Doping: Ein Virus, das auch in der Leichtathletik offenbar weiter verbreitet ist als angenommen. Foto: dpa

Die jüngsten Doping-Enthüllungen in der Leichtathletik zeigen zweierlei, urteilt unser Sportchef Gunter Barner: Generell neigen die großen Sportverbände eher zum Vertuschen als zur Aufklärung. Und alle teilen das Problem, dass ihr eigenen Kontrollinstanzen nicht funktionieren.

Stuttgart - Robert Harting zerreißt im Siegesrausch zwar gerne mal ein Trikot, ansonsten hat der Olympiasieger im Diskuswerfen seine Emotionen aber ganz gut im Griff. Nicht auszuschließen ist dagegen, dass er in diesen Tagen gern mal einen der hohen Herren in den Sport-Organisationen dieser Welt am Kragen packen und mit der Frage schütteln würde: „Wie lange wollt’ ihr eigentlich noch zu sehen, wie unser Sport vor die Hunde geht?“ Kurz vor Beginn der Leichtathletik-Weltmeisterschaft hagelt es Negativ-Nachrichten im Stundentempo. Und der Tenor ist immer der gleiche: Die Krone des Sports ist vom Doping-Virus weit stärker befallen als bisher befürchtet.

Die externe Auswertung einer Blut-Datenbank aus den Beständen des Welt-Leichtathletik-Verbands (IAAF) lässt nach Experten-Meinung keinen anderen Schluss zu: Zwischen 2001 und 2012 ist jede dritte WM- oder Olympia-Medaille in den Ausdauerdisziplinen mit Hilfe von Dopingmitteln erschlichen worden. Noch streiten die Fachleute bei der IAAF mit unabhängigen Experten über die Deutungshoheit der 12 000 erhobenen Blutwerte. Klar scheint aber: Es ist etwas faul im Staate der Welt-Leichtathletik.

Lieber vertuschen als aufklären?

Kurz nach den ersten Enthüllungen machte die IAAF eilig bekannt, dass sie bei Nachtests der Weltmeisterschaften 2005 in Helsinki und 2007 in Osaka Ermittlungen gegen 28 Athleten eingeleitet habe. Einige seien bereits suspendiert, andere haben dem Vernehmen nach ihre Karriere bereits beendet. Die Mehrzahl aus Russland und Kenia. Es traf sich außerdem gut, dass keiner der Verdächtigen bei der am Samstag beginnenden WM in Peking an den Start geht. Die einträgliche Show der Läufer, Springer, Stoßer und Werfer soll im Wachstumsmarkt China möglichst ungestört nach neuen Rekorden streben. Was nebenbei auch ganz gut erklärt, warum eine von der IAAF in Auftrag gegebene Studie der Universität Tübingen bisher nicht ans Licht der Öffentlichkeit kam. Ein Team von Wissenschaftlern hatte vor der Weltmeisterschaft 2011 in Daegu anonym 2163 Athleten befragt. Ein Drittel gab an, in den zwölf Monaten zuvor gedopt zu haben.

Steht der Welt-Leichtathletikverband auf der Bremse, um seine Versäumnisse im Kampf gegen Doping zu vertuschen? Sagen wir es so: Lamine Diack, der 16 Jahre lang die Geschicke der Sportart lenkte, zeigte nie ein gesteigertes Interesse am Kampf für eine saubere Leichtathletik. Böse Zungen sagen dem Senegalesen nach, er habe sich mehr um die Champagner-Sorte in der Vip-Lounge gesorgt, als um das Wohl seiner Athleten. Und ganz gleich, ob künftig der Brite Sebastian Coe oder der Ukrainer Sergej Bubka als Präsident in die IAAF-Zentrale in Monaco einzieht, der eine wie der andere wird den rasanten Verlust an Vertrauen und Glaubwürdigkeit stoppen müssen.

Der Welt-Leichtathletikverband leidet unter ähnlichen Symptomen wie viele andere internationale Sport-Organisationen. Allen voran der Welt-Fußballverband (Fifa). Den systemimmanenten Seilschaften ist durch eigene Kontrollorgane oder Ethik-Kommissionen nicht beizukommen. Zu häufig arbeiten Funktionäre an der Lösung von Problemen, die sie selbst mit geschaffen haben. Helfen könnte, wenn die großen Sportorganisationen endlich genügend Geld in die Hand nähmen, um neuen Doping-Praktiken schneller als bisher auf die Schliche zu kommen. Wenn das Internationale Olympische Komitee (IOC) Nationalverbände konsequent von den Spielen ausschließt, die gegen Anti-Doping-Regeln verstoßen. Unabhängige Experten sollten die Organisationen regelmäßig und gründlich überprüfen. Der saubere Sport bleibt ansonsten eine Mär. Und die Betrogenen sind alle, die es ehrlich mit ihm meinen.

g.barner@stn.zgs.de