Steffen Baumeister mit einem kleinen Patienten, bei dem zwei Finger zusammengewachsen waren. Der Chirurg, Leiter der Klinik für Plastische-, Hand und Ästhetische Chirurgie am Donau­eschinger Krankenhaus, hat sie getrennt. Das freut die Mutter des Jungen. Fotos: privat Foto: Schwarzwälder Bote

Entwicklungshilfe: Steffen Baumeister im Ehrenamts-Einsatz / Chirurg hilft im bolivianischen Riberalta

Das Gesundheitswesen in Deutschland gilt als Dauerpatient. In ländlichen Regionen wird über den Ärztemangel geklagt, Kritiker prangern ein Zwei-Klassen-System an, viele Krankenhäuser schreiben rote Zahlen und die Krankenkassenbeiträge sind sowieso viel zu hoch.

Donaueschingen (hon). Wenn der Mediziner Steffen Baumeister, Chef der Klinik für Plastische-, Hand und Ästhetische Chirurgie am Donaueschinger Krankenhaus, von seinen Ehrenamts-Einsätzen in der Dritten Welt erzählt, wird schnell klar: Deutschland jammert auf einem hohen Niveau, einem sehr hohen.

In einigen Tagen macht sich der Familienvater mit Wohnadresse in Villingen Schwenningen zum dritten Mal auf die Reise nach Bolivien, genauer nach Riberalta, einer knapp 80 000 Einwohner zählenden Stadt im Tiefland des südamerikanischen Anden-Staates Bolivien. "Schon die Anreise ist ein Abenteuer für sich", erzählt der gebürtige Westfale, der auf der Baar heimisch geworden ist. "Die Flugzeuge werden immer kleiner, und dann geht's im Jeep durch den Dschungel."

Als der 46-Jährige vor vier Jahren zum ersten Mal nach Riberalta kam, da wussten er und weitere für die Hilfsorganisation Interplast tätige Ärzte und Krankenschwestern nicht, was sie erwartet. Es gab zwar ein Krankenhaus, doch das war von der Ausstattung her nicht mit einer Klinik zu vergleichen, wie man sie aus Deutschland oder Europa kennt. Es gab kein Sterilisations- und auch klein Beatmungsgerät, jede Schere und jeder Faden musste mitgebracht werden.

Sobald die Ärzte und Schwestern aus Deutschland eingetroffen sind, berichten Zeitungen, das Fernsehen und Radioanstalten darüber – und dann geht es ruckzuck, und der Wartebereich des Kramkenhauses ist gestopft voll. Die Patienten nehmen zum Teil Tagesreisen auf sich, um nach Riberalta zu kommen. Und dann geht's los mit den OPs. Die behandelten Patienten leiden unter Gesichtsfehlbildungen, Lippen-, Kiefer-, Gaumenspalten, Handfehlbildungen, schweren Verbrennungsnarben, Tumoren der Haut und des Kopfes und an Verbrennungen. Zehn- bis zwölf-Stunden-Schichten sind die Regel, operiert wird im Akkord. Einmal hat Baumeister an einem Tag acht Kinder mit Hasenscharte operiert, in Deutschland undenkbar.

Was motiviert Steffen Baumeister an seinen Auslandseinsätzen in Ländern, in denen es bei uns längst ausgemerzte Krankheiten wie Malaria, Tollwut oder Typhus gibt? Da nennt er zunächst das große Vertrauen, das ihm und seinen Kollegen von den Kranken entgegengebracht wird und von dem er hofft, es zurückgeben zu können. Er spricht von der Dankbarkeit seiner Patienten.

Und dann ist das Arbeiten unter erschwerten Bedingungen für einen begeisterten Chirurgen wie Baumeister auch eine Herausforderung. Das Krankenhaus in Riberalta hat kein eigenes Labor, es gibt kaum Blutkonserven und kein Röntgengerät. Da ist Improvisationstalent gefragt. Die Folge: "Wir müssen hier alle an einem Strang ziehen. Das klappt und das gefällt mir", sagt der Professor. Er erzählt, dass beim 2016er-Einsatz in 14 Tagen rund 110 Operationen vorgenommen wurden, die Kosten von rund 23 000 verursachten. In Deutschland seien für diese Summe nur vier bis fünf Eingriffe möglich. Im Gespräch wird klar: Das humanitäre Engagement erdet den Mediziner. Gebraucht zu werden und helfen zu können – das erfüllt.

Als Baumeister 2014 zum ersten Mal in Riberalta war, da kam unmittelbar vor der Abreise ein kleines Mädchen mit einer verkrüppelten Hand zu ihm. Doch die Zeit reichte nicht mehr, sich um die Kleine zu kümmern. Als er 2016 zurückkehrte, schaute sie mit ihrer Mutter wieder bei ihm vorbei, dieses Mal klappte es mit der Operation.

Das Mädchen wartete also zwei Jahre lang, bis ihr geholfen wurde. Und in Deutschland bricht die Welt zusammen, wenn jemand sechs Wochen auf einen Termin beim Arzt warten muss – Jammern auf hohem Niveau.

Interplast Deutschland ist ein im Jahr 1980 gegründeter gemeinnütziger Verein, der Ärzte, Schwestern und Ausrüstung in Länder mit schlechter Gesundheitsversorgung schickt, dort werden dann plastisch-chirurgische Operationen vorgenommen. Ein Team besteht in der Regel aus drei Chirurgen, drei Anästhesisten und mehreren Krankenschwestern.

Der Hilfsverein im Internet: www.interplast-germany.de.