Saskia de Koning lauscht durch ein Hörrohr den Herztönen von Leonies Sohn. Foto: Horst Rudel

Saskia de Koning ist seit 22 Jahren Geburtshelferin. Sie hat sich gleich nach der Ausbildung selbstständig gemacht und betreut ausschließlich Frauen, die ihr Kind zu Hause auf die Welt bringen möchten.

Zur Begrüßung gibt’s eine herzliche Umarmung. „Na, wie ist es?“ In Saskia de Konings Gesicht bilden sich kleine Lachfältchen. „Gut“, sagt Leonie. Es ist ein Freitagmorgen im März, als die 28-Jährige mit ihrem Partner in die Hebammenpraxis kommt, um noch mal über die bevorstehende Geburt zu sprechen. Schon in wenigen Tagen ist der errechnete Termin. Leonie und Kai-Marc sind fast 100 Kilometer gefahren, vom Landkreis Ludwigsburg nach Engstingen im Kreis Reutlingen. Saskia de Koning und ihre Kolleginnen haben ein Wohlfühlambiente geschaffen. Viel Holz, Pflanzen, helle Möbel. Hier geben sie Kurse für Geburtsvorbereitung, Rückbildung, Säuglingspflege. Hier gibt es Yoga für Schwangere, Babymassage. Und hier berät de Koning Frauen und Paare, die einen anderen Weg als den in die Klinik gehen möchten. Seit sie vor 22 Jahren ihre Ausbildung abgeschlossen hat, ist sie allein auf Hausgeburten spezialisiert.

 

Leonie füllt einen Fragebogen aus. „Damit wir wissen, wo du grad stehst, ob du Veränderungen wahrnimmst. Schauen wir mal, wann sich euer Würmle auf den Weg macht.“ Bis zur 30. Schwangerschaftswoche war Leonie regelmäßig zur Vorsorge beim Frauenarzt. Den Endspurt meistert die Sozialpädagogin jetzt mit ihrer Hebamme. De Koning hat dem Paar gezeigt, dass es durch Tasten selbst herausfinden kann, wie der Sohn gerade liegt. Kai-Marc sagt, die Verbindung zum Kind sei dadurch noch stärker geworden.

„Da hat’s nicht mehr viel Platz“

Leonie macht es sich auf dem Sofa bequem, zieht ihr Shirt nach oben. Die Hebamme legt beide Hände auf den runden Bauch. „Boah, da hat’s nicht mehr viel Platz.“ Sie findet heraus, wo der Rücken des Kindes ist, die Beine, der Po. Durch ein Hörrohr lauscht sie den Herztönen. „Möchtest du auch mal hören?“ Kai-Marc presst sein Ohr ans Gerät. De Koning misst Leonies Bauchumfang. 111 Zentimeter. „Ganz wunderbar.“

Zur Geburtsvorbereitung lässt sich Leonie Akupunkturnadeln in Füße und Beine stechen. Dadurch soll der Gebärmutterhals verkürzt und der Muttermund weicher gemacht werden. Die Hebamme erklärt, Akupunktur wirke harmonisierend und stärkend. „Klingt gut“, sagt Leonie. Zweimal hatte sie schon eine Fehlgeburt. Dass sie ihr erstes Kind nun zu Hause zur Welt bringen möchte, dafür erntet sie auch Unverständnis. „Hast du keine Angst?“, wird sie immer wieder gefragt. „Nee, warum denn?“, antwortet sie dann. „Alle haben den gleichen Plan. Das Baby will raus. Ich will, dass es rauskommt.“ Leonie sagt, dass sie ihrem Körper vertraue und dass es auch auf die Einstellung ankomme: „Wenn man unsicher ist, hat man eine Blockade.“

Der Wunsch nach einer Hausgeburt kam auf, nachdem die Labradorhündin des Paars im November Welpen zur Welt gebracht hatte. Da dachte Leonie zum ersten Mal: Zu Hause ist es chilliger. Und überhaupt: Krankenhaus. „Da geht man hin, wenn man krank ist. Eine Geburt ist aber keine Krankheit.“ Sie dachte an die sterile Atmosphäre in Kliniken, allein die Vorstellung an den Geruch bescherte ihr ein beklemmendes Gefühl.

Eine Hebamme für die Hausgeburt zu finden, sei schwierig gewesen, erzählt das Paar. Hausgeburten sind in Deutschland eher die Ausnahme. Zwar werden es Jahr für Jahr mehr, doch machen außerklinische Geburten mit knapp unter zwei Prozent weiter nur einen geringen Anteil aus. Von den rund 27 000 Hebammen in Deutschland arbeiten 18 000 freiberuflich, davon haben 670 im Jahr 2021 Hausgeburten angeboten.

Frauen sollen selbstbestimmt gebären

Saskia de Koning ist Mutter zweier Kinder, beide hat sie zu Hause geboren. Durch die Schwangerschaft und die Geburt des ersten Sohns fand sie ihre Berufung. „Ich war damals erst 20 und hab überlegt: Was mach ich mit meinem weiteren Leben?“ Sie habe sich durch ihre Hebamme so gut begleitet gefühlt, dass der Wunsch reifte, es ihr gleichzutun. Sie wolle Frauen ermutigen, ihren ureigenen Fähigkeiten zu vertrauen und selbstbestimmt zu gebären. „Ich möchte die ganze Bandbreite an Möglichkeiten eröffnen, sodass jede das Richtige für sich finden kann, ohne sich ständig fragen zu müssen: Was sagt das System? Was der Frauenarzt? Das Umfeld? Die Hebamme?“

Saskia de Koning machte ihre Ausbildung in Tübingen. Schon damals sei ihr klar gewesen, dass sie nach der Lehrzeit nicht im Kreißsaal eines Krankenhauses arbeiten würde. Nicht immer sei es dort erwünscht, dass Frauen die Geburt selbstbestimmt gestalten, sagt sie. Im vergangenen Jahr hat sie 50 Hausgeburten begleitet in einem Umkreis von bis zu 80 Kilometern. Zum Vergleich: Die meisten ihrer Kolleginnen kommen auf fünf bis zehn im Jahr. Das Besondere an einer Hausgeburt, sagt Saskia de Koning, sei das tiefe Vertrauensverhältnis, das sich zwischen der Schwangeren und der Hebamme aufbaue. „Zu Hause können viele Frauen besser entspannen. Sie sind selbstbewusster und selbstbestimmter“, sagt die 46-Jährige. Oft lasse man ihnen bei der Hausgeburt viel mehr Zeit als in der Klinik, wo eine Hebamme häufig drei Frauen gleichzeitig betreuen müsse. „Unsere Zeit ist das Wertvollste, was wir den Frauen geben können.“

Bei einer Hausgeburt dürfen grundsätzlich keine Wehen- und Schmerzmittel verabreicht werden. De Koning hat seit 17 Jahren keinen Dammschnitt mehr gemacht. Nur selten bricht sie eine Hausgeburt ab. Der häufigste Grund ist ein Stillstand der Geburt, verbunden mit Erschöpfung der Frauen. Medizinische Notfälle seien äußerst selten, sagt de Koning. Deshalb widerspricht sie, wenn jemand behauptet, Hausgeburten seien grundsätzlich riskant. Vieles könne sie im Vorfeld abschätzen und deshalb dann frühzeitig die Bremse ziehen. „Ich gehe lieber kein Risiko ein, sondern verlege im Bedarfsfall lieber vorsorglich und in Ruhe ins Krankenhaus.“

Nach einer unproblematischen Schwangerschaft sei das Risiko, dass bei der Hausgeburt ernste Komplikationen auftreten, sehr gering. „Etwa eine von hundert Frauen muss während der Geburt schnell in eine Klinik verlegt werden.“

Doch nicht jede Frau kann zu Hause gebären. Schwere Grunderkrankungen oder Komplikationen bei vorausgegangenen Geburten sind Ausschlusskriterien. Auch nach einem Kaiserschnitt oder bei einem Geburtsbeginn vor der 37. beziehungsweise nach der 42. Schwangerschaftswoche sollte man in eine Klinik gehen.

Jede Generation stellt andere Fragen

Ihr Beruf habe sich im Lauf der Jahre gewandelt, sagt Saskia de Koning. Bürokratischer sei er geworden, und die Frauen, die heute Kinder bekommen, seien andere als die vor 20 Jahren. „Jede Generation bringt ja auch ihre Besonderheiten mit. Die stellen andere Fragen.“ Heute seien sich Frauen ihrer Möglichkeiten mehr bewusst.

Aktuell sei Hypnobirthing gefragt. Durch Entspannungstechniken sollen die Geburtsschmerzen reduziert oder sogar komplett ausgeschaltet werden. Auch das Thema Alleingeburten begegnet de Koning derzeit öfter: Frauen, die ihr Kind ganz ohne geburtshilfliche Begleitung zur Welt bringen wollen. Sie rät davon ab.

Was fühlt sie, wenn ein Kind zur Welt kommt? „Ehrfurcht vor dem Leben“, antwortet sie. Während viele Hebammen im Schnitt nach vier Jahren den Job wechseln wegen schlechter Arbeitsbedingungen oder hoher finanzieller und bürokratischer Hürden, kann sich Saskia de Koning nicht vorstellen, etwas anderes zu machen. Auch wenn die Verantwortung, die sie trägt, schwer wiege.

Erst kürzlich habe sie in einem Buch ein paar Sätze gelesen, die für sie den Nagel auf den Kopf treffen. Sie holt es aus dem Regal und liest daraus vor: „Intuition ist das unbestechliche Gedächtnis unserer Erfahrungen. Wir müssen nur genau hinhören, was sie uns sagt. Sie spricht manchmal etwas undeutlich oder sagt Dinge, die wir nicht gerne hören. Unwahr sind sie deshalb nicht.“ Sie sagt, sie habe sich darin wiedergefunden. Immer wieder frage sie sich bei der Arbeit: Ist das mein Kopf, oder ist das mein Bauch? „Ich entscheide oft intuitiv, und meistens ist es genau richtig.“

Leonies und Kai-Marcs Sohn Neo ist 15 Tage nach dem errechneten Geburtstermin gesund zur Welt gekommen – ambulant in einer Klinik. Hausgeburten sind nur bis 14 Tage nach dem errechneten Termin möglich. Sieben Stunden nach der Geburt war die Familie wieder zu Hause.