Jürgen Neffe sprach über sein Buch "Marx – Der Unvollendete". Foto: Meinert Foto: Schwarzwälder Bote

Vortrag: Bestsellerautor Jürgen Neffe spricht über den umstrittenen Philosophen

"Guten Abend, ich habe gehört, ich soll Ihnen etwas über Karl Marx erzählen." Betont locker und leger beginnt Bestsellerautor Jürgen Neffe seinen Vortrag in der Calwer Hochschule für Wirtschaft und Medien.

Calw. "Marx – Der Unvollendete" heißt sein Buch, das jetzt vor ihm liegt – und selbst so dick ist wie "Das Kapital", das ebenso langlebige wie umstrittene Hauptwerk des vor 200 Jahren in Trier geborenen Marx. Mehrere Dutzend Zuhörer sind in die SRH-Hochschule gekommen, überwiegend Ältere – das Interesse am Revolutions-Denker mit dem Rauschebart scheint groß zu sein.

Sieht so Zusammenbruch des Kapitalismus aus?

Zunächst erzählt Neffe, wie er überhaupt auf das Thema Marx kam: Während der Finanzkrise 2008, als die Pleite der US-Bank Lehman Brothers die globale Finanzwelt an den Rand des Kollapses geführte hatte, sei er gerade auf Reisen in Griechenland gewesen. Als er versuchte, sich am Bankautomaten Geld zu ziehen, sei er mehrmals gescheitert. Ein mulmiges Gefühl habe ihn da beschlichen, erzählt Neffe: Sieht so der Zusammenbruch des Kapitalismus aus, den der deutsche Großdenker an die Wand gemalt hatte?

Apropos Zusammenbruch: Da fängt es schon an mit den Problemen bei Marx. Die "Krisentheorie", also die These, dass der wilde und ungezügelte Kapitalismus gleichsam zwangsläufig zu immer größeren Krisen und damit letztendlich zu seinem Zusammenbruch führe – ist diese Theorie nicht selbst brüchig geworden? Zumindest teilweise, lautet denn die Antwort Neffes: Zwar habe Marx die "Lernfähigkeit" des Kapitalismus schwer unterschätzt.

Tatsächlich habe sich das System Kapitalismus in der Vergangenheit nach Krisen wie ein Stehaufmännchen wieder erholt. Doch kann man deshalb guten Gewissens darauf bauen, dass dies auch künftig so sein wird? Und, fragt der Autor weiter, wie sehe denn so ein Zusammenbruch eigentlich genau aus? "Können wir uns dann keine Brötchen mehr kaufen?" Und: "Haben wir dann einen Plan B?" Immerhin, das sind originelle Fragen.

Das Charmante an Neffe: Auch mit originellen Thesen wartet er auf. "Wenn man sich die Forderungen der (damaligen) Kommunisten ansieht, so sind die meisten erfüllt", meint er mit Blick auf den "gezähmten Kapitalismus" etwa in Deutschland. Marx habe beispielsweise die enorme Zunahme des wirtschaftlichen Eingreifens des Staates, die Korrektive des Marktes also, nicht vorausgesehen, zumindest nicht in dem Ausmaß, meint Neffe. "Sozialismus light", nennt das der Autor – aber ist das nicht ein bisschen Schönfärberei angesichts der ständig größer werdenden Kluft zwischen Arm und Reich, sowohl weltweit als auch in Deutschland?

Mit reichlich Herzblut nimmt Neffe den guten alten Marx auch gegen Anschuldigen in Schutz, am millionenfachen Tod und Tyrannei, etwa in der Sowjetunion Stalins und im China Mao Zedongs, Schuld zu sein. Das ginge gar nicht, entgegnet er. "Das wäre, als wenn man Jesus die Schuld an den Kreuzzügen in die Schuhe schieben würde." Überhaupt, man müsse Marx gegen seine falschen Anhänger in Schutz nehmen, ganz besonders auch gegen Apologeten des einstigen "realen Sozialismus", die ihre Diktaturen als Arbeiterparadiese gepriesen haben.

Marx, dem Philosophen und Ökonomen, sei es immer auch um die Freiheit gegangen. Doch die Diktatoren und Tyrannen hätten ihn missbraucht, verbogen, verfälscht. Sogar die Schuld am Gulag werde ihm zugeschoben. Das sei einfach "nicht fair gegenüber einem Verstorbenen". Der Aufwiegler Marx – unfair behandelt? Neffe relativiert dann doch etwas: Schuld trage Marx zwar nicht an den Sozialismus-Auswüchsen des 20. Jahrhunderts von Kuba bis Kambodscha. "Aber Verantwortung – da bin ich mir nicht sicher."

Keine neue Gesellschaft entworfen

Überhaupt, da ist dieses Grundproblem mit dem Ökonomie-Philosophen, sozusagen die Mutter aller Marx-Missverständnisse: Marx habe im Grunde keine neue Gesellschaft entworfen, keine Blaupause zum Aufbau des Sozialismus geliefert, auch kein "marxistisches System" geschaffen. "Alles, was ich weiß, ist, dass ich kein Marxist bin", soll Marx angeblich gesagt haben. Oder, wie es Neffe in der SRH in aller Kürze und Deutlichkeit sagt: "Bei Marx ist eben jeder Furz umstritten."

Übrigens: Die Panne beim Geldabheben am griechischen Bankautomaten im Spätsommer 2008 habe am Ende nichts mit dem drohenden Zusammenbruch des Kapitalismus zu tun gehabt, räumt Neffe ein. Es habe sich lediglich um einen zeitweisen Computerfehler gehandelt.