Jan Smejkal (von links) zusammen mit Diego Gschwend, Johannes Schörck, Valeri Kisurin und Hans Liebelt. Foto: Semenescu Foto: Schwarzwälder Bote

Gesundheit: Früherer Stotterer Hans Liebelt therapiert heute selbst Betroffene / Übung in Calw

Hans Liebelt war früher selbst Stotterer. Heute hilft er anderen, dieses Problem hinter sich zu lassen. Mit einer Gruppe Betroffener besuchte er als Teil der Therapie unsere Redaktion.

Calw. "Ich habe mir vor Aufregung die Zunge blutig gebissen", erinnert sich Hans Liebelt heute zurück. Der 63-Jährige litt mehr als 35 Jahre lang an Stottern – und das ohne Aussicht auf Verbesserung – erzählt er in einem Gespräch mit unserer Zeitung.

Nach vielen Jahren mit etlichen und erfolglosen Therapien habe er in einer Gruppensitzung mit Gleichgesinnten endlich einen Fortschritt verspürt. Durch die Kombination von psychotherapeutischer Selbsterfahrung und der richtigen Atemtechnik, sei es ihm gelungen, einen Weg zu finden, um dem Stottern entgegenzuwirken, so Liebelt.

Mit psyschotherapeutischer Selbsterfahrung sei gemeint, sich mit seinen Ängsten zu beschäftigen und sich ihnen zu stellen, erläutert Liebelt. In diesem Vorgehen habe er im Laufe der Zeit am eigene Leib gemerkt, dass sich dort "Im Kampf gegen das Stottern", ein Ansatz befinde.

"Ich fing an, mir mein Leben vor Augen zu halten", so Liebelt. Durch seine langjährige Erfahrung und gesammelten Erfolge habe er wirksame Werkzeuge gefunden, um fließender und leichter zu sprechen.

Dieses Wissen wollte Liebelt auch an andere Menschen mit der gleichen Problematik weitergeben und so eröffnete er 1996 eine Atem- und Sprechschule in Lüdenscheid (Nordrhein-Westfalen). Seitdem leitet Liebelt, der sich neben einer Ausbildung zum Radio- und Fernsehtechniker auch viel mit Heilpraktika und Psychotherapie beschäftigt hat, regelmäßig "Stotter-Seminare". Diese sind ganztätig und dauern meistens eine Woche.

Das Stottertraining ist ein Basistraining und als therapeutischer Intensivkurs konzipiert, so Liebelt. Dabei betont die Stottertherapie die ganzheitliche Betrachtungsweise des Menschen und basiert auf den Grundlagen der humanistischen Psychologie, fügt der 63-Jährige hinzu. Darin kommen verhaltenstherapeutische Elemente zur Anwendung, wie zum Beispiel Aspekte der Stressimmunisierung nach dem US-amerikanischen Psychotherapeuten Donald Meichenbaum, erläutert er.

Um bei den Patienten eine hohe Alltagsnähe zu erreichen, werden die Sprechsituationen durch sogenannte "in-vivo-Konfrontationen" in den spezifischen Angstsituationen der Patienten eingeübt.

Bei dem Gespräch mit unserer Zeitung mit dabei waren neben Liebelt noch drei weitere Betroffene, die sich am letzten Tag ihres Seminars in der Sprech- und Atemschule befanden. "Das hier gehört zu unserem Outdoor-Training", so Liebelt. Dabei haben die Teilnehmer die Möglichkeit, das in der Therapie erlernte, im "echten Leben" anzuwenden.

Großer Fortschritt

Mit dabei waren der 19-jährige Student Johannes Schörck aus Bremen, der aus der Schweiz angereiste 33-jährige Diego Gschwend, sowie der 30-jährige Projektingenieur Valeri Kisurin aus Stuttgart und der 43-jährige Jan Smejkal, der mittlerweile "geheilt" ist und selbst Stotterseminare leitet. Schörck, Gschwend und Kisurin sind immernoch vom Stottern betroffen, merken aber genauso wie Smejkal deutliche Verbesserungen beim Sprechen durch das Seminar, wie sie unserer Zeitung erzählen.

"Ich weiß, dass ich schon einen großen Fortschritt gemacht habe. Das macht mich zuversichtlich für die Zukunft, sagt Gschwend. "Früher habe ich auffällig gestottert. Das hat mich in der Schule und im Studium beinträchtigt", so Smejkal. "Meine Sprechtechnik hat sich durch die jahrelangen Trainings aber bis zu einem bestimmten Grad automatisiert", ergänzt er. Heute hält Smejkal – der mit 27 Jahren zu Liebelt in die Sprechschule kam – für andere Betroffene selbst Seminare, unter anderem auch in Hamburg.

Doch wie fühlt es sich eigentlich an, zu stottern, seine Sätze nicht flüssig aussprechen zu können? "Wenn man was sagen will, dann bleibt einem die Luft weg", so Schörck. "Ich habe dann immer ein starkes Druckgefühl in der Brust. Das verläuft bis zum Kehlkopf", beschreibt Gschwend. "Ich habe auch bestimmte Problemwörter, bei denen mir das Sprechen besonders schwer fällt", fügt Kisurin hinzu. "Bei mir war es früher so, dass ich dann immer ein Gefühl von Hilflosigkeit, Frust und Scham bekommen habe, sobald ich etwas sagen wollte. Das konnte ich nicht abstellen", so Smejkal.

Immer wieder werden sie beim Sprechen von Liebelt unterbrochen, sobald sie ins stottern geraten. Die Sätze müssen so lange wiederholt werden, bis sie korrekt und ohne Unterbrechungen gesagt werden können. "In der Wissenschaft heißt es oft, das Stottern sei genetisch bedingt", so Liebelt. Der Seminarleiter geht allerdings davon aus, dass es sich beim Stottern um eine Angststörung handelt. Dabei haben die Betroffenen Angst zu versagen und das Falsche zu sagen. "Wenn man in der Pflicht ist, etwas zu beantworten, dann setzt eine ›Kommunikationsverantwortung‹ ein", erklärt Liebelt. Dann werden die Betroffenen in eine Stresssituation versetzt, in der es ihnen schwer fällt, ihren Sprechapparat zu koordinieren, fügt der 63-Jährige hinzu. Aber auch eine Schocksituation oder schlechtes Feedback von außen mit Floskeln wie "Reiß dich doch mal zusammen" können laut Liebelt Auslöser für das Stottern sein. Smejkal ergänzt: "Beim Stottern bewegt sich das Zwerchfell nicht nach oben beim Ausatmen, sondern es flattert oder bewegt sich gar nicht – dies ist der Fall, wenn man als Stotterer kein Wort aus dem Mund bekommt." Damit Menschen einwandfrei sprechen, müsse sich das Zwerchfell beim Ausatmen gleichmäßig nach oben bewegen, sagt er.

Um diesem Problem entgegenzuwirken hat Liebelt zusammen mit einem Programmierer eine Animation entworfen, bei der das Zwerchfell mit den Flanken und Schultern visualisiert wurde. Ziel sei es, seinen eigenen Atem mit der sich bewegenden Animation im vorgegebenen Rhythmus zu synchronisieren, erklärt Liebelt. Bei seinen Seminarteilnehmern funktioniere die Methode gut. Dies sei auch der Grund, warum sie während des Sprechens immer mal wieder ein- und ausatmen.

Dass Stottern im Alltag einige Probleme mit sich bringt, sind sich alle einig. Der Schweizer Gschwend wollte – wie er im Gespräch erzählt – eigentlich einen Bürojob haben, hat sich aber in der Hoffnung nicht viel sprechen zu müssen, für einen handwerklichen Beruf entschieden. Auch Kisurin erinnert sich an schlechte Erfahrungen: "Man wird halt blöd angeschaut, wenn man die Sätze nicht gescheit aussprechen kann.", sagt er.

Smejkal, der sich in seiner Schulzeit aufgrund des Stotterns selten gemeldet hat erklärt: "Man entwickelt automatisch ein Vermeidungsverhalten, das sich immer mehr ausweitet." Dennoch sind alle froh, zusammen mit anderen Betroffenen einen Weg gefunden zu haben, dem Stottern Schritt für Schritt ein Ende zu setzen. "Es hilft mir viel zusammen in der Gruppe zu trainieren", betont Schörck.