Eberhard und Gabi Sinner haben einen syrischen Flüchtling aufgenommen. Foto: Cools Foto: Schwarzwälder Bote

Nächstenliebe: Gabi und Eberhard Sinner haben einen syrischen Flüchtling bei sich aufgenommen

Einen wildfremden traumatisierten und dazu noch religiösen Mann aus einem anderen Land bei sich wohnen lassen? Das würde wohl kaum jemand tun. Gabi und Eberhard Sinner aus Lauffen haben es getan und nicht bereut.

Deißlingen-Lauffen. In Syrien erzählt man fremden Menschen nicht viel über sich. Deshalb möchte Amin (Name von der Redaktion geändert) auch nicht seinen wahren Namen preisgeben. Er ist einer der Flüchtlinge, die im Sommer 2015 aus dem Erstaufnahmelager in München nach Ellwangen und schließlich in die Unterkunft in der Lauffener Hauptstraße gekommen sind. Dort hausten die Geflüchteten als "zusammengewürfelte Gruppe", wie Eberhard Sinner aus Lauffen berichtet, der mit Amin unter einem Dach lebt.

"Man denkt immer, die Flüchtlinge haben alle das gleiche Schicksal und halten deshalb zusammen, aber so ist das nicht", weiß er. Viele seien traumatisiert gewesen, hätten immer noch unter dem Eindruck des Kriegs gestanden. Gegenüber ehrenamtlichen Helfern seien sie prinzipiell misstrauisch gewesen. "Sie haben sich gefragt, wieso jemand so etwas tun sollte. Sie dachten, alles kommt von der Mutter der Nation, Angela Merkel", erinnert sich Sinner. Erst nach vielen Monaten, manchmal braucht es Jahre, hätten sie begriffen, wie alles in Deutschland abläuft. Deshalb sei ein Integrationskurs zur Eingewöhnung unglaublich wichtig, meint der Lauffener.

In der Flüchtlingsunterkunft habe es Spannungen gegeben, unter anderem, weil Amin sehr religiös ist. Zudem war er psychisch angeschlagen. Die Sinners lernten den Syrer kennen, als dieser Deutsch lernen wollte und Eberhard Sinner ihm dabei half. "Am Anfang haben sie sich im Garten getroffen, irgendwann hat er im Garten übernachtet. Später ist er dann bei uns eingezogen", erzählt Gabi Sinner.

Amin wohnt seit zwei Jahren bei den Sinners

Was zunächst merkwürdig schien, wurde schnell zum Alltag. "Wir haben für uns entschieden: Das machen wir zu unserem Projekt, unserer Aufgabe", erklärt die 63-Jährige, warum sie den Syrer bei sich zu Hause einziehen ließ. Mittlerweile wohnt er seit mehr als zwei Jahren bei den Sinners.

Dabei war es besonders am Anfang nicht immer leicht, erzählt das Paar. "Wenn ein Sportflugzeug über den Garten flog, zuckte er zusammen und versteckte sich hinter einem Busch", erinnert sich Eberhard Sinner.

Als Amin floh, lief der Krieg in Syrien schon seit sechs Jahren. Wenn es nichts zu essen gab, aß man Gras und Erde. Den Weg nach Deutschland fand er anhand einer Spur aus Kleidern. Wenn diese schmutzig waren, wurden sie von den Flüchtlingen weggeworfen und bildeten so eine Fährte. Als Amin nach Österreich kam, wurde er verhaftet und verbrachte eine Nacht im Gefängnis. Er kam nach München, war gesundheitlich am Ende. Zudem war alles anders: Amin hatte gehört, Deutschland sei mit "Gold gepflastert".

Alles, was er sich gewünscht habe, sei ein harmonisches Zusammenleben, meint Eberhard Sinner. In Syrien habe Amin zwischen Nonnen und orthodoxen Priestern gewohnt. Konflikte aufgrund der verschiedenen Glaubensrichtungen habe es nie gegeben. Die Extremisten waren das Problem.

Auch in Deutschland erlebte er laut Sinner eine Feindseligkeit, die er aus Syrien nicht gekannt habe. "Dabei sind sich Islam und Christentum nicht so verschieden. Ethik und Philosophie ähneln sich", weiß Eberhard Sinner, der sich eingehend mit dem Thema beschäftigt hat.

"Einen fremden Mann aufnehmen? Das könnten wir nicht", hätten viele Verwandte und Freunde gesagt, erzählen die Sinners. Sie selbst hätten es auch nicht gedacht, doch es funktioniert. Er lerne selbst von Kultur und Sprache, meint Eberhard Sinner. "Das war alles immer so weit weg", sagt seine Frau. Doch wenn man einen Menschen richtig kennenlerne, merke man, dass die Syrer doch nicht so anders sind.

Das Trauma sei bei Amin mittlerweile besser geworden. "Ihm hilft es, darüber zu reden", weiß Gabi Sinner. Nur Kriegsberichte im Fernsehen könne er nicht ansehen. Ein Teil seiner Familie ist noch dort in Syrien. Dabei sei genau diese für die Flüchtlinge so wichtig. "In Syrien lebt die ganze Familie zusammen. Wenn Amin hört, dass unsere Kinder, die alle viele Kilometer weit weg wohnen, nicht zum Geburtstag kommen können, hält er das kaum aus", erzählt Gabi Sinner. Manche seiner Traditionen will Amin behalten, auch wenn er sich hier in Deutschland wohlfühlt. "Mit Familie wäre das Leben trotzdem anders", weiß Gabi Sinner.

Wer ohne Bleibeperspektive, Familie und Arbeitserlaubnis hier sei, dem falle es auch schwerer, sich zu integrieren, so ihre Meinung. "Er hat nur uns zurzeit", sagt sie über Amin.

Familie ist für den Syrer das Wichtigste

Eine Weile hat der 38-jährige Syrer in der Krankenpflege gearbeitet, doch das Arbeitsverhältnis wurde nicht verlängert. Seitdem hat er sich in allen umliegenden Betrieben beworben. "Wenn er sagt, dass er Syrer ist, wird es gleich schwieriger", weiß Gabi Sinner. Das nächste Problem sei, dass Amin keinen Führerschein hat. Schichtarbeit kommt also aufgrund der Fahrtzeiten der öffentlichen Verkehrsmittel auch nicht in Frage. 370 Euro würde das Amt Amin für eine eigene Wohnung bezahlen, doch das reicht nicht aus. Und von etwas leben müsse der Syrer ja auch noch. Doch wie ohne Arbeit? "Mittlerweile ist er skeptisch bei neuen Angeboten. Er meint: ›Die entlassen mich doch auch bald wieder‹", weiß Gabi Sinner.

Im Januar muss Amin neu Asyl beantragen. Das macht ihn nervös. "Er macht sich Sorgen darüber, was als Nächstes passiert", weiß Eberhard Sinner. Die ersten Hürden hat der Syrer überwunden, doch das ganz große Sorgenkind, ein Job, wird ihn wohl noch eine Weile beschäftigen. Ehe er den nicht bekommt, kann der Syrer nicht auf eigenen Füßen stehen und bleibt weiter ein Mitbewohner der Sinners.