Mehr miteinander spielen und sich weniger dem Terminstress beugen: Diese Erfahrungen sollten Eltern aus der Corona-Zeit in den Alltag danach retten: Das meint die Diplompädagogin Marianne Stelzl. Bei ihrer Arbeit mit Kindern und Jugendlichen setzt sie auch Gesellschaftsspiele ein.Foto: Wursthorn Foto: Schwarzwälder Bote

Corona: Der gelungene Familien-Neustart nach der Corona-Isolation / Tipps einer Diplom-Pädagogin

Donaueschingen. Die Diplom-Pädagogin Marianne Stelzl gibt im Interview Tipps für Familien.

Frau Stelzl, Sie arbeiten als Kinder- und Jugendcoach und haben vielfältigen Kontakt mit Familien. Wie ist dort die Stimmung nach dem monatelangem Abstandsgebot?

Sehr, sehr unterschiedlich. Es gibt Familien, die kamen sehr gut damit zurecht. Für die hat sich nach eigener Aussage nichts geändert. Sie waren sogar froh, nicht mehr so viele Termine zu haben. Und anderswo kommt die Mutter an die absolute Belastungsgrenze. Da war es für alle Beteiligten besser, wenn das Kind in die Notbetreuung gegeben werden konnte. Eltern, Kinder und Lehrer haben in dieser Zeit ihr Bestes gegeben und standen da vor unterschiedlichen Belastungen. Das möchte ich ausdrücklich loben.

Gibt es Rezepte, wie es mache Familien besser hinkriegen als andere?

Es kommt darauf an, wie man schon vorher organisiert war und wie Kinder schon von Grund auf veranlagt sind. Es gibt Familien, da machen die Kinder ihre Hausaufgaben recht selbstständig. In den anderen Fällen haben die Eltern jeden Tag Auseinandersetzungen mit ihren Kindern, die keine Hausaufgaben machen wollen. Die sagen dann empört ›Wir sind doch keine Lehrer, um den Stoff zu erklären‹."

Es ist kein Fehler, Kinder früh zum selbstständigen Arbeiten anzuleiten?

Das beginnt von klein auf. Sind Kinder in der Lage, hinzusitzen und etwas durchzuziehen? Oder sitzen die Eltern permanent nebenan? Da empfehle ich, vielleicht erst mal am Ende aufs Ergebnis zu schauen. Das ist auch ein Tipp fürs Leben.

Welche Defizite sind in der Zeit der strengen Corona-Maßnahmen entstanden?

Wo Familien schon vorher überbelastet waren, liegen jetzt die Nerven blank. Durch eine gewisse Hilflosigkeit entstehen Aggressionen. Da gerät es in manchen Familien aus dem Ruder.

Spielen die Wohnverhältnisse eine große Rolle? Oder sind es eher die zeitlichen Möglichkeiten, sich mit den Kindern zu beschäftigen?

Wo die Kinder in den Garten konnten oder sich kreativ beschäftigen konnten, war das weniger ein Problem. Es sind wohl beide Komponenten. Eltern, die daheim voll arbeiten mussten, hatten zusätzliche Belastungen.

Wie gehen Kinder mit Corona-Regeln und Corona-Nachrichten um?

Die ganze Situation war für die Kinder belastend, neu und komisch. Umso stärker ist es deshalb Aufgabe der Eltern, ein Anker zu sein sowie Sicherheit und Orientierung zu geben. Kinder dürfen nicht mit großen Ängsten konfrontiert werden. Die ganzen Umwelteinflüsse bekommen sie aber dennoch mit. Deshalb muss in der Familie ein Rahmen geschaffen werden, damit Kinder angstfreier mit dem Thema umgehen können.

Wie sieht so ein Rahmen aus?

Ja, da gehören feste Gewohnheiten dazu. Wichtig ist etwa, das Kind beispielsweise über Corona zu informieren und die Ängste nehmen. Eltern sollten deshalb das Gespräch mit den Kindern suchen. Sie müssen dabei aber auch das Bewusstsein haben, wie Kinder mit Informationen umgehen.

Kinder spielen gerne mit ihren Freunden, treffen jeden Tag ihre Schulkameraden. Das fiel von einem Tag auf den anderen weg. Welchen Ersatz bietet da der Kontakt über Video oder Telefon?

Es ist gut, wenn der Kontakt über Telefon gehalten werden kann. Das Problem, die Freunde zu vermissen, ist aber, wenn überhaupt, erst nach geraumer Zeit aufgekommen. Ich habe von Eltern gehört, die haben sich die Kinder mit Abstand verabreden lassen.

Woran erkennen Eltern, dass ihr Kind unter der Situation leidet?

Die Symptome können ganz unterschiedlich aussehen. Um sie zu erkennen muss man sein Kind kennen. Es gibt Kinder, die reagieren mit Rückzug oder Angst, im Extremfall sogar mit Bettnässen. Es gibt auch Kinder, die gehen nach außen, werden wütend, aggressiv. Allerdings haben wir eine gewisse psychische Widerstandskraft, damit umzugehen.

Es kann also vorher schon etwas nicht stimmen?

Natürlich. Es kommt auf die Familiensituation an. Man muss mit dem Kind sprechen. Die Beziehung muss so gestaltet sein, dass ein Gespräch mit Eltern und Kindern immer möglich sein muss. Wenn Eltern diese Beziehung nicht pflegen, kann es passieren, dass es viel länger geht und die Problematik so groß wird, dass sie Hilfe suchen müssen. Oder sie bekommen von den Einrichtungen gesagt, welche Auffälligkeiten ihr Kind aufweist.

Nach den Ferien geht es allmählich wieder in den Schul-Vollbetrieb. Was können Eltern tun, um ihr Kind wieder ins Lot zu bringen?

Bloß nicht sofort das Rad wieder andrehen. Wir leben schon ein Stück weit in einem Leistungssystem. Das merkt man vielen Kindern an. Die haben zu viele Termine und zu wenig Zeit für freies Spiel, vor allem draußen in der Natur. Die Eltern meinen es zwar gut mit den Hobbys. Aber mit Schule, Hausaufgaben und Hobbys sind viele Kinder am Abend einfach platt. Die Kinder brauchen auch Luft und Zeit zum Spielen und zum Rausgehen. Deshalb sollten die Eltern in der Übergangsphase den Programmdruck abbauen.

Lässt sich aus der Coronazeit etwa lernen für das Familienleben?

Da fielen viele Termine weg. Da gab es Zeiten, einfach mal miteinander zu spielen. Umgekehrt konnte man merken, wie belastend es ist, von Termin zu Termin zu hetzen.

Kommen wir zum Homeschooling: Welche positiven Eigenschaften fördert diese Unterrichtsform?

Sie fördert die Selbstständigkeit des Kindes, braucht aber auch Anleitung von außen. Wo die Kinder nur zu den Aufgaben gesetzt wurden, gab es Schwierigkeiten. Kinder haben in dieser Zeit ihre Schulkameraden vermisst und vermisst etwas erklärt zu bekommen. Umgekehrt konnten sich die Kinder ihre Arbeit einteilen und hatten mitunter mehr Freizeit. Denn das Homeschooling war in vielen Fällen doch stark auf Wiederholungen angelegt.

Welche Schwächen brachte Homeschooling zutage?

Wo Kinder schon vorher überfordert waren, ihre Aufgaben zu strukturieren, waren sie jetzt völlig überfordert. Eltern können nur dann entgegen wirken, wenn sie die Zeit dazu haben. Wenn aber Kinder schon die Hausaufgaben verweigern, ist das eine immense Belastung. Es geht darum, wie ein Kind lernt.  Die Fragen stellte Jens Wursthorn.

Marianne Stelzl hat Erziehungswissenschaften studiert und ist Diplom-Pädagogin. Aufgesattelt hat sie Tiergestützte Pädagogik und den Kinder- und Jugendcoach. Die 40-Jährige ist verheiratet und lebt mit Ehemann und vier Kindern auf einem Bauernhof in Brigachtal. Dort findet auch die Reitpädagogik statt.