In der Porsche-Arena hat der Cirque du Soleil seine erste Show auf Eis gezeigt: In „Crystal“ begibt sich ein Teenager akrobatisch auf die Suche nach sich selbst.
Solche Sätze hört Crystal Tag für Tag, von Eltern, Bruder, Mitschülern, Lehrerin: „Sie hört nie zu.“ „Immer woanders!“ „Das war nicht die Hausaufgabe.“ Sie will nur noch weg, rast mit Schlittschuhen aufs Eis, bricht ein – und eine fantastische Reise beginnt. Es erinnert an Wonderland-Alices’ Sturz in den Kaninchenbau, als Crystal blubbernd tief ins kalte Wasser absinkt. Ein Teenager auf Selbstfindung, klassisches Motiv der Weltliteratur! Wie dieses aber Shana Carroll und Sébastien Soldevila für den Cirque du Soleil in „Crystal“ inszenieren, das lässt mitfiebern, staunen und – ja – bibbern. In seiner 42. Produktion wagt sich der kanadische Zirkus auf keinen idealen Boden für Flickflacks oder Luftakrobatik: Eis.
Neuland also für die „Cirque du Soleil Entertainment Group“ mit ihren rund 4000 Angestellten, darunter 1400 Artistinnen und Artisten aus fast 50 Ländern. 1984 entstand sie aus der kleinen Varieté- und Straßentheatergruppe von Guy Laliberté, Protagonist des Cirque Nouveau, des „Neuen Zirkus“. Sein Fokus: Keine Tiere und Nummernrevue, dafür Geschichten, Theater, Tanz, Kulissen, Kostüm- und Lichtdramaturgie, Livemusik und außergewöhnliche Artistik.
Märchenhaft ist denn auch, was die 43 Clowns, Akrobaten, Schlittschuhläufer und Musiker aufs Eis in der Porsche-Arena legten, wo „Crystal“ seine Stuttgart-Premiere feierte. Dazu gehören nicht nur artistische Höchstleistungen auf Kufen und ohne, wie etwa die „Flaggen“, in der sich die Protagonisten des Lüftens an Stangen scheinbar locker zur Seite strecken. Oder Schwünge und Salti quer über die Fläche sowie der Handstand eines „Business-Mannes“ auf sieben gestapelten Stühlen. Nicht zu vergessen, die waghalsigen Stunts der Eishockeyspieler, die in perfektem Timing an- und übereinander auf steilen Rampen schlittern und springen. Auch Crystal wirbelt am Trapez, um später mit einem halbnackten Mann an Vertikaltüchern durch ein Liebes-Pas de Deux zu schweben – zu Beyoncés „Halo“. Virtuos begleiten Musiker Crystals Tour, holen leidenschaftlich Rock, Pop und Irish Dance aus Geige, Gitarre, Saxofon, Klarinette und Klavier, groovten etwa zu Sias „Chandelier“.
Doch nicht nur große Licht- und Videoeffekte, die Kulisse, die vom Familienheim zur Rutschbahn, zum Büro und Eisfelsen oder zur Leinwand mutiert, machen das Tableau aus; kleine Szenen akzentuieren und komplettieren es. Der Clown, der mit der Lampe seines Rads ein charmantes Tête-à-Tête eingeht und das Publikum mit Schneebällen beschießt; die Familie, die – in knalligem 60s-Style – vor dem Flimmerkasten sitzt, dabei unglaubliche Leibesübungen vollführt; die Kinder, die auf rollenden Spielplätzen toben. Bilder, die Crystal in der Wasser-Spiegelwelt des Alltags vor Augen führen, welche Möglichkeiten sie hat, was Selbstwirksamkeit ist. Und welche Macht Fantasie hat: Ihre Reise ist eine Ode an das Geschichten erzählen.
Crystal: weitere Termine bis 26.2.