Schauspieler und Grimme-Preisträger Thomas Darchinger berichtete erschreckend real vom "anderen Leben". Foto: Morlok

Rund 110 Schüler der neunten Klassen der Horber Realschule bekamen gleich zu Beginn der neuen Woche mit einem Live-Hörspiel eine überaus beeindruckende Lektion zum Thema Demokratieverständnis.

Horb - "Das andere Leben" heißt eine Veranstaltung der bundesweiten Demokratiekampagne #mitkunstfürdiedemokratie, die unterstützt von zahlreichen Ministerpräsidenten, Kultusministerien und Stiftungen auf die Irrungen und Wirrungen verstrickter Politik und einem verqueren Feindbild in herausragender Weise aufmerksam macht.

Starker und nachhaltiger Impuls für eine lebendige Demokratie

"Das andere Leben" besteht im Kern aus der Autobiografie des jüdischen Jugendlichen Solly Ganor, einem überlebenden Opfer der Nazi-Diktatur, und zwei umrahmenden Reden, die auf die Umstände, die von einer Demokratie schnell zur Diktatur führt, aufmerksam machen.

Die Veranstaltung wird als Live-Hörspiel von dem Schauspieler und Grimme-Preisträger Thomas Darchinger vorgetragen. Die Komposition stammt von Henning Lohner, einer der renommiertesten deutschen Filmkomponisten. Die herausragenden Künstler machen diese Veranstaltung zu einem einmaligen Erlebnis für die jugendlichen Zuhörer und setzen einen starken und nachhaltigen Impuls für eine lebendige Demokratie, schrieb die Schulleitung dazu.

Hitler hat Demokratie und anderen Parteien schnell abgeschafft

"Politik kann manchmal nervig sein. Es ist Vorsicht geboten, wenn da einer kommt, der sagt: ›Ich weiß, wie es geht‹. Und wenn er dann noch behauptet: ›Der und der hat Schuld, doch ich richte das schon für euch, wenn ihr mich wählt‹, dann wird es gefährlich", stellte Darchinger gleich zu Beginn fest. "Einfache Lösungen entstehen dann, wenn man die meisten Fragen weglässt und behauptet, die Antworten wären sehr einfach", so der Mann am Rednerpult weiter.

Er kam dann schnell auf die NS-Zeit, als Hitler mit gerade einem Drittel aller Stimmen an die Macht kam. "Und er hat schnell die Demokratie und die anderen Parteien abgeschafft und plötzlich war es erlaubt, dass uniformierte Menschen auf dich einprügelten nur weil du die falsche Musik hörst, die falschen Kleider trägst, die falsche Meinung hast", skizzierte er die Anfänge dieses dunklen Kapitels deutscher Geschichte.

"Solch ein Diktator hat dann immer auch das Bestreben, etwas ganz Großes zu tun, zum Beispiel die Welt zu erobern. Dazu braucht man Soldaten, die nicht fragen, sondern bei so einem Wahnsinn mitmachen. Diktatoren brauchen einen Feind, damals waren es die Juden. Und plötzlich findet man diese Gewalt zwar auf der einen Seite schrecklich, aber man hat das Gefühl, dass es nur gegen den Feind geht, der einen ja vernichten will", so das Ende des Liedes und der Beginn des "anderen Lebens".

Qualvolle Fahrt zur Außenstelle des Konzentrationslagers Dachau

Solly Ganor hat sein Leben und damit auch seine Leidensgeschichte aufgeschrieben. Den Beginn nannte er Jagdzeit und jeder der einen Juden ermordete, bekam noch ein Lob dafür. Er selbst kam von Danzig nach Dachau, wo er unter unvorstellbaren Bedingungen arbeiten musste.

In einem Viehwaggon wurden er und sein Vater zusammen mit vielen anderen Häftlingen über mehrere Tage transportiert. Das erste was sie sahen, waren Berge, Felder und nirgends lag Dreck. Sie waren in der Nähe des Ammersees gelandet. Solly glaubte fast, auf einer Reise zu sein, doch das Ziel war kein Hotel mit gutem Frühstück, sondern eine Außenstelle des Konzentrationslagers Dachau. Das Lager 10.

Prügel, Strafen und Hunger waren an der Tagesordnung

"Dort herrschten Capos, eine der perfiden Ideen der Nazis, die jemand von uns dazu bestimmten, uns zu quälen", erinnerte sich Solly. Prügel, Strafen und Hunger waren an der Tagesordnung, doch schwerer als die körperlichen Schmerzen war die Trauer darüber, dass man Mutter und Schwester verloren hatte.

Es war ein sehr beeindruckender beklemmender Bericht, den der Synchronsprecher vortrug. Untermalt von Toncollagen, geschrienen Befehlen und einer Stimmung, die sehr drastisch die Situation auf den Höfen der Konzentrationslager nachzeichnete – und die Schüler hörten gespannt zu. Es gab keine Unruhe, kein Blödsinn machen, wie sonst bei größeren Veranstaltungen üblich.

Schilderungen von Solly Ganor dicht und authentisch vorgetragen

Solly berichtete von seiner Begegnung mit der Organisation Todt, einer paramilitärischen Bautruppe, die die Gefangenen noch stärker misshandelten als die NS-Soldaten. Sie quälten die Menschen zu Tode, indem sie sie zur Schwerarbeit zwangen und sie dabei verhungern ließen.

Die Zuhörer spürten die Schläge fast körperlich, die auf die wandelten Skelette bei der Arbeit und bei den Bestrafungen niederprasselten, so dicht und authentisch trug der bekannte Schauspieler die Schilderungen von Solly Ganor vor. Viele der Schüler wussten sicher von Gräueltaten der Nazis, doch ob sie diese schon einmal in dieser brutalen Offenheit gehört hatten, das ist zu bezweifeln.

Thomas Darchinger sprach das Unaussprechliche aus. Berichte von Menschenpyramiden in den Gaskammern, in denen die Gefangenen bis zu 25 Minuten bleiben mussten, bis sie elendiglich erstickt sind. Er berichtete von Erschießungskommandos, Massengräbern und dem Todesmarsch, auf den abertausende Menschen geschickt wurden. Viele Gefangene aus Auschwitz wurden zuvor nach Dachau verlegt und erzählten von den Gräueltaten des Arztes Josef Mengele und die Lagerinsassen ahnten, dass sie noch nicht am Bodensatz der Grausamkeiten angelangt waren.

Ein Weg, der von totgeprügelten Menschen gesäumt wurde

Am 24. April 1945 war plötzlichen eine Sonderzählung angesagt und der Befehl zum Todesmarsch erteilt. Ein Weg, der von totgeprügelten Menschen gesäumt wurde. Wer nicht mitkam, der wurde von der NS behandelt, wie sie einen immer behandelten – sie erschossen die Schwachen und Hilflosen und Solly sah das "Strahlen der Seele", wenn sie den Körper eins der Gemarterten verließ. Der Tod hatte schon lange seinen Schrecken verloren. Er wurde später als einziger seiner Gruppe von GIs gerettet und "das gleißend helle Licht der Freiheit machte ihn fast blind".

"Ihr habt jetzt mitbekommen, wie schnell der Übergang von der einen in die andere Welt geht. Es ist wichtig, dass wir uns nicht blenden und verführen lassen. Mussolini hat einst gesagt, man muss das Volk so verführen, dass es die Verführung gar nicht merkt. Wie beim Rupfen eines Huhns – jeden Tag nur eine Feder, dann merkt’s niemand", sagte der Schauspieler am Ende seines erschütternden Berichts.

Demokratie sei kein Versprechen aufs Paradies, doch jeder darf versuchen, das Beste für sich zu finden. Man darf in einer Demokratie seine Meinungen sagen, ohne dafür ermordet zu werden. "Demokratie ist aber das Versprechen, dass man mitreden darf – und das sollte man auch tun", lautete das Fazit dieser Veranstaltung.