Interview: Der Brauchtumsverantwortliche aus Empfingen spricht über Herausforderungen der Trachtengruppe

Empfingen. Die Trachtengruppe Empfingen feiert ihr 60-jähriges Bestehen. Heutzutage ist Tracht nicht gleich Tracht. Während bei Volksfesten Dirndl und Lederhosen im Trend sind, haben es traditionelle Gruppen nicht leicht, ihre Kleidungstraditionen zu bewahren. Wir haben mit Klaus Warnke, Verantwortlicher für die Brauchtumspflege Kulturgemeinschaft Empfingen, über Trachten im 21. Jahrhundert gesprochen.

60 Jahre sind eine lange Zeit. Wenn Sie die Trachtengruppe von 1958 mit der Gruppe im Jahr 2018 vergleichen, was sind die bedeutendsten Unterschiede zwischen damals und heute?

Das Vereinsziel, die Tracht, die alten Bräuche und die heimischen Sitten zu pflegen, ist nach wie vor dasselbe. Aber die Anstrengungen und der Aufwand, dieses Ziel zu erreichen, ist schwieriger geworden. Zum einen ist es der finanzielle Aspekt bei der Pflege und Neuanschaffung des Inventars. Die Kosten steigen und es wird immer schwieriger, entsprechende Veranstaltungen anzubieten, um diese zu decken. Zum anderen lässt das Verständnis nach, dieses gesetzte Ziel tatkräftig und mit Überzeugung zu verfolgen, insbesondere was das ordentliche Tragen der Tracht betrifft.

Wie geht es der Trachtengruppe personell?

Ein weiterer Unterschied zu damals: Die Trachtentanzgruppe wurde 1958 aus der seit 1951 bestehenden Narrenzunft gegründet und hatte eine Stärke von etwa zehn Paaren. Die Tanzgruppe konnte bis in die 80er-Jahre sogar noch einen kontinuierlichen Zuwachs verzeichnen, nahm aber dann wieder rapide ab, bis nur noch wenige Trachtler übrig blieben, die aber zumindest bei den Umzügen mitgehen konnten. Das war eine Entwicklung, die auch viele andere Trachtenvereine betraf.

Und wie sieht es bei der Trachtenkapelle aus?

Um eine musikalische Begleitung für die Tänzer zu haben, wurde 1959 von Adalbert Deuringer die Trachtenkapelle mit nur acht Musikern gegründet. Heute ist es umgekehrt, die Kapelle steht mit etwa 20 Personen relativ gut da, aber es wird immer schwieriger, Trachtentänzer zu finden. Die Trachtentanzgruppe besteht heute aus 13 Personen, die zum Teil aus der Kapelle stammen und mit sechs gemischten – es tanzen auch Frauen miteinander – Tanzpaaren auftreten kann. Das gesellige Zusammensein war früher wie heute gegeben. Das haben uns die Alten gelehrt. Und das ist auch die wichtigste Basis, wenn eine Gruppe – egal welche – funktionieren soll.

Sie haben auch eine Kindergruppe.

Die Kindergruppe besteht aus 15 Kindern und ist sehr aktiv. Die Anzahl der Kinder schwankt aber oft sehr stark. Wenn Kinder zur Gruppe kommen, bringen sie meistens gleich Freunde und Mitschüler mit. Verlässt eines der Kinder jedoch die Gruppe, hören die anderen auch gleich mit auf. Überwiegend besteht die Gruppe aus Mädchen. Jungs haben kaum Interesse, mitzumachen. Die Kinder tanzen mit vollem Eifer. Aber zu Erwarten, dass daraus Nachwuchstänzer entstehen, ist unrealistisch. Die Bereitschaft zur Bindung an einen Verein wird immer geringer. Die Ansicht, sowohl von den Kindern als auch von den Eltern, das Kindertanzen als zeitlich begrenzte Freizeitbeschäftigung zu sehen, kann beziehungsweise muss die Kulturgemeinschaft akzeptieren. Das ist sowohl bei den Trachtenkindern als auch bei den Nachwuchsmusikern so. Wenn auch die Kulturgemeinschaft Empfingen fast 400 Mitglieder zählt, die sich aus Narrenzunft und Trachtengruppe zusammensetzen, ist die Bereitschaft, bei der Tanzgruppe mitzumachen recht gering.

Woran liegt das?

Das Interesse am echten Trachtenkulturwesen lässt stark nach. Es herrscht die Meinung vor, dass alles zu altbacken oder out beziehungsweise überholt sei, wobei ich immer betone: Wir zeigen nur die Tracht, aber wir leben nicht mit der Tracht.

Hat die Beliebtheit von Trachten allgemein abgenommen?

Da muss man zuerst definieren, was man unter Trachten versteht. Es gibt das echte Trachtenkulturgut, welches von den Trachtengruppen und dem Trachtengau Schwarzwald gezeigt und zum Teil auch gelebt wird, und es gibt den momentanen Hype des Trachtenlooks wie man es bei den Bayrischen Abenden und bei den Volksfesten sieht. Die Trachtenträger zeigen die standesgemäße und ordentliche Kleidung vergangener Zeiten. Und die kann vielseitig aussehen. Zum Beispiel Festtagstracht, Kirchentracht, Kinder- beziehungsweise Jugendtracht, Arbeitstracht, Hochzeitstracht. Das kann manchmal auch sehr anstrengend sein und das geht nur, wenn man auch von der Sache überzeugt ist. Wenn beispielsweise in manchen Schwarzwaldgemeinden zur Konfirmation die Volkstracht angezogen wird, so ist das gelebtes und nicht nur vorgezeigtes Brauchtum.

Was ist daran anstrengend?

Der Trachten- und Musikverein aus Reichenbach beispielsweise trägt als einer der wenigen den weltberühmten Bollenhut. Dabei ist es eine Selbstverständlichkeit für die Musikantinnen, selbst bei 30 Grad in ordnungsgemäßer Tracht zu musizieren, und das mit ohrenbedeckenden Unterhäubchen unter dem Bollenhut und mit Kiestrümpfen aus Angorawolle, den Kragen selbstverständlich bis oben hin geschlossen. So etwas funktioniert nur aus echter Überzeugung. Und genau die Überzeugung, die Tracht originalgetreu zu präsentieren, lässt oft zu wünschen übrig und führt immer wieder zu heftigen Diskussion unter den Trachtenträgern im Trachtengau. Kompromisse zu finden, ist da sehr schwierig, denn es gibt im Grunde nur zwei Möglichkeiten: Entweder richtig oder gar nicht. Aber dieser Standpunkt ist dann für die Beliebtheit eher kontraproduktiv.

Bei Volksfesten sieht das aber anders aus.

Der Trachtenlook der Volksfestbesucher hingegen durchlebt einen Hype und erfreut sich immer größerer Beliebtheit. Trägt man heute kein solches Outfit, fällt man fast schon negativ auf. Dabei handelt es sich im Grunde schlichtweg um eine Verkleidung, um sich gemeinschaftlich zu identifizieren, vergleichbar wie an der Fasnet oder wie bei Vereinsgruppen aller Art, die sich bei Veranstaltungen in gemeinschaftliche Poloshirts im wahrsten Sinne des Wortes erkenntlich zeigen. Und der Markt kommt der Nachfrage ja in allen erdenklichen Variationen und Belangen bestens nach. Gegen diese Tatsache ist aber absolut nichts einzuwenden, denn der Spaßfaktor stimmt und steht im Mittelpunkt. Außerdem gibt es ein heiteres Erscheinungsbild. Aber das alles hat absolut nichts mit traditionellem Trachtenbrauchtum zu tun. Sonst müssten die Volksfestbesucher in Bad Cannstatt anstatt dem bayrischen Outfit ja die regionale schwäbische Tracht tragen. Kritisch sehe ich nur, wenn sich jemand in diesen Fantasietrachten als echter Trachtenträger ausgibt.

Ihre Trachten sind älter als 60 Jahre. Was tragen Sie denn genau?

Wir tragen die Festtagstracht so wie sie unsere Vorfahren noch bis Ende des 19. Jahrhundert getragen haben. Um die Mitte des 19. Jahrhundert wurde die Kleiderordnung abgeschafft. Das heißt die Herrschaft schrieb dem Volk bis dahin vor, welche Kleider es zu tragen und wie ihr Erscheinungsbild auszusehen hatte. Die Tracht war nicht nur zweckmäßige Kleidung, sondern auch ein gesellschaftliches Statussymbol. Eine Kohlzeichnung von 1848 ist die älteste Abbildung mit einer Empfinger Frauentracht. In der ganzen Umgebung habe ich bisher noch keine ältere Abbildung einer Tracht gefunden, was nicht heißen soll, dass es keine gibt. Wir haben einige alte Fotos die um das Jahr 1910 entstanden sind. Dabei ist die große Radhaube oder Gatterhaube charakteristisch bei der Frauentracht, ebenso die Bausch-Mutz, so werden die wattierten Frauentrachtenoberteile genannt, bei denen der Unterarm aufgebauscht ist. Die Tracht wird als die Tracht des hohenzollerischen Unterlandes bezeichnet, wurde aber so auch im Gäu und der Horber Gegend getragen.

Was passierte mit der Tracht nach der Abschaffung der Kleiderordnung?

Die Trachtenteile sind schon bald, nachdem die Kleiderordnung gefallen ist, in die Fasnet gewandert. Insbesondere die große Radhaube fand bei den Hexen eine neue Verwendung, zumal gerade diese hohe Kopfbedeckung der Hexe ein mächtiges und furchterregendes Erscheinungsbild verleiht. Auch die rote Weste, die dunkelblaue Trachtenjacke, sowie Kniebundhose und Zottelkäpple der Männer fanden beim Mummenschanz des Bäuerle neue Verwendung. Aber gerade diesem Umstand ist es zu verdanken, dass wir heute noch von der Existenz der Tracht wissen. Denn immer wieder wurde von Chronisten erwähnt, die Tracht vor dem Mummenschanz zu retten und in Ehren zu halten. Wäre das nicht so gekommen, wäre die Trachtenkleidung und das Wissen darüber womöglich schon vor 1900 irgendwann sang- und klanglos verschwunden und in Vergessenheit geraten. Heute werden die Originalstücke im Heimatmuseum und in der Kleiderkammer der Kulturgemeinschaft aufbewahrt. Die Trachtenträger und –musiker tragen heute ausschließlich neu angefertigte aber originalgetreue Tracht. Die Fragen stellte Daniel Begemann.