Für die Holländer geht es beim Spiel gegen Deutschland um alles oder nicht. Foto: dpa

Nervosität vor „Endspiel“ gegen Deutschland – Fans verspotten Stürmerstar Robin van Persie.

Stuttgart - Wenn es um Fußball geht, können sich Holländer und Deutsche leiden wie Bauchweh. Das wird an diesem Mittwoch nicht anders sein. Für Oranje geht es schon um alles oder nichts.

Arie Haan bekommt noch immer rote Flecken im Gesicht, wenn er vom WM-Finale 1974 spricht. „Wir waren die bessere Mannschaft“, seufzt der ehemalige Trainer vom VfB Stuttgart. Aber Deutschland siegte 2:1. Und fast immer, wenn es darauf ankam, ging es so weiter. Die Niederländer verloren ein entscheidendes Spiel – und die Nachbarn feierten anschließend den Titel. Bei der EM 1980 (2:3) war es so, und 1990 bei der Weltmeisterschaft in Italien wieder (1:2). Nur einmal drehte Oranje den Deutschen eine lange Nase. 1988 im EM-Halbfinale (2:1), danach fuhr Holland mit dem Pokal nach Hause.

„Wir dürfen jetzt nicht negativ denken“

Das hat nicht gereicht, um das Trauma zu besiegen. Das Leben ist ungerecht, sagen sich die kleinen Niederlande, die rund 16,5 Millionen Einwohner haben – und dem Gefühl nach fast genauso viel Klasse-Fußballer. Und fast jeder von ihnen spielt in einem der großen europäischen Clubs. Doch immer wenn es um Titel geht, kombiniert Oranje zwar, dass den Gegnern Hören und Sehen vergeht, aber irgendwie scheint es, als hätte ihnen niemand gesagt, wo das Tor steht.

So war es auch im ersten Duell dieser Europameisterschaft gegen Dänemark. Die Holländer spielten die Wikinger zeitweise schwindlig, doch nach Spielschluss waren ihre Gesichter so lang, dass sie auf dem Boden schleiften. Den Dänen reichte ein einziger Konter, um Holland in Schockstarre zu versetzen (0:1). Seither verschanzen sich Arjen Robben, Robin van Persie und die anderen Superstars wortlos in ihrem Trainingsquartier in Krakau, als hätten sie das Gold von Fort Knox zu hüten. Und wer dennoch das zweifelhafte Vergnügen hat, das Team zu besuchen, läuft ernsthaft Gefahr, sich eine Erkältung zu holen. Die Stimmung, so heißt es, sei gefährlich nah am Gefrierpunkt.

„Jeder weiß“, stöhnt Bondscoach Bert van Marwjik mit versteinertem Gesicht, „dass es gegen Deutschland um alles geht.“ Er weigert sich, über das Ausscheiden zu sprechen. „Wir dürfen jetzt nicht negativ denken.“

Polizei soll schlichten, falls einer seine Kinderstube vergisst

Das ist leicht gesagt: In Kerkrade, deren Nieuwstraat auch Neustraße heißt und die Grenze zu Deutschland bildet, haben die Stadtväter für das Duell an diesem Mittwoch (20.45 Uhr/ZDF) vorsichtshalber eine Notverordnung erlassen. Die Polizei soll schlichten, falls unter Nachbarn der eine oder andere seine Kinderstube vergisst.

„Keine Frage. Dieses Spiel ist für uns ein Finale“, sagt Rafael van der Vaart, der einmal der Publikumsliebling in Hamburg war. Dann kratzt er sich am Kopf und spricht vom 0:3 an gleicher Stelle im vergangenen November. „Da waren die Deutschen richtig stark“, sagt van der Vaart. Der geneigte Beobachter hält fest: Optimismus sieht anders aus. Holland schweigt und Holland zittert.

Arjen Robben hat seit Wochen das, was man im Fußball die Seuche nennt

Sie haben es ja auch nicht leicht in diesen Tagen. Arjen Robben hat seit Wochen das, was man im Fußball die Seuche nennt. Er verschießt alle wichtigen Elfmeter, verpasst mit dem FC Bayern drei Titel und wird von den holländischen Fans als Pseudostar auf dem Egotrip beschimpft. Gegen Dänemark klatschte sein schärfster Schuss an den Pfosten. Stürmer Robin van Persie (Arsenal London) hat in England die vielleicht beste Saison seiner Karriere gespielt, aber was hilft ihm das, wenn er gegen die Dänen kickt, als hätte er ein Hufeisen im Schuh? Ohnehin sähe die Mehrheit holländischer Fußballfans lieber Klaas-Jan Huntelaar (FC Schalke) gegen Deutschland stürmen. Im Trainingsquartier schiebt er Sonderschichten, um seinen zweifelnden Trainer zu überzeugen.

Der musste sich dieser Tage herbe Kritik von Altstar Johan Cruyff anhören, der letzten Instanz des niederländischen Fußballs. Die Taktik mit den zwei defensiven Mittelfeldspielern Mark van Bommel und Nigel de Jong, schrieb Cruyff, sei gegen die Dänen kontraproduktiv gewesen. Trotzdem fordert er seine Landsleute auf, die Mannschaft gegen Deutschland anzufeuern. „Gerade jetzt hat sie alle Unterstützung nötig.“