Enzkreis - Gerade einmal drei Babys aus dem Enzkreis wurden im vergangenen Jahr an Adoptiveltern vermittelt. Zehn Bewerberfamilien stehen derzeit auf der Warteliste. Inzwischen dürfen auch die leiblichen Mütter mitreden, wenn das Jugendamt passende Eltern sucht.

Mut spielt eine große Rolle bei den Menschen, mit denen es Birgit Stärkel in ihrem beruflichen Alltag zu tun. Stärkel ist Fachkraft für Adoptionen im Jugendamt des Enzkreises. Wer sein Kind nach der Geburt abgeben möchte und im Enzkreis lebt, für den sind sie oder ihre Kollegin die richtigen Ansprechpartnerin. Dasselbe gilt für Eltern, die solchen Babys ein Zuhause geben möchten. Mut müssen beide Seiten mitbringen. Die Mutter, um solch einen Schritt zu wagen, genauso wie die potenziellen Eltern, die sich auf dieses Wagnis einlassen. Denn die Chance, ein Kinder vermittelt zu bekommen, ist trotz intensiver Vorbereitung gering.

Oft Null in der Statistik

Momentan gibt es zehn wartende, geeignete Adoptivelternpaare. Bisher wurde 2020 noch kein Baby vermittelt. An dem Verfahren teilzunehmen, ist ein "Wagnis mit ungewissem Ausgang", sagt Stärkel. Etwas höher ist die Chance bei einer Auslandsadoption. Dafür sind etwa offiziell zugelassene Auslandsvermittlungsstellen in freier Trägerschaft zuständig.

Drei vermittelte Kinder pro Jahr sind schon viel im Enzkreis, sagt Stärkel. "Bei uns gibt es Jahre, da steht eine Null in der Statistik." In einem Dorf ist die Situation für werdende Mütter in der Regel doch noch etwas anders als in einer Großstadt. Dennoch gibt es immer wieder Frauen, die entscheiden, dass ihre Babys in einer anderen Familie aufwachsen sollen. Vor allem Neugeborene werden im Enzkreis zur Adoption freigegeben. Schon seit Jahren seien keine älteren Kinder mehr vermittelt worden, berichtet Stärkel.

Schwangerschaft wird teilweise erst spät bemerkt

Vielmals bemerken die leiblichen Mütter die Schwangerschaft erst spät. Das ist den schwierigen Lebensumständen der betroffenen Frauen geschuldet. Doch wer nichts von einer Schwangerschaft weiß, der lebt auch oft entsprechend. Die Folge: Die Frauen rauchen, trinken Alkohol und achten nicht auf ausgewogene Ernährung. Zudem bekommt ein Kind den Stress, den die Mutter empfindet, mit ab. All das hat Auswirkungen auf das Ungeborene.

Stärkel formuliert es so: Selbst ein Baby ist kein unbeschriebenes Blatt. Manche Kinder seien wegen der Erfahrungen vor der Geburt ihr Leben lang beeinträchtigt. Auch darüber müssen sich Adoptiveltern im Klaren sein, auch deshalb sind die Anforderungen an Bewerber hoch. "Wenn sie solch ein Kind annehmen, brauchen sie starke Nerven, um den Alltag mit dem Kind zu bewältigen."

"Anderer Prozess des Elternwerdens"

Gerade wenn die Kleinen in die Schule kommen und erstmals im Leben unter Druck stehen, dann kann es sein, dass die Erfahrungen im Mutterleib zu Problemen führen. Manches kommt auch in der Pubertät ans Licht, wenn die Kinder ohnehin in einer schwierigen Phase stecken. Das Jugendamt bietet Familien unter anderem deshalb an, sie zu begleiten.

Belastbar, reflektiert, empathisch und psychisch sowie physisch stabil müssten Adoptiveltern sein, erklärt die Expertin. Sie dürfen keine Vorstrafen haben, über genug Einkommen und Platz für ein Kind verfügen. "Das ist natürlich ein ganz anderer Prozess des Elternwerdens", weiß auch Stärkel. Doch dieses Durchleuchten vieler Bereiche des Lebens ist nötig. Schließlich soll ein Kind, das es schon vor seiner Geburt schwer hatte, nun die bestmögliche Familie finden.

Das Bewerberverfahren steht auf drei Säulen. Neben persönlichen Gesprächen und all den Unterlagen und ausgefüllten Fragebögen, die Teilnehmer einreichen müssen, ist der Besuch von Vorbereitungsseminaren verpflichtend. Dort werden die Herausforderungen, die eine Adoption mit sich bringt, deutlich angesprochen.

Manche Mütter fragen noch Jahre später nach ihrem Kind

Das ist bei den Gesprächen, die Stärkel mit schwangeren Frauen führt, die ihr Neugeborenes abgeben möchten, genauso. Zunächst einmal informiert sie die Betroffenen, was für Unterstützungsmöglichkeiten es gibt, wenn sie das Baby doch behalten. Dann verabschiedet Stärkel sie mit dem Wunsch, "sich doch noch ein paar Tage Zeit zu nehmen". Schließlich ist die Entscheidung pro Adoption auch für die Frauen gravierend. Die Jugendamtsmitarbeiterin versucht darum, nach der Geburt zu den Müttern Kontakt zu halten. "Das klappt die ersten drei bis sechs Monate ganz gut." Danach, hat sie festgestellt, ziehen sich die meisten zurück. Aber: Es gebe auch Frauen, die nach Jahren nachfragten, wie es ihrem Kind gehe. Stimmt die Adoptivfamilie zu, dann darf die Mitarbeiterin des Jugendamts zumindest diese Information anonymisiert weitergeben.

Ein bisschen etwas wissen die abgebenden Eltern – beziehungsweise die Mütter, da die Väter oft nicht bekannt oder genannt sind – ohnehin fast immer. Inzwischen laufen die meisten Adoptionen im Enzkreis halb offen ab. Dabei werden die Mütter miteinbezogen und dürfen sagen, was für eine Familie sie sich für ihr Kind wünschen und ob ein Bewerberpaar ihnen besonders passend erscheint. Wenn beide Seiten das wollen, findet sogar ein Treffen der Schwangeren mit den potenziellen Eltern statt. "Man kann sich ein bisschen beschnuppern", beschreibt es Stärkel.

Nachwuchs muss von der Adoption erfahren

Diese Offenheit spielt an andere Stelle ebenfalls eine Rolle: Die neuen Eltern sollen ihrem Nachwuchs von Anfang an ehrlich sagen, dass er adoptiert ist. Das sei schon fast eine Voraussetzung, um ein Baby aufnehmen zu dürfen, erklärt die Expertin. Zum einen kann es zu einem großen Vertrauensbruch führen, wenn ein Kind erst nach Jahren zu erfährt, dass die Eltern gar nicht die leiblichen Eltern sind. Zum andern hat ein Mensch das Recht zu wissen, wo er herkommt. Wird ein Adoptivkind 16 Jahre alt, darf es laut Gesetz seine Adoptionsakte einsehen. Dort findet sich der Name seiner leiblichen Mutter und, falls bekannt, der des Vaters. Auch in solchen Fällen ist Stärkel die richtige Ansprechpartnerin.

Der Expertin ist besonders wichtig, dass die abgebenden Mütter nicht länger als Rabenmütter in eine Ecke gestellt werden. Schließlich haben die Frauen doch so viel Verantwortungsgefühl, dass sie ihr Kind in gute Hände geben wollen. So paradox es klingt: Das, sagt Stärkel, ist "eine Entscheidung fürs Kind".

Info: Zahlen

2015 wurden im Enzkreis drei Kinder adoptiert (sogenannte Fremdadoptionen), zwei davon kamen aus dem Ausland. Im Jahr wurden lediglich zwei Kinder aus dem Ausland vermittelt, 2017 neun Kinder insgesamt (davon zwei ausländische), 2018 waren es sechs (drei) und im vergangenen Jahr vier Kinder (eins). Weitaus häufiger kommen Verwandten- oder Stiefkindadoptionen vor. Im Enzkreis gab es 2015 insgesamt 15 solcher Fälle, 2016 dann 17, 2017 waren es 13, im Jahr darauf 19 und 2019 dann 17. Das Jugendamt Enzkreis ist für Adoptionen im Landkreis zuständig. Wer in Pforzheim wohnt, muss sich an das städtische Jugendamt wenden.