Vortrag: Heiner Giese berichtet vom Wagnis eines Kirchenbaus vor 175 Jahren in Böhringen

Einblicke in die Veränderung der katholischen Kirche im Verhältnis zu Staat und Gesellschaft Anfang des 19. Jahrhundert sowie in die Neuerungen beim Kirchenbau gewährte der frühere Rottenburger Diözesanbaumeister Heiner Giese.

Dietingen-Böhringen (kw). Giese war zu seinem interessanten Vortrag anlässlich des 175-jährigen Bestehens der St. Silvester Kirche nach Böhringen gekommen.

"Selbständig, aber mausarm", so beschrieb der Referent, der sich seit mehreren Jahren wissenschaftlich mit dem Kirchenbau des 19. Jahrhunderts in der Diözese Rottenburg befasst und dazu mehrere Bücher geschrieben hat, den Zustand der Böhringer Pfarrei in den Jahren vor dem Neubau der Kirche.

1810 war aus der Böhringer Kaplanei eine eigenständige Pfarrei geworden. Die Verschuldung der Gemeinde rührte aus der Ablösung des "Großzehnten auf 1100 Jauchert Allmand" an die Pfarrei Gößlingen her. Dafür bezahlte die Pfarrei Böhringen 6000 Gulden. Der Rottweiler Dekan Strobel habe Bedenken geäußert, ob dies in Böhringen so ökonomisch funktionieren könne, erzählte Giese.

Der Referent weiter: "Jetzt dämmert es, dass es ein bisschen länger gedauert hat, bis sie zu einer Kirche gekommen sind." Im Jahr 1835 sei die Pfarrei immer noch verschuldet gewesen. Die neue Kirche Böhringer St. Silvester Kirche (Giese: "Das war unter den damaligen Verhältnissen ein Husarenstück") wurde 1842 fertig gestellt und 1843 feierlich eingeweiht. Vor dem 19. Jahrhundert, so Giese, sei der Kirchenbau Aufgabe des Adels gewesen. Nach 1800 habe sich im Bürgertum aber ein großes Maß an Selbstbewusstsein entwickelt. Die Bürger hätten nun die Errichtung neuer Kirchen in die Hand genommen. Giese: "Pfarrer und starke Gemeinden waren die Motoren der Veränderungen."

Die frühere Böhringer Kirche, über die wenig bekannt ist, stand auf dem heutigen Friedhof. Sie wurde abgetragen und das Material für den Bau des um ein Vielfaches größeren neuen Gotteshaus verwendet. Weil am bisherigen Platz keine Grundstücke zur Verfügung standen, wählte man als neuen Standort eine Ortsrandlage in der Aue der Schlichem. Ein weiterer Grund sei die Vorgabe gewesen, Friedhof und Kirche aus hygienischen Gründen zu trennen.

Die Grundstücke seien nur so groß wie unbedingt nötig gewesen. "Es gab wenig Platz um die Kirche, nach dem Besuch ging man gleich wieder nach Hause, es war nicht vorgesehen, sich außerhalb der Kirche zum Schwätzen aufzuhalten". Baukontrolleure beim Kameralamt (Vorgänger der heutigen Finanzämter) hätten damals die Aufgabe der Architekten übernommen. Dass die Kirche in Böhringen nur über einen Dachreiter und über keinen Turm verfüge, sei nicht darauf zurückzuführen, dass das Geld ausgegangen sei. "Auch andere in dieser Zeit gebauten Kirchen haben einen Dachreiter", erinnerte Giese. "Erst ab 1848 hat das Bürgertum die Freiheit bekommen, sich selbst darzustellen."

Die Ausstattung der Böhringer Kirche sei eher dürftig gewesen. Erwähnt würden in früheren Aufzeichnungen aber zwei Prozessionslaternen.