen. Doch für die Weimarer Republik erweist sich die Dolchstoßlegende als Belastung. Ludendorffs „plumper Versuch, die Verantwortung für die militärische Verantwortung der zivilen Seite anzulasten“ gelingt. Die Dolchstoßlegende wird selbst dann noch geglaubt, als das Gegenteil bewiesen ist, schreibt der Historiker Klaus-Jürgen Bremm. Auch Adolf Hitler macht sie sich zu eigen: 1923 probt er den Aufstand. Treu an seiner Seite: Ludendorff. Nach dem kläglichen Scheitern des Putschs wird Ludendorff vom Vorwurf des Hochverrats freigesprochen – wegen seiner Verdienste im Ersten Weltkrieg.

Diktatfrieden

Ewigen Frieden sollte der Vertrag von Versailles bringen. Doch die Hoffnungen erfüllten sich nicht. Deutschland verliert alle Kolonien, ein Siebtel seines Staatsgebiets, große Teile seiner Industrie, muss sein Heer auf 100 000 Mann beschränken und dazu horrende Reparationszahlungen leisten, die Schuld auf sich nehmen und den Kaiser ausliefern. Die Wut über den „Schandfrieden“ ist groß und trägt zum Aufstieg Hitlers bei. „Der Ausgangspunkt der nationalsozialistischen Bewegung ist nicht München, sondern Versailles“, erklärt der spätere Bundespräsident Theodor Heuss. Bis heute wird vom Diktatfrieden von Versailles gesprochen, dabei wird oft übersehen, dass Deutschland kurz zuvor der gerade entstehenden Sowjetunion einen deutlich härteren Frieden aufgezwungen hatte. Im Vergleich zu den deutschen Planungen für einen Siegfrieden nehmen sich die Forderungen geradezu bescheiden aus. Österreich-Ungarn und das Osmanische Reich wurden auf Rumpfstaaten reduziert, Deutschland blieb als Machtfaktor erhalten, wurde „weder dauerhaft entmachtet noch dauerhaft integriert“, wie Sebastian Haffner schreibt. „Das ist kein Friedensvertrag, sondern ein Waffenstillstand auf 20 Jahre“, bemerkt der französische Marschall Ferdinand Foch zu Versailles. 20 Jahre später beginnt der Zweite Weltkrieg.