Die Krankenschwester Johanna Gabathuler (Dominique Devenport) weiß sich zu wehren. Foto: SRF/ARD Degeto/Amalia Film/Contr

Mit einer deutsch-schweizerischen Hochglanzproduktion schmückt die ARD ihr Vorweihnachtsprogramm: „Davos 1917“ ist ein geschmeidig-genussvoller Mix aus Spionagethriller, Historiendrama und Lovestory – mit zwei starken Frauenfiguren im Zentrum.

Majestätisch liegt das Curhaus Cronwald zwischen tief verschneiten Bergflanken. Wir schreiben das Jahr 1917. Während die Patienten des Sanatoriums sich mit eiskristallklarer Höhenluft therapieren und nebenbei die Schönheit des Alpenpanoramas inhalieren, stürzt rings um die Schweiz der Erste Weltkrieg den Kontinent ins Verderben.

Doch natürlich täuscht die balsamische Zauberberg-Aura. Denn das Cronwald in der ach so neutralen Schweiz erweist sich in der sechsteiligen deutsch-schweizerischen Serie „Davos 1917“ als ausgemachtes Spionagenest. Hinter den Mauern des Berghotels Schatzalps, das als Drehort diente, wird belauscht und belauert, intrigiert und manipuliert und manchmal auch geschossen. Denn es wird um nicht weniger gerungen als um das Kräfteverhältnis der sich im Krieg befindlichen europäischen Großmächte – Deutschland gegen die Entente, also England, Frankreich und das russische Zarenreich – sowie um Wissen und Technologien gerangelt, die den Kriegsverlauf bestimmen können.

Höchste Zeit für Frauen im Spionagegeschäft

Originell ist der Schauplatz für einen historischen Spionagethriller, von dem die Verantwortlichen sagen, er sei von wahren Begebenheiten inspiriert, ohne darüber allzu genau Auskunft zu geben. Originell mutet auf den ersten Blick auch an, dass im Zentrum der vorweihnachtlichen Hochglanzproduktion der ARD zwei starke Frauenfiguren stehen – wobei eigentlich klar ist, dass dafür die Zeit längst reif war.

Eine ist Johanna Gabathuler, die als Rotkreuzkrankenschwester hochschwanger von der Front heimkehrt. Ihr Vater Peter Gabathuler (Hanspeter Müller-Drossaart), der das Cronwald zusammen mit Johannas Schwester Mathilde (Anna Schinz) führt, lässt ihr das Kind sofort nach der Entbindung wegnehmen, denn Johanna soll mit der Heirat des vermögenden Großrats Thanner (Sven Schelker) das in Schieflage geratene Familienunternehmen sanieren. Mit ihrer Arbeit als Krankenschwester, der sie im Sanatorium nachgeht, wird es nach der Hochzeit freilich vorbei sein, wie ihr unsympathischer Verlobter ihr mit Ingrimm bedeutet, als er erkennt, mit welcher Zuneigung Johanna dem jungen Chirurgen Dr. Mangold (David Kross) begegnet.

Die hohe Kunst der Spionage

Die andere starke Frau ist die deutsche Gräfin Ilse von Hausner (Jeanette Hain), die nicht nur lungenkrank, sondern im Cronwald auch in geheimer Mission unterwegs ist – als Topagentin des Deutschen Kaiserreichs. Die Meisterspionin, die laut Headautor Adrian Illien die Führungsoffizierin von Mata Hari zum historischen Vorbild hat, erkennt Johannas Notsituation und nutzt sie für ihre Zwecke aus: Die junge Frau soll für die Gräfin einen britischen General bespitzeln, im Gegenzug will Ilse ihr den Aufenthaltsort ihrer Tochter verraten. Also führt sie Johanna in die hohe Kunst der Spionage ein – und Johanna erweist sich als exzellente Schülerin.

Eine Abenteurerin mit Mutterinstinkten

Johanna ist eine Frauenfigur, wie sie nur die Serienwelt kredenzen kann: eine junge Frau, die gegen die Fesseln der tradierten Geschlechterrolle aufbegehrt und zugleich zu fast allem bereit ist, um ihrem Mutterinstinkt zu folgen und ihr Kind zurückzubekommen. Sie setzt sich abenteuerlichen Gefahren aus, entwickelt verblüffende Fertigkeiten und verliert selbst in brenzligsten Situationen nie die Nerven. Die Schweizerin Dominique Devenport tariert in ihrem Spiel Johannas Ambivalenz zwischen fast noch kindlicher Unschuld und Abgebrühtheit fein aus; so wird ihre Figur für deren Mentorin zum Gegenüber auf Augenhöhe.

An Durchtriebenheit aber, so scheint es, kann Johanna der Gräfin nicht das Wasser reichen. Die gibt sich schillernd wie ein Paillettenkleid, mal mütterlich-weise, dann wieder eiskalt kalkulierend und so skrupellos, dass ihr auch die Eliminierung Johannas zuzutrauen ist, mit der sie irgendwann beauftragt wird. Hains Ilse hat Stil, schwarzen Humor, und doch verschatten Einsamkeit und ein Geheimnis ihre Gesichtszüge. Jeanette Hain kostet die Uneindeutigkeit ihrer Figur voll aus – eine Paraderolle für die Schauspielerin, die auch feinste Ausdrucksnuancen perfekt beherrscht.

Spektakulärer Lawinenabgang

Im Verlauf der sechs Episoden wird das Spionage- und Gegenspionage-Geflecht zunehmend verwickelter und tollkühner. So bringt das Autorenteam sogar einen im schweizerischen Exil lebenden russischen Revolutionär ins Spiel, den die ganze Welt später unter dem Kampfnamen Lenin kennenlernen soll.

Tatsächlich unterstützte das Kaiserreich dessen Umsturzpläne, weil man sich dadurch den Kriegsaustritt Russlands erhoffte. Das deutsche Reich ließ den Bolschewisten damals im Zug durch Deutschland reisen, hier macht er in Davos Station. Doch historische Akkuratesse spielt in „Davos 1917“ eine eher untergeordnete Rolle, hier geht es vor allem um geschmeidig-genussvolle Fernsehunterhaltung, und die wird geliefert. Die traumhafte Landschaft und das sonstige Setting wurden kinotauglich fotografiert, ein visuelles und computergeneriertes Effekt-Schmankerl am Rande ist ein spektakulärer Lawinenabgang.

Ein bisschen „Babylon Berlin“, ein bisschen „Charité“

Und so ist „Davos 1917“ Agenten-Thriller und Historiendrama, Gesellschaftspanorama und Lovestory und überhaupt von allem etwas: ein bisschen Thomas Manns „Zauberberg“ und ein bisschen „Charité“, wenn Johanna zum Beispiel im OP-Saal assistiert oder selbst zum Skalpell greift. Westernflair kommt auf, wenn Agenten durch verschneite Täler galoppieren, um in Höhlen neue Schachzüge auszubaldowern. Ein bisschen „Babylon Berlin“ klingt an, wenn im Ballsaal beschwingt getanzt und in der Opulenz von Räumen und Kostümen geschwelgt wird.

Man steckt hier vieles in einen Sack, nur der Krieg, um den es ja im Zentrum geht, der steht doch ziemlich abseits. Von ihm künden nur einige Rückblenden und die kranken Soldaten, die man in den Sanatoriumskeller gepackt hat. Denn die prächtige Terrasse vor dem Bündner Bergpanorama – die gehört den Reichen, Schönen und Mächtigen.

Davos 1917. Mittwoch und Donnerstag, 20.15 Uhr, ARD sowie in der ARD-Mediathek.

Die Verantwortlichen

Macher
Ein siebenköpfiges Autoren- und Regieteam verantwortet die deutsch-schweizerische Koproduktion. Jan-Eric Mack, Anca Miruna Lazarescu und Christian Theede übernahmen den Regie-Part; das Drehbuch-Team bildeten Thomas Hess, Julia Penner und Michael Sauter sowie der Headwriter Adrian Illien.

Schauspielerin
Dominique Devenport wurde 1996 als Tochter eines aus Wisconsin (USA) stammenden Vaters und einer Schweizer Mutter geboren. Sie wuchs in Luzern auf. Ihre Schauspielausbildung erhielt sie an der Otto-Falckenberg-Schule in München. In der RTL-Serie „Sisi“ (2021) spielte sie an der Seite von Jannik Schümann als Franz Joseph I. die Titelrolle als Elisabeth von Österreich-Ungarn. Seit der Spielzeit 2021/22 ist sie festes Ensemblemitglied am Volkstheater Rostock.