Grenzen von '33: Anhänger dubioser Weltanschauung stellen Gerichte und Polizei vor Probleme.

Stuttgart - Die Bundesrepublik Deutschland gibt es gar nicht. Stattdessen besteht formal das Deutsche Reich fort. Mit dieser dubiosen Begründung versuchen sich immer wieder Menschen dem Gericht oder den Behörden zu entziehen. Zwei Autofahrer hat das jetzt sogar ihre fahrbaren Untersätze gekostet.

Die Polizisten auf der A 81 staunten nicht schlecht. Ende Mai kontrollierten sie auf Höhe der Ausfahrt Rottenburg Autofahrer, als ihnen ein schwarzer Opel Omega auffiel. Das Fahrzeug trug selbst gebastelte Kennzeichen mit der Fantasieaufschrift "III - H 773". Die 47 Jahre alte Frau am Steuer wollte weder Ausweis noch Führerschein vorzeigen.

"Noch während wir mit ihr beschäftigt waren, hielt ein weiteres Auto mit einem ähnlichen Kennzeichen an der Kontrollstelle", sagt der Böblinger Polizeisprecher Frank Natterer. Der Mann aus dem weißen Seat Toledo kannte die Frau offensichtlich. Seine Papiere hatte er selbst hergestellt. Die Begründung der beiden dafür ließ die Beamten ratlos zurück: Beide behaupteten, die Bundesrepublik Deutschland gebe es gar nicht. Stattdessen bestehe das Deutsche Reich in den Grenzen von 1933 weiter.

Wer jetzt zwingend einen rechtsradikalen Hintergrund vermutet, könnte danebenliegen. "Den konnten die Kollegen in diesem Fall nicht feststellen", sagt Natterer. Stattdessen fand die Polizei heraus, dass die beiden Autofahrer aus Balingen über reguläre Papiere verfügen. Sie haben die deutsche Staatsbürgerschaft, sind ordentlich gemeldet und haben einen Führerschein. Zeigen wollten sie den freilich nicht. Die Polizei legte die Autos daraufhin still. Bis heute stehen sie an der Autobahn, denn auf amtliche Schreiben reagierten die beiden nicht. Stattdessen bedienten sich unbekannte Diebe des Nachts und schraubten alles ab, was nicht niet- und nagelfest ist. Randalierer gaben den Karossen den Rest.

Hinter der Theorie des Reichsfortbestands verbirgt sich eine kleine, aber aktive Gruppe, die immer wieder die Behörden beschäftigt. Ihre rechtlich nicht haltbare Auffassung besagt, die Bundesrepublik gebe es gar nicht. Die einen berufen sich darauf, Deutschland sei nach wie vor von den Alliierten besetzt, andere betonen die Gültigkeit der Weimarer Verfassung. Bis heute habe das Deutsche Reich formal keinen gültigen Rechtsnachfolger.

"Komissarische Reichsregierung" wird nicht beobachtet

In Berlin hat sich sogar eine "kommissarische Reichsregierung" mit "Reichskanzler" gebildet, die aber inzwischen nicht mehr das einzige Gremium dieser Art ist. Deshalb betont eine Sprecherin des Landesamts für Verfassungsschutz Baden-Württemberg, es handle sich um keine homogene Gruppe. Die "kommissarische Reichsregierung" werde derzeit nicht beobachtet. Man könne die Anhänger schlicht nicht ernst nehmen.

Allerdings handelt es sich nicht bei allen Freunden der Theorie nur um verschrobene Zeitgenossen. Einige berufen sich durchaus auf rechtsradikales Gedankengut, andere benutzen die Argumentation, um Geschäfte mit selbst ausgestellten "Reichsdokumenten" zu machen. Manche wollen eine Verurteilung vor Gericht verhindern. Derzeit steht ein Unternehmer aus Tamm (Kreis Ludwigsburg) vor dem Stuttgarter Landgericht, der mit 300 Gramm Kokain gehandelt haben soll. Am ersten Prozesstag bombardierte er die Richter mit Anträgen - unter anderem dem auf ein Ruhen des Verfahrens, weil die Bundesrepublik keine Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reichs sei. Das Gericht sei deshalb kein staatliches.

Die Liste der Fälle, in denen die Argumentation auftaucht, wird immer länger. Bereits im Mai saß in Göppingen gar ein Mitglied der selbst ernannten kommissarischen Reichsregierung auf der Anklagebank. Der "Reichsfinanzminister" hatte 250 Finanzämter angeschrieben mit der Aufforderung, seinen Reichsbürgern keine Steuerbescheide mehr zuzusenden. Dies sei eine unzulässige Doppelbesteuerung.

Sein Hinweis auf seine Immunität als Regierungsmitglied brachte ihm nichts ein außer einer Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe, weil er ein Dienstsiegel von 1935 mit Hakenkreuz verwendet hatte. Sein Verteidiger hat in der Vergangenheit mehrfach als Vertreter von Neonazis von sich reden gemacht. Die Richter widersprachen mit ihrem Urteil der Auffassung vieler Kollegen, die die Vertreter der Reichstheorie für reine Spinner halten. Ohne das Hakenkreuz wäre wohl aber auch der selbst erklärte Finanzminister ohne Strafe davongekommen.

Teuer wird die Geschichte allerdings für die beiden Autofahrer auf der A 81. Nachdem bis Dienstag sämtliche Anhörungsfristen verstrichen und die demolierten Autos nicht mehr fahrtauglich sind, lässt das Böblinger Landratsamt die Karossen nun entsorgen. "Die Kreisautoverwertung wird die Fahrzeuge abholen", sagt Sprecherin Sandra Heyne. Der Steuerzahler werde nicht für die Kosten aufkommen müssen - die werden von den Verursachern eingetrieben. Sofern die über den Betrag in Euro verfügen. Mit selbst gedruckten Reichsmark werden sich die Behörden kaum zufriedengeben.