Heiko Hildebrandt (rechts) erklärt Winfried Kretschmann seine Erfindung. Foto: Schwarzwälder Bote

Ministerpräsident Wilfried Kretschmann besichtigt neue Technologie in Aasen.

Donaueschingen-Aasen -  Winfried Kretschmann blickt zu seiner Mitarbeiterin. "Wie viel Zeit habe ich noch?", fragt der Ministerpräsident.

20 Minuten sind schon noch frei im eng getaktet Kalender. "Dann möchte ich das jetzt genau erklärt haben", sagt Kretschmann und berührt ganz vorsichtig eines der Solarmodule, das aufrecht vor ihm in die Höhe ragt.

So etwas gibt es im Ländle nämlich noch gar nicht, Solarmodule, die nicht waagrecht montiert werden, sondern stehen.

Ko-Existenz von Energie- und Landwirtschaft

Und während herkömmliche Photovoltaikanlagen mit ihrer Südausrichtung das Sonnenlicht in der Mittagszeit einfangen, wird hier mit einer Ost-West-Ausrichtung mit zweiseitigen Modulen in den Morgen- und Abendstunden Strom gewonnen. Das Pilotprojekt ist durch Heiko Hildebrandt, Geschäftsführer der Next2Sun, entstanden: "Ich hatte die Idee auf einer Autofahrt vom Saarland nach Freiburg", erklärt Hildebrandt – und der Ministerpräsident ist begeistert. Nicht nur als Grüner, sondern auch als Landesvater, denn das zeige wieder, welch Tüftler es hier gebe. "Solche Leute braucht das Land", sagt Winfried Kretschmann und ist gerade zu euphorisch.

Denn mit der neuartigen Technologie ist eines möglich: Wo sonst Landwirtschaft und Solaranlagen gegeneinander um Flächen konkurrierten, ist es möglich, beides gleichzeitig zu realisieren. Die Module sind so aufgestellt, dass auch locker mit großen Traktoren zwischen ihnen hindurch gefahren werden kann und so Grünfutter für Tier gewonnen werden kann. Bei der Versuchsanlage im Saarland wurden bereits die Zahlen unter die Lupe genommen: "Wir hatten dort 77 Prozent mehr Heuertrag", erklärt Heiko Hildebrandt. Die Begründung: Es sei ein trockenes Jahr gewesen und die Anlage habe den Wind abgehalten und so das Austrocknen des Bodens verhindert.

"Was hier passiert, das ist weltbewegend", sagt Kretschmann und spricht von Pioniergeist. Denn in einem dichtbesiedelten Land wie Baden-Württemberg gebe es nur theoretisch ausreichend Flächen. Viele Projekte im Bezug würden scheitern, sei es nun aus Trägheit, Bürokratie oder eben weil es verschiedene Nutzungsinteressen gebe. "Diese Technologie ist eine hochinnovative Lösung für eine der zentralen Probleme der Photovoltaikanlagen."

Das Start-up-Next2Sun-stelle die Solarenergie im wahrsten Sinne des Wortes auf den Kopf und vollziehe mit der senkrechten Lage, der Ausrichtung und der Beidseitigkeit gleich drei Paradigmenwechsel. Nicht umsonst sei das Unternehmen mit dem deutschen Solarpreis ausgezeichnet worden. Und damit treffe das Unternehmen die persönliche Ministerpräsidenten-Philosophie: "Nur wenn wir es schaffen, Ökologie und Ökonomie erfolgreich zu vereinen, dann werden wir den globalen Klimawandel eindämmen können."

Blühstreifen bieten Vögeln und Insekten Lebensraum

Da ist auch der Oberbürgermeister ziemlich stolz: "Es ist phänomenal, was alles in diesem einfachen Projekt steckt", sagt Erik Pauly. Es könnte nicht nur Landwirtschaft und Stromgewinnung auf einer Fläche existieren: "Unter den Solarmodulen können auch Blühstreifen angelegt werden und so kann ein Beitrag zur Artenvielfalt geleistet werden."

Doch eines ist auch klar: Ohne den Ortschaftsrat Aasen wäre es schwer geworden. Und dort gab es am Anfang doch einige Vorbehalte: "Bei so einem Projekt kommt ein Dorfparlament schnell mal an seine Grenzen", sagt Ortsvorsteher Horst Hall. Viele Fragen habe man sich gestellt. "Doch heute können wir sagen, es war die richtige Entscheidung und Aasen erzeugt mehr Energie, als es benötigt."

Next2Sun wurde gegründet, um ein völlig neuartiges Photovoltaik-Anlagenkonzept zu realisieren. Entstanden ist ein Agri-Photovoltaiksystem, welches landwirtschaftliche Nutzung und solare Stromproduktion wirtschaftlich auf der gleichen Fläche verbindet. Das Grundprinzip des Konzeptes besteht in der senkrechten Anordnung von Solarmodulen, die Sonnenlicht sowohl von der Vorder- als auch von der Rückseite nutzen können. Die beiden aktiven Seiten sind nach Osten und Westen ausgerichtet. Die Flächen zwischen den Modulreihen können weiter landwirtschaftlich genutzt werden und entstehende Blühstreifen bieten insbesondere der bedrohten Insektenwelt und vielen Vogelarten Raum. Das Unternehmen hat Standorte in Berlin, Freiburg, Merzig an der Saar und Koblenz am Rhein.