Der französische Kriegsgefangene Robert Bibard bewegte am 21. April 1945 die französischen Soldaten, Dietingen friedlich einzunehmen. Vorlage: Fußnecker Foto: Schwarzwälder Bote

Heimatgeschichte: Erinnerungen an 1945 von Engelbert Schmuck und Agnes Leibold / Ein Einsatzbefehl und eine heimliche Liebe

Dietingen. Leser erinnern sich an das Jahr 1945. So auch Rolf Fußnecker, der auf einen von ihm notierten Zeitzeugenbericht von Engelbert Schmuck hinweist, der im Zusammenhang mit Erlebnissen der französischen Kriegsgefangenen in Dietingen entstanden ist. Fortgeführt wird jener von Agnes Leibold, geborene Schmuck.

Befehl vom Rathaus

Richtung Kriegsende, es war, glaube ich, der 17. April 1945, kam der Befehl vom Rathaus Dietingen (Bürgermeister Franz Ohnmacht), die männlichen Jahrgänger 1929 (also gerade mal 15 bis 16 Jahre alt), müssten sich sofort nach Stetten a. k. M. begeben und sich dort zum Einsatz melden. Es waren dies: Kuno Bliestle, Reinhold Hirt, Erich Hirth, Heinrich Hummel, Rudolf Mink, Josef Ohnmacht, Oswald Ohnmacht und ich, Engelbert Schmuck.

Am Abend vor unserem Abmarsch verabschiedeten wir uns vom Bürgermeister vor seinem Wohnhaus in der Bachstraße. Einer von uns (Erich Hirth) wollte in der schlechten Stimmung den Bürgermeister in den Bach stoßen, wir konnten dies aber noch verhindern.

Am nächsten Morgen ging es mit Beuteln das Tal hoch. Am ersten Abend haben wir unser Lager im Gerberwald (zwischen Dietingen und Vaihingerhof) mit Reisig umstellt. Aus Wut über unseren Einsatz haben wir einiges aus der Wald-Neupflanzung des Bürgermeisters herausgerissen.

Am zweiten Tag ging es über Schömberg und Ratshausen nach Oberdigisheim. Bei Verwandten von Rudolf Mink konnten wir dort übernachten. Dort hieß es: "Geht wieder heim, der Krieg ist bald aus!" Auf dem Rückweg nahe Schömberg kam ein französischer "Jabo" auf uns zu. Wir rannten um eine nahestehende Scheune herum, je nach Blickwinkel des "Jabo", er hat aber Gott sei Dank nicht geschossen.

Hinweis von Rolf Fußnecker: Laut früheren mehrfachen Erzählungen von Musikkamerad Reinhold Hirt, auch Teilnehmer dieser Gruppe, mir und anderen Musikkameraden gegenüber hielt sich die Gruppe nach der Ermahnung aus Oberdigisheim aber einige Nächte im Gerberwald versteckt. Und jede Nacht ging ein anderer heimlich nach Hause zur Essensbesorgung. Es wussten also nur die direkten Familienangehörigen über das Versteck ihrer Söhne etwas.

Nun wieder Engelbert Schmuck: Wir kamen in der Nacht in unsere Dietinger Elternhäuser, mussten uns aber gleich am nächsten Tag auf dem Rathaus melden, weil uns jemand verpfiffen hatte. Dann kam an diesem 20. April der Befehl, wir müssen nach Deißlingen und uns dort zum Arbeitsdienst melden.

An diesem wunderschönen Tag gingen wir durch Rottweil Richtung Deißlingen. Es begegneten uns immer wieder deutsche Soldaten auf dem Rückzug, mit Panzerfäusten in den Händen, und versteckten sich. Am Stallberg-Wald blieben wir und legten uns in die Sonne. Gegen 16 Uhr hörten wir "Jabos" und Infanterie und sind dann schnell zurück Richtung Rottweil gerannt.

Versteck beim Schäfer

Beim Schäfer Schwenk nahe Rottweil durften wir in den Keller. Unsere Rucksäcke versteckten wir in den Beerenhecken, um nicht als eine Gemeinschaft angesehen zu werden bei den Anrückenden. Im Keller waren schon andere Personen und eine Rotkreuzhelferin. Kurz danach sahen wir durch die Kellerfenster Franzosen.

Schäfer Schwenk und seine Frau blieben oben, deshalb schauten die Franzosen zum Glück nicht im Keller nach. Wir sind später dann ohne Rucksäcke raus und in Rottweil durch das Schwarze Tor. Da stand ein französischer Panzer neben dem anderen.

Die französischen Soldaten, es waren viele Schwarze dabei, holten aus dem Dimmler-Laden Alkohol. Ein Marokkaner zeigte auf uns und wir gingen ängstlich weiter. Im Spittel waren viele Menschen. Wir fragten einen Deutsch sprechenden Franzosen, ob wir weiter gehen dürfen nach Dietingen. Er untersagte dies, weil sich zwischen hier und Dietingen die Frontlinie befinde.

Bei Einbruch der Dunkelheit hüpften wir vom Spittelhof über die drei Meter hohe Mauer in die Böschung runter. In der Böschung saßen zwei Dietinger Männer vom Volkssturm. Es war Heinrich Sieber und Franz Fischer mit ihren Gewehren. Wir sagten ihnen, sie sollen ihre Gewehre wegwerfen, Rottweil sei schon eingenommen.

Mit weißer Unterhose

Wir gingen weiter nach Göllsdorf zu Verwandten von Oswald Ohnmacht, zur Schwester von Paul Henne und bekamen dort zu essen und zu trinken.

Mitten in der stockdunklen Nacht sind wir mit einer weißen Unterhose am Stock über den Römerweg Richtung Dietingen. Auf der jetzigen B 27 sahen wir den Bürgermeister auf seinem Motorrad Richtung Neukirch fliehen. Etwa um Mitternacht kamen wir nach Dietingen, am Ortseingang war eine weiße Fahne gehisst. Am 21. April kamen die französischen Panzer von Böhringen her zum "Kreuz", nachdem ihnen der gefangene Franzose Robert Bibard am Ortseingang erklärte, dass sie Dietingen friedlich lassen sollen. Die Kreuz-Wirtin Klara Horn, die früher in Frankreich gearbeitet hatte, konnte sich mit den Besatzern unterhalten. Die Bevölkerung freute sich über die gewalt- und schusslose Einnahme von Dietingen.

Morgens gegen 7.30 Uhr

Nun überlassen wir Agnes Leibold das Wort. Morgens gegen 7.30 Uhr kamen von Böhringen her die französischen Panzer nach Dietingen. Robert Bibard (geboren 1918), mein späterer Schwager), ging ihnen an den Ortsrand entgegen, gab sich als Landsmann und Gefangener zu erkennen und hat den Besatzern erklärt, dass es ihm und seinen gefangenen Landsleuten in Dietingen gut gehe beziehungsweise gegangen sei und sie (die Besatzer) von Gewalt in Dietingen bitte Abstand nehmen sollten. Es sei immer ein gutes Verhältnis und Einvernehmen zu und mit der Bevölkerung gewesen. Deswegen wurde von dem bisherigen "Gegner" und der jetzigen Besatzungsmacht kein einziger Schuss bei der Einnahme von Dietingen abgegeben.

Vorübergehend Schultes

Robert wurde von den Franzosen vorübergehend als Bürgermeister der französischen Verwaltung von Dietingen eingesetzt. Während der anfänglichen Besatzungszeit holten marokkanische Soldaten der französischen Armee bei den Dietinger Bauern Tiere aus den Ställen. Robert hat den Dietinger Viehbesitzern gegen seine Landsleute geholfen, damit dies maßvoll gehandhabt wurde.

Der Gefangene Robert war (heimlich) verliebt in Klothilde Schmuck (geboren 1924), Schwester von Agnes Leibold. Vater Wilhelm Schmuck erhielt einige Wochen vor Kriegsende einen anonymen Brief mit der Anschuldigung, dass seine Tochter Klothilde verbotenerweise mit einem französischen Gefangenen (Robert Bibard) befreundet sei und dass dies eine schwere Strafe bei Wasser und Brot bringen würde.

Seine Klothilde geheiratet

Robert ging einige Zeit nach der Befreiung zurück in seine Heimat Frankreich, seine geliebte Klothilde erhielt einige Zeit später die Genehmigung zu ihrer Ausreise beziehungsweise Einreise nach Frankreich und folgte ihrem Robert nach. Kurz nach dem Krieg heirateten sie und wohnten etwa 120 Kilometer entfernt von Paris. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor.