Axel Grau sorgte mit seiner Verteidigungsrede des Judas für Nachdenklichkeit. Foto: Bausch Foto: Schwarzwälder Bote

Aufführung: Schauspieler sowie Chor präsentieren erstmals zusammen eine Art Theater-Konzert

Atemlose Stille in der Calwer Stadtkirche: Rund 200 Besucher hatten dort ein Erlebnis, das unter die Haut ging. Denn was der gelernte Schauspieler und Pädagoge Axel Grau und die Calwer Kantorei unter der Leitung von Martin W. Hagner präsentierten, war für viele überwältigend.

Calw. Der Abend war für die Besucher ein bewegendes Erlebnis. Denn der wortgewaltige Theatermonolog "Ich, ein Jud" des renommierten Germanisten und ehemaligen Tübinger Rhetorikprofessors Walter Jens und die von Kantor Hagner ausgewählte Passionsmusik, ergänzten sich hervorragend.

Eher zufällig hatten sich Volkshochschulleiter Sebastian Plüer und die Kantorei der Evangelischen Stadtkirche Calw zusammengefunden. Bei einer Terminbesprechung zum Jahresbeginn hatten sie bemerkt, dass die VHS das Walter Jens-Stück auf die Bühne ihres "Nackten Theaters" bringen wollte und die Kantorei am selben Tag ein Konzert mit geistlicher Musik zur Passionszeit in ihrem Terminkalender stehen hatte. Durch das Zusammenlegen beider Veranstaltungen entstand nun eine tiefschürfende und zu Herzen gehende Aufführung.

Grau präsentierte sich als facettenreicher und ausdrucksstarker Darsteller, der vielfältige Mittel zur Interpretation dieses ungewöhnlichen Theatermonologs einsetzte. Be- sonders beeindruckend war die Art, wie er blitzschnell von einer Gefühlswelt in eine ganz andere umschwenken konnte. So zeigte er den biblischen Judas Ischarioth bei seiner ungewöhnlichen Verteidigungsrede packend und äußerst wortgewaltig. Er, der über viele Jahrhunderte hinweg als der Inbegriff des teuflisch Bösen galt, zeigte bei Jens eine ganz andere Seite des Geschehens um Jesus und Judas auf. Dass Jesus nämlich nicht durch den Verrat des Judas, sondern nach Gottes Ratschluss "die Schrift erfüllen" und er zur Erlösung der sündigen Menschen am Kreuz sterben musste. "Ihr seht nur das verfluchte Geld, das ich genommen hab und schweigt davon, dass er mir doch beim letzten Mahl den Bissen gab. Damit die Schrift erfüllet sei, sollt’ es an mir geschehen", sang die stimmgewaltige Kantorei ein von Paul Hindemith vertontes Gedicht des Schriftstellers Josef Weinheber.

Hagner hatte jeweils passende Responsorien, alsokirchliche Wechselgesänge, ausgesucht, die die eindringlichen Worte des Schauspielers musikalisch ergänzten und sogar verstärkten.

Texte ändern sich im Laufe des Dialogs

Dabei kamen in gewohnter Calwer Kantorei-Qualität Werke von Carlo Gesualdo, Paul Hindemith, Max Reger und Johann Sebastian Bach zu Gehör. Besonders über- zeugend war, wie die Texte im Laufe des fortschreitenden Theatermonologs ihre Aussagen allmählich änderten. So hieß es beim ersten Chorbeitrag noch "Mein Freund hat mich verraten mit einem Kuss". Beim später gesungenen Weinheber-Hindemith- Gesang erklang dann jedoch "Er starb für Euch den Kreuzestod".

Mit dieser atemberaubenden Aufführung wurde in der Hesse-Stadt etwas ganz Neues dargeboten. Der Schauspieler, der den Jens-Text schon oft, aber noch nie in einem Gotteshaus und stets ohne musikalischen Kontext vorgetragen hatte, meinte am Ende: "Das ist einmalig und erinnert in seiner korrespondierenden Art stark an die Darstellung griechischer Tragödien".

Das Konzert endete mit dem Schlusschoral aus Johann Sebastian Bachs "Johannespassion", in dem es schon österlich anklang: "Als dann vom Tod erwecke mich, dass meine Augen sehen Dich."