Von der Integrierten Leitstelle aus kann Michael Rentschler Menschen über das Telefon bei einer Reanimation helfen. Foto: Bernklau

Michael Rentschler leitet Menschen von Leitstelle aus bei Reanimation an. Allein 17 Fälle bereits in diesem Jahr.

Kreis Calw - Beim Mittagessen sackt der Gegenüber plötzlich in sich zusammen. Herz-Kreislauf-Stillstand. Jetzt zählt jede Sekunde. Über den Notruf 112 schnell den Notarzt alarmieren. Doch bis der da ist, verstreicht wertvolle Zeit. Zeit, in der Michael Rentschler lebensrettende Hilfe leisten kann – am Telefon.

Herbert Kunstmann (Name von der Redaktion geändert) sitzt in einem kleinen Ort im Süden des Landkreises mit seiner Frau am Mittagstisch. Binnen Sekunden sackt sie in sich zusammen. Sofort greift Kunstmann zum Telefon. Wählt den Notruf 112. Wenige Sekunden später hat er Michael Rentscher, Leiter der Integrierten Leitstelle in Calw, am Telefon. Routiniert nimmt der den Anruf von Herrn Kunstmann entgegen. So wie er und seine Kollegen es viele Male am Tag tun. "Notruf, Feuerwehr und Rettungsdienst", meldet sich Rentschler kurz und knapp.

Am anderen Ende hört er eine aufgeregte Stimme sprechen

Am anderen Ende hört er die aufgeregte Stimme von Herbert Kunstmann: "Hallo Herbert Kunstmann am Apparat. Meine Frau ist plötzlich am Esstisch zusammengebrochen. Kommen Sie schnell." Rentschler reagiert routiniert, fragt nach der Adresse. Nach einer kurzen Pause bekommt er die Angaben. "Reagiert ihre Frau auf Ansprache", fragt er den aufgeregten Anrufer. "Nein, die macht gar nichts mehr", antwortet der. "Atmet sie? Hebt und senkt sich der Brustkorb Ihrer Frau?", fragt Rentschler weiter und bekommt erneut ein "Nein" als Antwort. Er versucht den Anrufer so gut es geht zu beruhigen, das gelingt. Rentschler weiß genau, was jetzt zu tun ist. Bei dieser Szenerie – bewusstlos und keine Atmung – wird sofort ein Rettungswagen und ein Notarzt alarmiert.

Genau das tut Rentschler während des Telefongesprächs. "Herr Kunstmann, legen Sie nicht auf. Ich alarmiere den Notarzt für ihre Frau und helfe ihnen dann", schärft er dem Mann am Telefon ein und fragt noch kurz die Telefonnummer ab – falls das Telefonat abbrechen sollte.

"Mir war sofort klar, dass da eine sofortige Reanimation – also eine Wiederbelebung – nötig ist", erinnert er sich. Wie man Menschen über das Telefon dazu anleitet, hat er gelernt, er weiß aber auch, dass der Mann am anderen Ende seinen Anweisungen exakt folgen muss, damit das Ganze Erfolg haben kann.

"Herr Kunstmann, der Notarzt ist auf dem Weg zu ihnen. Ich helfe ihnen jetzt. Wollen sie nach meiner Anleitung eine Wiederbelebung durchführen bis der Notarzt da ist? Das ist das Beste, was Sie für ihre Frau tun können."

Als Antwort kommt ein deutliches "Ja". Er bittet den Mann das Telefon auf Freisprechen zu stellen und gibt seine ersten Anweisungen. "Legen sie ihre Frau flach auf den Rücken, schauen Sie, dass genügend Platz ist und keine Gegenstände unter ihr liegen. Machen Sie das bitte, ich bleibe am Telefon", beruhigt er den Mann. "Wenn Sie fertig sind, geben Sie Bescheid." "Fertig", antwortet Kunstmann wenig später. "Kneifen Sie sie in den Arm, rütteln sie sie an der Schulter, ändert sich was?" "Nein".

Was jetzt folgt, ist bei Michael Rentschler fast schon automatisiert. Eine Anweisung nach der anderen gibt er über das Telefon durch. "Knieen Sie sich bitte ganz dicht seitlich neben den Brustkorb Ihrer Frau, legen sie eine Hand von Ihnen auf die Stirn Ihrer Frau und die andere Hand unter das Kinn und heben Sie es an. Kippen Sie den Kopf vorsichtig weit nach hinten. Haben Sie das? Halten Sie den Kopf jetzt so fest und gehen Sie mit ihrem Ohr dicht an die Nase und den Mund. Schauen Sie auf die Brust, ob ihre Frau atmet. Bewegt sich der Brustkorb, der Bauch? Hören Sie Atemgeräusche, Spüren sie einen Luftzug? Zeigt sie eine Reaktion?" Als Antwort kommt ein schlichtes "Nein".

Rentschler erklärt am Telefon einen Schritt nach dem anderen

"Ich erkläre Ihnen, was Sie machen müssen", macht Rentschler dem Mann klar. "Machen sie den Oberkörper ihrer Frau frei. Legen sie einen Handballen auf die Mitte des knöchernen Brustkorbs ihrer Frau, also auf die untere Hälfte des Brustbeins. Legen sie den Handballen Ihrer zweiten Hand auf den Handrücken der ersten Hand. Beugen Sie sich so über Ihre Frau, dass Sie mit gestreckten Armen senkrecht drücken können. Drücken Sie jetzt kräftig auf den Brustkorb! Es ist möglich, dass Rippen brechen können, aber das ist normal und darf passieren", macht er dem Mann klar. "Drücken Sie immer wieder mindestens fünf Zentimeter. Im Wechsel tief drücken und dann komplett entlasten. Etwa 100-mal die Minute drücken. Ich zähle in dem Tempo für sie mit... Machen Sie das, bis der Notarzt bei Ihnen eintrifft. Wenn sich etwas ändert, sagen sie Bescheid."

Danach fragt er noch Details zur Wohnung, zum Gesundheitszustand der Frau ab und dirigiert den Notarzt. Weist den Mann an, weiter zu machen, bis der Notarzt klingelt, dann kurz aufzuhören, die Türe zu öffnen und weiter zu machen. Herbert Kunstmann folgt den Anweisungen. Er öffnet die Tür und kommt zurück. "Ich bin jetzt wieder da, Herr Rentschler", sagt er. "Machen Sie bitte genauso weiter wie bisher, Sie machen das gut", spricht er dem Mann Mut zu. "Wenn der Notarzt so weit ist, wird er Sie mit der Rettungswagenbesatzung ablösen." Genau das passiert. Rentschler bedankt sich bei Kunstmann und beendet das Telefonat.

Der Mann hat seiner Frau mit Hilfe von Michael Rentschler das Leben gerettet. Doch der Experte weiß auch: "Auch wenn alle Begleitumstände stimmen, klappen die Wiederbelebungsmaßnahmen nicht immer, sei es weil die Menschen sich eine solche Wiederbelebung nicht zutrauen oder weil sie nicht direkt vor Ort sind oder selbst gebrechlich sind."

Insgesamt 17 solcher Telefonreanimationen hat Rentschler in diesem Jahr erlebt, allerdings weiß er nicht in jeden Fall, ob seine Hilfe auch wirklich erfolgreich war. Von zweien allerdings weiß er es bestimmt, dass der Patient es dank seiner Hilfe ohne Probleme und Folgen überstanden hat.