Interview: Die Landwirtschaftsexpertin äußert sich zur Diskussion um den Einsatz von Glyphosat

Empfingen. Die Landwirtschaft zwischen herausfordernden Märkten und öffentlicher Meinung ist Thema eines Vortrags von Sabine Leopold, Redakteurin der Fachzeitschrift "agrarheute". Im Gespräch mit unserer Zeitung erzählt sie unter anderem, was sie vom Thema Glyphosat hält.

Worin besteht für Sie der Reiz an diesen Themen?

Ich bin eine Überzeugungstäterin, was die Landwirtschaft angeht. Wie die meisten meiner Agrarjournalistenkollegen habe ich Landwirtschaft studiert und erst danach eine journalistische Laufbahn eingeschlagen. Aber anders als die Meisten komme ich nicht vom Hof, sondern bin ein echtes Großstadtkind. Meine Leidenschaft vor allem für große Tiere hat mich letztlich auch ohne "Stallgeruch" zum Agrarstudium und schließlich zum Agrarjournalismus gebracht. Der Rest ist eine Mischung aus Neugier und Sendungsbewusstsein: Ich lerne einfach für mein Leben gern dazu und erzähle das, was ich weiß, gern weiter.

Die Mehrheit der Bevölkerung beschäftigt sich gefühlt eher wenig mit Landwirtschaft, es sei denn, es geht um Glyphosat. Welches Problem ergibt sich daraus Ihrer Meinung nach?

Tatsächlich ist genau das die Krux im Verhältnis zwischen Landwirten und Verbrauchern. Während unsere Großeltern noch ziemlich genau wussten, wie Getreide wächst, Milch entsteht oder ein Schwein gemästet wird, braucht sich ein Nichtlandwirt mit diesen Fragen heute nicht mehr zu beschäftigen. Wer in der Stadt lebt, ist mittlerweile nicht nur räumlich weit von der Landwirtschaft entfernt. Diese Distanz trifft mit Wucht auf die moderne Informationsgesellschaft, in der ein Thema das nächste jagt und wo Schlagzeilen oft die Tiefenrecherche ersetzen. Vor allem die großen Medien greifen gerne scheinbare Umwelt- und Lebensmittelskandale auf, deren Wurzeln sie in der Landwirtschaft sehen. Das bringt maximale Aufmerksamkeit, denn Ernährung und eine saubere Natur betreffen letztlich jeden. Auf diese Weise hat es auch das Angstthema Glyphosat in die Öffentlichkeit geschafft – leider inzwischen ohne jede fachliche Basis. Die öffentliche Meinung über moderne Landwirtschaft wird längst von ihren Kritikern bestimmt. Knallige Parolen und öffentliche Anfeindungen sind zum Alltag geworden. Darunter leiden die Bauern und ihre Familien ganz enorm.

Glyphosat hat einen schlechten Ruf in den Medien und der Bevölkerung. Die Bauern setzen es aber gerne ein. Gibt es eine Lösung für diesen Konflikt, die für beide Seiten in Ordnung wäre?

Leider geht die Glyphosat-Diskussion mittlerweile komplett an der Realität vorbei. Weder ist das Mittel besonders gefährlich – die Weltgesundheitsorganisation stuft es als weniger riskant ein als beispielsweise Alkohol oder Sonnenstrahlen –, noch ist es in unserem Alltag wirklich präsent. Die angeblich schockierenden Nachweise in Bier zum Beispiel bewegten sich im Einzelmolekülbereich. Um sich auch nur in die Nähe einer Gefährdung zu bringen, müsste ein Erwachsener weit über 1000 Liter Bier täglich trinken.

Warum setzen Bauern das Mittel gerne ein?

Dass Bauern dieses Mittel verteidigen, liegt vor allem daran, dass die meisten chemischen Alternativen deutlich umwelt- oder anwendergefährlicher sind. Und mechanischer Pflanzenschutz mit Traktor und Pflug erhöht die Schadstoffemissionen, verdichtet die Böden und zerstört deren Ökosysteme bis in die Tiefe.

Wo ist dann das Problem?

Leider werden diese Argumente nicht gehört. Wer sich für den Glyphosateinsatz stark macht, gilt als Lobbyist und Umweltfeind. Bereits jetzt fordern immer mehr Molkereien medienwirksam eine völlige Glyphosatfreiheit von ihren Milcherzeugern. Das heißt, obwohl das Mittel für weitere fünf Jahre eine Zulassung hat, wird es wohl nach und nach aus dem landwirtschaftlichen Prozess verschwinden und Platz machen für andere, oft deutlich belastendere Verfahren. Die ganze Panikmache schadet also der Umwelt weit mehr als dass sie ihr dient.

Haben wir eine falsche Erwartungshaltung gegenüber Landwirten?

In gewisser Weise schon. Zum einen erwartet der Verbraucher vom Landwirt, dass er Lebensmittel genau nach Wunsch erzeugt: gesund, schmackhaft, vielfältig, nachhaltig und tierfreundlich. Zugleich aber soll Nahrung keinesfalls teurer werden. Denn entgegen allen Lippenbekenntnissen schaut der Kunde noch immer vor allem auf den Preis. Langfristig noch bedenklicher aber ist, dass der Verbraucher die Verantwortung für den Umweltschutz immer selbstverständlicher auf die Landwirtschaft abschiebt. Im Moment diskutiert die halbe Republik über das Insektensterben. Die Verantwortlichen waren schnell ausgemacht: Die intensive Landwirtschaft und ihre "Ackergifte". Dass diese Intensiverzeugung unter anderem dadurch nötig ist, weil wir bis heute in Deutschland Tag für Tag 60 Hektar Agrarfläche für den Gewerbe-, Wohnungs- und Infrastrukturbau zubetonieren, wird gern unter den Teppich gekehrt. Die Landwirtschaft hat zu wenig Blühpflanzen auf ihren Acker- und Weideflächen, heißt es. Aber auf 60 Hektar Beton finden Bienen gar keine Nahrung mehr. Eine nachhaltige Nahrungsmittelerzeugung kann nur funktionieren, wenn alle mitziehen – und nicht nur mit dem Finger auf einige wenige zeigen.

Wie könnten die Differenzen zwischen Erwartungshaltung gegenüber der Landwirtschaft und deren Möglichkeiten überwunden werden?

Die Antwort ist relativ einfach: Reden Sie mit den Landwirten und nicht nur über sie. Medizinische Informationen zu Kinderkrankheiten holen Sie sich doch auch nicht beim Kochzirkel. Es gibt ein bäuerliches Aktionsbündnis namens "Frag doch mal den Landwirt". Auf deren Website www.frag-den-landwirt.com kann man sich Wissen aus erster Hand holen. Und das bildet die beste Grundlage für eine gemeinsame, wirklich zielführende Diskussion. Und wenn Sie eher der visuelle Typ sind: Besuchen Sie einen Hof in Ihrer Nähe. Fast jeder Landwirt öffnet inzwischen auf Anfrage seine Türen für neugierige Gäste.

Welches landwirtschaftliche Thema bewegt Sie derzeit besonders?

Die öffentliche Kritik an der Landwirtschaft geht inzwischen leider immer öfter über das zwischenmenschlich Erträgliche hinaus. Bauern und ihre Familien werden beschimpft und bedroht. Das zehrt an den Kräften. Am schlimmsten aber finde ich, dass das sogenannte Bauernkinder-Mobbing immer mehr um sich greift. Die pauschalen Anfeindungen der Älteren werden in den Kindergarten- und Schulalltag übernommen. Hofkinder werden ausgegrenzt, nicht selten sogar angegriffen, weil ihre Eltern "Tierschänder" oder "Umweltzerstörer" seien. Was das mit einem Kind macht, kann sich sicher jeder vorstellen. Dieses Thema liegt mir im Moment wie kein anderes am Herzen.

Was erwartet die Besucher Ihres Vortrags in Wiesenstetten?

Die Themen, von denen ich gesprochen habe, sind für viele Landwirte bedrückend. Der Kummer um die öffentliche Meinung macht ihren Alltag immer schwerer. Genau deshalb finde ich, dass man diese Probleme mit einem guten Schuss Humor angehen muss. Ich schreibe seit vielen Jahren eine Kolumne, die sich mit den Irrungen und Wirrungen zum Thema Landwirtschaft und Ernährung in den Medien befasst. Satire ist ein guter Anfang, sich eine neue Sicht auf manches zu verschaffen. Entlang gehangelt an einigen dieser Kurzgeschichten möchte ich Landwirten und Nichtlandwirten zeigen, dass man manche Probleme mit ein bisschen weniger Verbissenheit besser lösen kann. Ich hoffe also, dass der Abend nicht nur zum Nachdenken, sondern vor allem auch zum Lachen – über sich selbst und über andere – anregt.