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Flüchtlingsmädchen sollen ihre Erinnerungen durch Malen und Mosaikarbeit verarbeiten

Mit einem Projekt zu traumafokussierter Kreativarbeit will der Calwer Verein "StadtLandKultur" Kindern mit Flucht- und Kriegserfahrung dabei helfen, ihre traumatischen Erfahrungen zu integrieren und sich an die Wirklichkeit ihres jetzigen Lebens anzupassen.

Ebhausen. "Das Mädchen hat eine ganz besondere Gabe zu malen", stellt Marianne Bohnert, eine von insgesamt neun ehrenamtlichen Begleiterinnen, fest, als ein Mädchen weinende Augen malt und das Bild mit der Überschrift "Sie weint" beschriftet.

"Für einen traumatisierten Menschen ist jede Erinnerung so, als wäre es jetzt", sagt Rolf Johnen vom Verein "StadtLandKultur". Das liege daran, dass die Kategorie der Zeit bei Traumatisierten nicht verbunden sei. Vielmehr sei bei Traumabetroffenen die Trennung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aufgelöst. Ursache hierfür sei wiederum, dass jedes Trauma eine Abspaltung der belastenden traumatischen Erinnerungen aus dem autobiografischen Gedächtnis bewirke. Ziel der Therapie sei es daher, "die abgespaltenen traumatischen, aber auch die glücklichen Erfahrungen" der Traumatisierten wieder in das autobiografische Gedächtnis zu integrieren, erläutert Johnen und fügt hinzu: "Das Kind soll sehen und erkennen: Das ist nicht jetzt, sondern war damals." Eine solche Erkenntnis führe zu einem Rückgang der Belastung und einer psychischen Stabilisierung.

Die sogenannte Lebenslinie soll dabei helfen, die Vergangenheit aufzuarbeiten. Die Lebenslinie kann entweder ein Seil oder eine Sperrholzplatte sein, die für das eigene Leben steht. Auf ihr werden die in den Kreativphasen erarbeiteten positiven und negativen Ereignisse des Lebens in chronologischer Reihenfolge ausgelegt und so in das Leben der Traumatisierten integriert. Den traumatisierten Mädchen soll die Lebenslinie dabei helfen zu verstehen, dass das Vergangene passé, und nicht unmittelbarer Teil der Gegenwart ist.

Auf die Mädchen wird während des Kurses kein Druck aufgebaut. Sie beschäftigen sich dann mit ihren Erinnerungen an die Vergangenheit, "wenn sie reif dafür sind", sagt Johnen. Sie beschäftigen sich sowohl mit traumatischen Erlebnissen, wie auch mit der Abwehr des traumatischen Erlebens.

Nach einer halben Stunde legen die Mädchen eine Kreativpause ein. Sie versammeln sich gemeinsam mit ihren Begleiterinnen im Eingangsfoyer der Lindenrain-Schule Ebhausen und bilden einen großen Kreis. Mit Übungen zur Lockerung der Atmung sollen sich alle entspannen und runterkommen. "Das gibt den Mädchen dann mehr Sicherheit. Außerdem werden bei Entspanntheit Inhalte besser verarbeitet", sagt der Facharzt für psychotherapeutische Medizin und Psychoanalyse.

"Was in das bewusste Ich integriert wird, muss bestätigt werden", sagt Johnen. Aus diesem Grund sitzt jedes Mädchen mit einer ehrenamtlichen Begleiterin am Tisch. Die Helferinnen hatten zuvor vor Kursbeginn in einem Wochenendseminar Entspannungs- und Empathietechniken erlernt.

Bei den Begleiterinnen löst die Kreativarbeit der Mädchen gemischte Gefühle aus: "Entspannung, Zufriedenheit und Enttäuschung" verspürt eine der neun ehrenamtlichen Begleiterinnen unmittelbar nach Kursende, während eine andere Begleiterin "Zuversicht, Trauer und Melancholie" empfindet. "Genial, was das Mädchen zu Papier gebracht hat", meint die ehrenamtliche Begleiterin Marianne Bohnert. Besorgt sind die Ehrenamtlichen hingegen über manche Kinder, die zu Hause bleiben anstatt am Kurs teilzunehmen: "Sie werden ihre Traumata wohl nicht so leicht los", befürchtet eine Begleiterin.

In diesem Zusammenhang betrachtet Johnen die Integrationspolitik der Regierung skeptisch: "Das ist eher eine Diffussionspolitik", meint er. Die Geflüchteten würden im Land so verteilt, dass sie nicht mehr auffallen. Auf die Therapiekurse bezogen führe dies zu einem logistischen Aufwand. Man müsse auch Taxis bestellen, so dass die Flüchtlingsmädchen überhaupt zur gleichen Zeit am gleichen Ort sein könnten. Aufgrund der "diffusen Integrationspolitik" der Regierung seien viele traumatisierte Geflüchtete "für die therapeutischen Kurse nicht mehr erreichbar", bedauert Johnen.