Rechts neben dem Gebäude im Vordergrund (Bild oben) stand das "Kinderheim" für die Zwangsarbeiterinnen. Helga Hofer (Bild unten, links) hat die Erinnerungen ihrer Mutter ausgewertet. Eine mutige Frau: Martha Hofer (Bild unten, rechts) im Jahr 1943. Fotos: Günther(2)/privat Foto: Schwarzwälder Bote

Jahrestag: Im Heim für Kinder von Zwangsarbeiterinnen in Aach herrschten im Krieg unmenschliche Zustände

Heute vor 73 Jahren, am 8. Mai 1945, endete mit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht der Zweite Weltkrieg. Für zahlreiche Zwangsarbeiter bedeutete der Tag das Ende ihres teilweise jahrelangen Martyriums. Auch in Aach.

Dornstetten-Aach. Eine beson dere Bedeutung hatte das Kriegsende für acht polnische Zwangsarbeiterinnen, die mit ihren aus einem "Kinderheim" befreiten Säuglingen wieder zurück in ihre Heimat fahren konnten.

Die Geschichte des "polnischen Kinderheims" reicht ins Jahr 1944 zurück. Ab Juni 1944 wurde in Aach eine einfache Holzbaracke als "Kinderheim" für die Kinder polnischer – vermutlich auch russischer – Zwangsarbeiterinnen der Region zweckentfremdet.

Wobei die Bezeichnung "Kinderheim" für diese Einrichtung sicherlich in keiner Weise zutreffend ist. Damals wurden den Zwangsarbeiterinnen ihre Neugeborenen gewaltsam weggenommen. Diese Säuglinge wurden in dem Gebäude neben dem damaligen Gasthaus Alte Sonne – heute Waldgericht – untergebracht.

Die Namen der Frauen sind bis auf eine Ausnahme unbekannt. Auch über Geburtsdaten und Namen der überlebenden acht Kinder gibt es keine schriftlichen Aufzeichnungen mehr. Dokumentiert wurden allerdings die Namen der 13 Säuglinge, die im Aacher "Kinderheim" im Alter von wenigen Tagen oder Wochen starben.

Wie sich aus dem Sterberegister der ehemaligen eigenständigen Gemeinde Aach ergibt, wurden die Säuglinge im Durchschnitt nur 2,9 Monate alt. Als Todesursache wurden Sepsis, Darmkatarrh, Rachitis, Lungenentzündung, Erschöpfung, Ernährungsstörung oder einfach Lebensschwäche eingetragen.

Dass acht dieser Säuglinge überlebt haben, ist dem beherzten Eingreifen einer jungen Mutter aus Dornstetten beziehungsweise Dietersweiler zu verdanken. An einem Sonntagnachmittag im Februar 1945 war Martha Hofer, geborene Mönch, zu Fuß von Dornstetten nach Dietersweiler unterwegs. Martha Hofer hatte nach Dornstetten geheiratet. Ihr Mann war als Soldat im Krieg. Mit ihrem acht Monate alten Sohn, den sie im Kinderwagen dabei hatte, wollte sie ihre Eltern in Dietersweiler besuchen. Kurz hinter Aach bemerkte Martha Hofer eine Frau, die mit ihrem Kinderwagen gleichfalls in Richtung Dietersweiler unterwegs war und es sehr eilig zu haben schien. Im Schutz des kleinen Wäldchens sprach diese Frau Martha Hofer an und bat flehentlich um Hilfe.

Neugeborene Tochter weggenommen

In gebrochenem Deutsch und völlig verängstigt berichtete sie, dass man ihr nach der Geburt ihre neugeborene Tochter weggenommen und im Aacher "Kinderheim" untergebracht habe. In einem unbewachten Moment habe sie gerade ihre kleine Maria aus dem Heim entführt, vermutlich würde bald die Polizei nach ihnen suchen. "Die wollen auch meine Maria totmachen, schon viele Kinder gestorben", begründete sie ihre Tat. Zur Verdeutlichung zeigte sie Martha Hofer ihr bis zum Skelett abgemagertes, acht Monate altes Kind. Dieses habe bereits eine grüngelbe Hautfarbe gehabt, und es sei nicht zu erkennen gewesen, ob es sich um ein Mädchen oder einen Jungen gehandelt habe, erinnert sich Martha Hofer an den erbärmlichen Zustand des Säuglings.

Martha Hofer war umso erschütterter, weil ihr Sohn Erwin Gustav im ungefähr gleichen Alter wohl genährt und bei bester Gesundheit in seinem Kinderwagen schlummerte. Wie die polnische Mutter – gleichfalls mit Vornamen Maria – berichtete, bestand die "Nahrung" der Säuglinge im "Kinderheim" ausschließlich aus Pfefferminztee, sonst habe es nichts gegeben.

Schriftlich hielt Martha Hofer in ihren Erinnerungen diesen Moment fest: "Ich sah es als meine Christenpflicht an, hier zu handeln, auch wenn ich mich selbst und meine Familie in große Gefahr brachte." Und Martha Hofer handelte. Zunächst brachte sie Mutter und Tochter zu ihren Eltern nach Dietersweiler. In der Briegelstraße seien sie an einigen alten Frauen vorbeigekommen, die gerade aus der "Stund" kamen. "Da gucket einmal, was euer Führer gmacht hat", habe sie den Frauen gesagt und ihnen das halb verhungerte Kind gezeigt.

Bei Familie Mönch in Dietersweiler konnte sich Maria mit ihrer Tochter bis zum Einbruch der Dunkelheit verstecken, ausruhen und stärken. Die kleine Maria wurde mit einer Flasche Haferschleim gefüttert. Im Schutz der Nacht begleitete Großvater Georg Mönch Mutter und Kind nach Lauterbad zu dem Bauernhof, bei dem Maria als Zwangsarbeiterin beschäftigt war. Beide wurden dort zusammen aufgenommen.

Wie der weitere Verlauf der Geschichte zeigt, handelte Martha Hofer auch am folgenden Tag mutig und konsequent. Denn beide Frauen machten sich – gemeinsam mit der kleinen Maria – am nächsten Morgen auf den Weg nach Freudenstadt zur Kreisleitung am unteren Marktplatz. In der dortigen Abteilung "Mutter & Kind" schilderte Martha Hofer dem damaligen Kreisleiter Karl Maier, unter welch unmenschlichen Bedingungen die Säuglinge im Aacher "Kinderheim" dahinvegetierten. Als Beweis präsentierte sie dem Kreisleiter die bis zum Skelett abgemagerte Maria. Der Kreisleiter der NSDAP sei ob des Anblicks des halb verhungerten Zwangsarbeiterkinds erschrocken und habe Maria lediglich nachdenklich gefragt: "Ist das ihr Kind?" Als diese das bestätigte, habe er an seine Sekretärin gewandt entschieden: "Dann geben Sie doch der Mutter ihr Kind."

Von dieser Entscheidung profitierten neben der kleinen Maria auch die acht noch lebenden Säuglinge im Aacher "Kinderheim", die unverzüglich zu ihren Müttern zurückgebracht wurden. Nach dem Einmarsch der Franzosen am 17. April 1945 wurden die Zwangsarbeiterinnen mit ihren Kindern mit Lastwagen abgeholt und in ihre Heimat zurückgebracht. Der Lastwagen, in dem Maria mit ihrer Tochter mitfuhr, machte vor der Rückfahrt nach Polen einen Umweg über Dietersweiler. Bei diesem Zwischenstopp dankte Maria Familie Mönch für die Zivilcourage, die Tochter Martha bewiesen hatte und durch die das Leben ihrer kleinen Tochter gerettet wurde.

Maria Hofers Tochter Helga hofft herauszufinden, wie es der kleinen Maria seither ergangen ist. Über die Motive ihrer mutigen Mutter berichtet sie: "Meine Mutter war sehr gläubig und hielt sich stets an den Ausspruch Gustav Werners: ›Was nicht zur Tat wird, hat keinen Wert‹."

Welchen Wert ihre damalige mutige Tat hatte, können acht Überlebende des ehemaligen polnischen "Kinderheims" in Aach bezeugen. An die 13 verstorbenen Säuglinge im Heim erinnerten noch lange 13 weiße Kreuze, die in einer Ecke des alten Aacher Friedhofs standen. Im Ratsprotokoll der Gemeinde Aach ist unter dem Datum vom 10. April 1947 zu lesen, dass die Gemeinde nach den Vorschriften der französischen Militärregierung verpflichtet ist, diese Gräber zu unterhalten und zu pflegen.

Allerdings ist heute auf dem alten Aacher Friedhof von den Kindergräbern nichts mehr zu sehen, denn die 13 mahnenden Kreuze wurden irgendwann entfernt. Sie wurden entfernt, obwohl es sich bei diesen Gräbern eindeutig um Kriegssterbefälle handelte, weil der Tod durch die Einwirkung kriegsbedingter Ereignisse auftrat. Stattdessen erinnert heute ein kleiner Gedenkstein an das traurige Schicksal dieser polnischen Kinder und das Leid ihrer Mütter.