Die einzigen Relikte, die aus den legendären Zeiten des Ergenzinger EM-/WM-Studios übrig geblieben sind, sind die Trikots von damals, die man bei den Spielen der deutschen Mannschaft trug.Archiv-Foto: Ranft Foto: Schwarzwälder Bote

Freizeit: Die große Fußball-Euphorie bleibt in Ergenzingen aus / Erinnerungen an Erlebnisse in Italien

Stell dir vor es ist Fußball – EM und keiner interessiert sich dafür. So oder ähnlich könnte man das bezeichnen, was in Rottenburgs größtem Stadtteil im Bezug auf die deutschen Kicker ablief. Doch das war nicht immer so.

Rottenburg-Ergenzingen. Kaum ein Fähnchen, geschweige denn ein Schaal in den Farben Schwarz, Rot und Gold waren zu sehen und wenn überhaupt, dann schauten sich die meisten Fußballfans die Begegnungen mit deutscher Beteiligung in den eigenen vier Wänden an. An den Stammtischen wusste man es ohnehin schon vorher: "Im Viertelfinale ist Schluss." Sicherlich haben die Corona-Pandemie und die erst kurzfristig angesagte Lockerung der Hygienebestimmungen mit zum Desinteresse beigetragen – trotzdem – so eine Lethargie hat man im ansonsten des doch fußballbegeisterten Ergenzingen bislang noch nie erlebt.

Da das Kind mit dem deutschen Fußball nun ohnehin in den Brunnen gefallen ist, schwelgt man insbesondere bei der älteren Generation in der Erinnerung an bessere Zeiten. Zum Beispiel an die WM 1990, in Italien. Da fuhren etliche Ergenzinger zu allen Spielen der Nationalmannschaft inklusive zum Finale nach Rom. Deutschland wurde Weltmeister und der leider viel zu früh verstorbene Christian Raible, der eine große Trommel dabei hatte, ging als "Trommler von Rom" in die Fußballgeschichte ein. Nach dem gewonnenen Finale gegen Argentinien trommelte dieser vor dem Stadion, Hunderte Fans schlossen sich ihm an und dann ging der Marsch in die Stadt, wo kräftig gefeiert wurde.

Auch die WM 1998, bei der Deutschland im Viertelfinale gegen die Kroaten ausschied, ist noch bestens in Erinnerung. Damals machten die "Fleckahuper" der Narrenzunft auf den sogenannten "Golan-Höhen" (gemeint war damit die Wilhelmshöhe von Starzach-Börstingen) ein Fest mit Zelt und allem Drum und Dran. Ein ganzes Schwein wurde gegrillt. Als Grillmeister fungierte an diesem Tag ausgerechnet ein befreundeter Kroate. Abends erlebte man dann auf Großleinwand die 0:3 Niederlage der Deutschen gegen die Kroaten. Der kroatische Grillmeister als Ehrengast jubelte dann wohl jemandem zu intensiv und ein halber Liter Bier flog dann ziemlich nahe an seinem Kopf vorbei. Wer das war, weiß man allerdings bis heute nicht.

Im Jahre 2002 kam dann die große Zeit des Ergenzinger WM-/EM-Studio in der Scheuer von Rita Renz in der Albrecht-Wirth-Straße. Drei Weltmeisterschaften und drei Europameisterschaften gingen dort via Großleinwand (von 2002 bis 2012) über die Bühne. Die Fußballfans konnten gemütlich ihre Bierchen trinken und einen Fleischkäse vertilgen, den Metzgermeister Seppi Straub meistens in der Halbzeit servierte. Die Idee, ein WM-Studio einzurichten und in die Tat umzusetzen, hatten damals Helmut Renz, sein Sohn Thomas und Schwager Franz Zwick. Geöffnet war das Studio bei fast allen WM- oder EM-Spielen. Bedienen musste man sich allerdings selbst. Verlangt wurde dafür nichts. Jeder entrichtete seinen Verzehr-Obolus in ein bereitgestelltes Fässchen und kurioserweise blieb öfter auch etwas Geld übrig, das dann einer sozialen Einrichtung übergeben werden konnte.

Natürlich war das WM-/EM-Studio mit Fußballutensilien dekoriert, es gab ein Gewinnspiel mit einem Einsatz von einem Euro pro Begegnung und derjenige, der richtig getippt hatte, gewann den gesamten Betrag. Sogar ein eigenes Outfit ließen sich die zahlreichen Besucher des WM-/EM-Studios fertigen und diese kamen nicht nur aus Ergenzingen.

Der Eine oder Andere jedenfalls erinnert sich noch gerne an diese glorreichen "Fußballguckzeiten". Beim Abspielen der Nationalhymnen war es selbstverständlich, dass alles aufstand und mitsang. Vor dem Endspiel, welches die Deutschen 2002 gegen Brasilien verloren, gab es sogar eine richtige WM-Abschlussfeier mit Musik, Reden und alles was dazu gehörte. Zum Schluss stiegen einige weiße Tauben, die man durch ein kleines Fensterchen der Nachbarscheuer bugsiert hatte, in den Mittagshimmel. Einer freute sich damals ganz besonders: Ein junger Brasilianer Namens Fabio, der bei dem legendären Trainer Walter Baur logierte und in der Ergenzinger A-Jugend spielte. Zu jubeln traute er sich angesichts der deutschen Übermacht allerdings erst, als ihm alle zum WM-Titel seines Landes gratulierten.