Darsteller Uwe Peter Spinner hatte das Calwer Publikum sofort auf seiner Seite. Foto: Stöß Foto: Schwarzwälder Bote

Kultur: Verstörendes und zugleich spannendes Psychogramm über einen Gymnasialpädagogen / Zwielichtige Friedensangebote

Calw. Das "Nackte Theater" der Calwer Volkshochschule (VHS) ist bekannt für feine, hochwertige Kleinkunst. Mit dem Ein-Mann-Theaterstück "Klamms Krieg" erlebten die Zuschauer ein bedrückendes, verstörendes sowie spannendes Psychogramm über einen Gymnasiallehrer.

Lehrer Klamm bekam von seiner Schulklasse den Krieg erklärt, nachdem er einem Schüler ein einziges, aber wichtiges Pünktchen in der Benotung verwehrte. Dieser fiel durch das Abitur und nahm sich das Leben. Der Lehrer redete von Beginn bis zum Schluss gegen eine Mauer des Schweigens.

Das "Nackte Theater" findet normalerweise im Foyer der VHS statt. Heuer machte man eine naheliegend logische Ausnahme. Man wechselte in die authentische Atmosphäre eines wahrhaftigen Klassenzimmers. Die Zuschauer saßen in traditionellen Zweier-Reihen – bei Neonlicht und Schultafel. In manchen Gesichtern war die Frage abzulesen, was auf einen mit dieser Ein-Mann-Performance zukommen mag. Recht schnell war klar: Das Publikum fand sich in der Rolle einer zuhörenden, schweigenden, passiven Schülerschar wieder. Dabei wurde es durch die narzisstisch gefärbten, beeindruckenden, zum Teil philosophischen geprägten Redesalven eines exzellenten Darstellers Uwe Peter Spinner geradezu in dessen Bann gezogen. Zum 80-minütigen Monolog des Schauspielers hingen die Gäste mucksmäuschenstill, fast schon artig und ehrfürchtig mit größter Aufmerksamkeit an dessen Lippen. Am Ende spendeten sie als Dank für eine spannende und grandiose Darbietung einen lang anhaltenden, herzlichen Applaus.

Immer mit passendem Klang in der Stimme

In Calw machte Uwe Peter Spinner diesen Lehrer Klamm für das Publikum emotional erfahrbar. Mit geschliffenem Wort, stets passendem Klang in der Stimme sowie mit authentisch gesetzter Mimik und Gestik spielte er sich regelrecht in einen Rausch der Szenerie. Es wurde deutlich: Dieser Schauspieler fesselt sein Publikum; denn er füllt seine Rolle aus. Man glaubt, als er durch die Tischreihen geht und den Blickkontakt zu seinen "Schülern" einfordert, er ist tatsächlich Klamm. Klar: Neben seiner Theaterarbeit wird Spinner als Sprecher für Radiofeatures, TV-Dokumentationen, Kinderbücher und Hörspiele gebucht.

Das Stück aus der Feder von Kai Hensel gehört mit mehr als 100 auch internationalen Inszenierungen zu den meistgespielten deutschen Theaterstücken. So wurde es 2002 mit dem bedeutenden Deutschen Jugendtheaterpreis ausgezeichnet. Es zeigt ein krankes Spannungsverhältnis zwischen Schülern und Lehrern sowie das zerrüttete Miteinander innerhalb des Kollegiums auf. Beispielsweise sammelt der Protagonist über Jahre hinweg körbeweise Dossiers ("meine Waffen") über Kollegen und Schüler. Es wurde gewahr: Gewalt an Schulen drückt sich in vielerlei Formen aus, nicht nur in der körperlichen Auseinandersetzung.

Der Lehrer Klamm entpuppte sich zum Menschen mit verschiedenen, sich entgegen stehenden und sich reibenden Persönlichkeitsanteilen; verborgenen Ängsten und Schwächen. Geradezu perfekt offenbarte er seine zahlreichen Verteidigungs- und Rechtfertigungsstrategien. Er gab immer wieder mit seinen Gedankensprüngen dem jeweiligen Bild einen neuen Rahmen. So wie es ihm grad reinpasste.

Die Szenen wechselten neun mal. Jedes mal akustisch von hämmernder Musik unterbrochen. Damit changierte auch immer die Befindlichkeit des Klamm. Zunächst zeigte er sich sicher, dann gekünstelt cool. Die Botschaft: Keine Schwäche zeigen – Überlegen sein. Er wollte als derjenige anerkannt sein, der die Fäden in der Hand hält. "Ich muss Euch prägen"; lag lässig im Stuhl, die Füße auf dem Tisch. Mit gespielter Entspanntheit drehte er an seinem Zauberwürfel und aß dazu Apfelschnitze. Überließ die Schüler dem Schein nach sich selbst, heuchelte Unabhängigkeit. "Ihr braucht mich – nicht ich Euch". Er redete seine Situation pragmatisch gut. "Schule wird sich nie ändern". Machte später den Schülern zwielichtige Friedensangebote.

Irgendwann wurde die latent vorhandene Schwäche im Alkoholmissbrauch offenbar. Nach dem abususbedingten Ausraster bei geöffnetem Fenster zum Schulhof holte Klamm zum Versuch einer Entschuldigung, zumindest einer Aufklärung, aus. Doch seine gestörte Persönlichkeit griff auch hier in seine prall gefüllte Rechtfertigungskiste. "Ich konnte nicht anders", hörte man seine Prinzipientreue sagen. Und überhaupt: "Was ist Wahrheit?"

Deutlich wurde: Man muss das Stück nicht an der Schule festmachen. Es könnte der gesamten Gesellschaft als Spiegel dienen. Es zeigt schonungslos das Mit- und Gegeneinander sowie individuelle menschliche Stärken und Schwächen auf. Mit einem flehenden wie hoffnungsvollen Ende: "Lasst uns gemeinsam von vorne anfangen!"