Aus dem Bauch raus: Sophia Hoffmann ist Köchin auf Umwegen. Und erklärt, wie wir alle intuitiv kochen lernen können – und dazu Geld sparen.
Stuttgart - Was gibt es heute zu essen? Sophia Hoffmann legt die Stirn in Falten. Es ist ein Dienstag. Am nächsten Tag kommt die Gemüsekiste. Das heißt, dass sie heute noch die Reste aufbrauchen wird. Und wenn Hoffmann Rest sagt, meint sie es genauso: Kein Brokkoli-Stiel, kein Salatblatt, kein eingedellter Apfel wird in ihrer Wohnung in Berlin-Friedrichshain weggeworfen. Dass nichts in den Müll wandert, dafür setzt sich die 41-Jährige seit vielen Jahren ein. Kochen ist für sie ein politischer Akt. Auf vielen Ebenen.
Bei allem Aktionismus ist sie nicht dogmatisch
Ihr 2019 veröffentlichtes Buch „Zero Waste Küche“ ist jetzt schon ein Klassiker auf dem Gebiet. Es geht darum, in der Küche nichts wegzuwerfen. Das Schöne an Sophia Hoffmann: Bei allem Aktionismus ist sie nicht dogmatisch, kämpft nicht mit erhobenem Zeigefinger.
Jetzt ist „Die kleine Hoffmann“ erschienen. Es ist mehr Ratgeber als Kochbuch, obwohl es darin natürlich auch Rezepte gibt. Er nimmt Anfänger wie auch erfahrene Hobbyköche an die Hand, um sich in der Küche mehr zu trauen, sich auf sein Bauchgefühl zu verlassen. „Es ist ein natürlicher, kreativer Umgang mit Lebensmitteln. Viele Menschen bekommen das nicht mehr zu Hause mit“, sagt Hoffmann. Das erfordere ein gewisses Grundverständnis. „Kochen ist Handwerk“, so Hoffmann. Sie gibt Handreichungen, was man mit Nahrungsmitteln machen kann. „Wir sind so sozialisiert, dass wir denken, es sei doch viel einfacher, Fertiggerichte zu nehmen“, erklärt Hoffmann. Der Wissensverlust in der Küche werde von der Wirtschaft begünstigt und ausgenutzt. Das möchte sie ändern.
„Kochen kann für mich auch etwas Meditatives sein“
„Die kleine Hoffmann“ – der Titel ihres aktuellen Buches ist eine Anspielung auf berühmte männliche Kollegen, die Bücher wie „Der große Lafer“ veröffentlichen. „Kochen hat etwas Befriedigendes, etwas Bestärkendes. Es ist toll, ein Gefühl für Produkte zu bekommen“, so Hoffmann. Sie nimmt sich die Zeit dafür, auch wenn es ein enger, durchgetakteter Tag ist. „Kochen kann für mich auch etwas Meditatives sein. An manchen Tagen komme ich da regelrecht mit runter“, so Hoffmann.
Viele kochen aber nicht mehr. Laut des Ernährungsreports 2020 des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft sind es nur 39 Prozent, die täglich am Herd stehen. „Diejenigen, die es tun, sind hauptsächlich Frauen und Menschen über 60“, sagt Hoffmann. Sie kann es nachvollziehen, dass immer weniger sich die Mühe machen. „Wir leben – vor allem in den Städten – in einem Überangebot. Es gibt ständig überall Essen. Es wird einem sehr leicht gemacht, nicht zu kochen“, so Hoffmann und viele Menschen haben es zu Hause auch nicht mitbekommen, wie man gut plant.
Nichts ans Rezept klammern
Ihr Privileg: Sie hat von klein auf gelernt, zu kochen. Ihr Vater stand im Alltag am Herd, hatte keine Angst, Fehler zu machen. „Es muss auch mal etwas schiefgehen. Es war ein großes Glück, alles ganz natürlich zu lernen.“ Sie plädiert dafür, sich nicht ans Rezept zu klammern, sondern auch mal zu variieren, wenn man etwa nicht alles vorrätig hat. Wenn man intuitiver vorgeht, dann kann man Sachen ganzheitlicher verwerten.
Die Coronapandemie hat gezeigt, was wir eigentlich brauchen, wie viel das Leben kostet. Sie widerspricht all jenen, die sagen, dass man sich dieses nachhaltige Leben leisten können muss. „Wir haben in Deutschland ein Wertschätzungsproblem. 18 Millionen Tonnen Lebensmittel werden jedes Jahr weggeworfen. Wir sind es gewöhnt, dass Lebensmittel sehr billig sind, und dementsprechend gehen wir damit um.“ Sie zitiert eine Studie: „Pro Person verschwenden wir 235 Euro an Lebensmitteln im Jahr.“
„Wir können uns diese Verschwendung nicht mehr leisten“
Ein Beispiel ist Brot: Laut WWF-Studie wird jedes Jahr in Deutschland eine Getreidemenge, deren Anbaufläche der Größe von Mallorca entspricht, verschwendet. Hoffmann rät, zum hochwertigen Sauerteigbrot aus der Bäckerei zu greifen: „Das hält nicht nur länger, sondern der Konsument achtet darauf, dass es wirklich aufgebraucht wird.“ Überhaupt Vorräte: Hoffmann sagt, dass wir dafür jegliches Gefühl verloren haben. Sie macht sich dafür stark, dass weniger weggeworfen wird. Woher aber kommt dieses Engagement? „Wir können uns diese Verschwendung nicht mehr leisten“, sagt sie. „Wir stecken mitten in einer Klimakrise. Lebensmittelverschwendung und der Konsum tierischer Produkte sind auch Klimathemen.“
Neben Nachhaltigkeit, Wertschätzung von Lebensmitteln ist auch Feminismus ihr Thema. Vor allem die Profi-Küche ist männlich geprägt. Hoffmann erklärt: „Seit dem 19. Jahrhundert haben wir nicht nur eine männliche, sondern auch eine von Weißen geprägte Küchenkultur. Es ist elitär, die Küchenkultur hat sich selbst so geformt. Diese Escoffier-Küche mit der strengen Hierarchie ist aus einer Effizienz entstanden. Das ist historisch kein diverses und frauenfreundliches Pflaster. So lässt sich die fehlende Sichtbarkeit von Frauen und People of Color erklären. Diese arbeiten zwar in der Gastronomie, aber nicht im Scheinwerferlicht.“
„Hätte es einen weiblichen Jamie Oliver gegeben, wäre ich vielleicht viel früher Köchin geworden.“
Sophia Hoffmann hat zwar immer in der Gastronomie gearbeitet (vom Pizzabringdienst über Wienerwald bis zum veganen Burgerlokal), ist aber Quereinsteigerin. Es fehlten die Vorbilder: „Hätte es einen weiblichen Jamie Oliver gegeben, wäre ich vielleicht viel früher Köchin geworden.“ Hoffmann kennt viele wie sie, die sich ihre Lebenswelt in der Gastronomie selbst kreiert haben. „Aber alle Frauen, die ich kenne, die eine klassische Ausbildung in der Gastronomie gemacht haben, haben Erfahrungen mit Sexismus und Übergriffen gemacht.“ Sie sieht aber auch, dass gerade ein Paradigmenwechsel stattfindet, dass Arbeitsbedingungen besser und familienfreundlicher werden.
Sophia Hoffmann trägt ein #MeToo-Tattoo am Handgelenk, auf ihrem Arm steht „Wehret den Anfängen“, Tiger sind auch dabei, weil sie in ihren Zwanzigern Teil des DJ-Teams Tigeresses war. Quereinsteigerin, die nun auch deutlich sichtbar ist. Vor allem online. Vielleicht auch mal bei einem passenden TV-Format? Sie wäre bereit, die große Hoffmann.
Info
Sophia Hoffmann
Das Restaurant Happa will sie mit ihrer Geschäftspartnerin Nina Petersen eröffnen. Momentan arbeitet sie noch bei Isla Coffee Berlin, einem Zero Waste Café. Für ihren Podcast „Hoffmanns Küche“ lädt sie spannende Menschen in ihre Küche ein. Ihre Bücher drehen sich um die pflanzliche Küche. Das jüngste Werk ist „Die kleine Hoffmann – Einfach intuitiv kochen lernen“ (ZS Verlag)
Ihre Tipps: – Einkaufslisten für eine bessere Planung und: weniger einkaufen. Hoffmann rät: „Deshalb einen Zettel schreiben, damit man Impulskäufen widersteht.“– Lagerung von Lebensmitteln beachten. Wie halten Kräuter länger? Was kommt wo in den Kühlschrank? – Nicht auf das Mindesthaltbarkeitsdatum achten! „Ein wichtiges Thema. Da muss man noch viel Aufklärungsarbeit leisten. Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist kein Verzehrdatum. Das gibt es nur für leicht verderbliche Lebensmittel wie Fleisch und Fisch. Viele Produkte sind sehr lange haltbar. Essig oder Honig werden nie schlecht.“ Und Hoffmann sagt: „Auch Milchprodukte sind oft länger haltbar, als man denkt.“ Eine Box im Kühlschrank haben, in die die Sachen reinkommen, die als Erstes verwertet werden müssen.– Abfall vermeiden: Gemüse und Co. ohne Verpackungen kaufen. – Inventur machen: „Die meisten Menschen haben viel zu viel Essen zu Hause. Wir verlieren oft den Überblick über unsere Vorräte. Man sollte öfter mal eine Inventur machen. Die meisten haben locker Vorräte für ein, zwei Monate zu Hause.“ – Bei Küchen-Utensilien: Qualität statt Quantität. „Wenn etwas gut verarbeitet ist, hat man die Dinge ewig.“