Helen Kevric mit hohem künstlerischem Ausdruck am Schwebebalken im Kunst-Turn-Forum in Stuttgart Foto: Baumann/Hansjürgen Britsch

Sie wird am 21. März 15 Jahre alt und gilt als das funkelnde Turnjuwel im Stuttgarter Kunst-Turn-Forum. Vor ihrer DTB-Pokal-Teilnahme spricht Helen Kevric über ihr großes Ziel Olympia, den hohen Trainingsaufwand, ihr Essverhalten und ihren Papa, den Ex-Fußballprofi.

Manchmal ist es ganz gut, wenn der Papa dabei ist. Es gibt Probleme an diesem Dienstagnachmittag mit dem Herunterladen des Meldeformulars der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada). Adnan Kevric klärt dies in einem Büro im Kunst-Turn-Forum in Stuttgart. Ausfüllen muss das Dokument dann die Tochter des ehemaligen Fußballprofis der Stuttgarter Kickers selbst.

 

Helen Kevric hat wahrlich viel zu tun. Gerade jetzt, wo die Vorbereitung auf den DTB-Pokal (17. bis 19. März) ansteht. Es ist ihr erster großer Wettkampf in diesem Jahr. Die 14-Jährige startet in der Junior Team Challenge am Samstag, am Sonntag (ebenfalls ab 10 Uhr) stehen dann die Gerätefinals auf dem Programm. Ein Lächeln blitzt auf, wenn die Sprache darauf kommt: „Ich freue mich riesig, zumal dieses tolle Event in der Porsche-Arena ein Heimspiel für mich ist.“

Karrieresprung 2022

Die Turnerin vom MTV Stuttgart gilt nicht nur als das funkelndste Talent im Kunst-Turn-Forum, sondern auch auf nationaler Ebene. Seit sie an Meisterschaften teilnimmt, dominiert sie ihre jeweilige Altersklasse. Doch im vergangenen Jahr nahm ihre Karriere noch einmal ganz gewaltig an Fahrt auf. „Helen ist nicht nur fünf Zentimeter gewachsen, sie hat auch leistungsmäßig den bisher größten Sprung in ihrer Karriere gemacht“, sagt ihr Vater.

Seit Januar 2022 darf sich die zierliche, 1,60 Meter große Turnerin mit dem Rest der Welt messen. Schnell war ihr Name auch auf der internationalen Bühne bekannt. Erst gewann sie den Mehrkampftitel beim European Youth Olympic Festival (EYOF) in der Slowakei, dann als erste deutsche Turnerin die Junioren-Europameisterschaft in München. Die Erfolge und Titel sind das eine, ihr Auftreten das andere: Das Bewegungstalent mit jeder Menge Power und dem unbändigen Willen beeindruckt an allen Geräten – durch Sprungkraft, Beweglichkeit, Technik und künstlerischen Ausdruck. Wenn sie ans Gerät geht, wirkt sie fokussiert, ruhig, gelassen und souverän. „Mit Druck“, sagt sie selbst, „kann ich sehr gut umgehen.“

30 Stunden Training pro Woche

Mit vier Jahren hat sie in der Turntalentschule des SV Ostfildern begonnen. Seit sie sieben Jahre alt ist, trainiert sie – von einer kurzen Unterbrechung abgesehen – am Kunst-Turn-Forum in Stuttgart. Jeden Tag, außer sonntags. 30 Stunden pro Woche. Um 7.15 Uhr geht’s los, entweder bis 9.15 Uhr oder 10.15 Uhr. Mittags geht es dann um 14 Uhr weiter. Entweder bis 17 oder 18 Uhr. Dazwischen besucht sie die freie evangelische Realschule in Esslingen. Nach dem Training stehen noch Physiotherapietermine an oder es werden die Hausaufgaben gemacht. Hauptlerntag ist dann der Sonntag. „Wobei ich am freien Tag auch mal nur faul auf der Couch rumlümmle“, sagt Helen Kevric, die „Shoppen“ als ihre größte Leidenschaft bezeichnet.

Zeit dafür hat sie selten. Der Preis für den Leistungssport ist hoch. „Das Pensum ist enorm, der Trainingsaufwand von uns Fußballern ist dagegen lächerlich“, sagt Papa Kevric, der selbst zwischen 1993 und 2000 über 200 Spiele für die Stuttgarter Kickers absolvierte und inzwischen beim tus Stuttgart als Leiter Haustechnik und Liegenschaften fungiert. Seine Frau Bettina und der 52-Jährige unterstützen die Tochter, wo es geht. Doch Druck üben sie nicht aus. „Mir macht mein Sport einfach sehr viel Spaß“, versichert Helen Kevric glaubhaft. Sie redet unerschrocken und überlegt. Auch über die Entbehrungen: „Es ist nicht schlimm, wenn meine Freundinnen erzählen, was sie unternehmen. Ich erlebe andere tolle Dinge und kann nach meiner Karriere noch vieles machen.“

„Gegessen wird, was auf den Tisch kommt“

Natürlich hat auch am Kunst-Turn-Forum das Buch von Kim Bui über ihre Bulimie-Erkrankung während ihrer Laufbahn Diskussionen ausgelöst. Sie sprach vom täglichem Wiegen und von den Hinweisen, aufs Gewicht aufzupassen, sowie der Aufforderung abzunehmen. Helen Kevric ist damit bisher nicht konfrontiert worden: „Solche Dinge habe ich noch nie erlebt“, sagt sie. Und ihr Vater ergänzt im Brustton der Überzeugung: „Bei uns daheim wird gegessen, was auf den Tisch kommt.“ Klartext ist sein Markenzeichen. Das war schon als Profi so. Was ihr Lieblingsgericht ist? „Rote Bete mit Rahmkartoffeln und Saitenwürstchen“, kommt es wie aus der Pistole geschossen aus ihrem Mund. Zudem backe sie gerne mit ihren Freundinnen – „am liebsten Cake-Pops, Zimtschnecken und Waffeln“.

Damit kein falscher Eindruck entsteht: Ohne eiserne Disziplin geht es in keiner Sportart ganz nach oben, schon gar nicht im Turnen. „Natürlich gehört zu meinem Sport viel Disziplin, man muss sich auch mal quälen“, sagt Helen Kevric, „aber ich mache das ja freiwillig, und Erfolge motivieren mich genauso wie Ziele.“ Was ihr größtes ist? Sie rückt noch einmal auf ihrem Stuhl zurecht, blickt kurz zu ihrem Vater, dann gehen ihre Mundwinkel nach oben: „Die Teilnahme an den Olympischen Spielen 2024 in Paris – das wäre das Größte für mich.“ Wobei sie auch bei den Spielen 2028 noch lange keine Turnoma wäre.

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